Ein neuer, sehr bemerkenswerter Tonträger dürfte jetzt den Weg in die CD-Sammlungen von Blas- und Marschmusikliebhabern finden. Zudem erfährt man als an Geschichte Interessierter einige neue Fakten über die Weimarer Republik. Und nicht zuletzt sind die Aufnahmen des Musikkorps der Bundeswehr auf der CD „Freiheit, die ich meine – Märsche des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“ auch ein Aufruf, die Demokratie zu schützen. „Heute scheinbar mehr denn je“, wie der Dirigent Oberstleutnant Christian Weiper im Gespräch meint. „Vielleicht trägt das Spielen der ‚Reichsbanner-Märsche‘ in unseren Konzerten auch zu einer Sensibilisierung auf diesem Gebiet bei.“
Musik war von Beginn an ein wichtiges Element für das 1924 gegründete Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, die größte demokratische Massenorganisation der Weimarer Republik. Der parteiübergreifende Bund hatte sich dem Schutz der ersten deutschen Demokratie verpflichtet. Seine Mitglieder engagierten sich für die Festigung der Republik und die Achtung ihrer Verfassung. Eine Auswahl von heute weitgehend unbekannten Märschen präsentiert die vorliegende CD, die die Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Kooperation mit dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold zum 100. Gründungsjubiläum der Republikschutzorganisation veröffentlicht. Die Stücke wurden von Guido Rennert und Sebastian Middel neu arrangiert und durch das Musikkorps der Bundeswehr eingespielt.
Widerstand und Marschmusik?
Deutscher Widerstand und Marschmusik? Passt das zusammen? Julia Pietsch, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin bejaht. »Das Reichsbanner hat seit seiner Gründung 1924 unermüdlich und durchaus mit Erfolg daran gearbeitet, ein positives Verhältnis zu Republik und Demokratie in der Gesellschaft zu verankern und sich ihren Feinden entgegenzustellen – nicht nur in Wort und Tat, sondern auch auf einer emotionalen Ebene. Dabei hat die Musik eine wichtige Rolle gespielt, sowohl als identitätsstiftender Faktor als auch als Werbemittel. Da das Reichsbanner, wie andere politische Verbände der Zeit auch, sich am militärischen Vorbild orientierte, uniformiert auftrat und Demonstrationen in Form von Aufmärschen veranstaltete, eignete sich Marschmusik hierfür bestens.« Auch außerhalb militärischer Kontexte war Marschmusik in den 1920er-Jahren populär und weit verbreitet. Auch wenn es Manchem aus heutiger Sicht fremd erscheine, erklärt Pietsch, gehörten Märsche damals zum musikalischen Repertoire von Organisationen unterschiedlichster politischer Couleur. »Insofern passen natürlich auch Widerstand und Marschmusik zusammen, zumal das Reichsbanner Märschen oftmals eine neue Bedeutung gab. So setzte es beispielsweise den aus der Kaiserzeit populären nationalistischen ›Schwarz-Weiß-Rot‹-Flaggenmärschen seine ›Schwarz-Rot-Gold‹-Flaggenmärsche entgegen.«
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Die CD »Freiheit, die ich meine« ist weit mehr als nur eine historische Rekonstruktion. Mit den Arrangeuren Guido Rennert und Sebastian Middel konnten zwei herausragende Musiker gewonnen werden, die den historischen Charakter der Stücke bewahrt und zugleich eine moderne Interpretation geschaffen haben. Durch das Musikkorps der Bundeswehr aus Siegburg eingespielt, erhalten die Märsche eine frische, lebendige Qualität. Die präzise Ausführung und die hohe Musikalität dieses musikalischen Aushängeschilds der deutschen Militärmusik machen diese Aufnahmen zu einem besonderen Erlebnis. Die erstklassige Klangqualität der CD trägt entscheidend dazu bei, die emotionale Kraft dieser historischen Musik voll zur Geltung zu bringen. Fazit: Eine Wiederentdeckung, die begeistert.
Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold war mit mindestens 1,5 Millionen Mitgliedern die größte demokratische Organisation der Weimarer Republik – es zählte mehr Mitglieder als etwa der nationalistische »Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten« oder der kommunistische »Rotfrontkämpferbund«. Es wurde am 22. Februar 1924 als Republikschutzorganisation ehemaliger Kriegsteilnehmer in Magdeburg gegründet, als Reaktion auf zahlreiche Putsch- und Aufstandsversuche wie etwa den Hitler-Ludendorff-Putsch im November 1923, die Deutschland erschütterten. Ziel war es, die Demokratie gegen ihre Feinde zu verteidigen, vor allem gegen Nationalsozialisten, Monarchisten und Kommunisten.
Zum Schutz der Republik
Das Reichsbanner war ein überparteilicher Zusammenschluss zum Schutze der Republik – ihm gehörten Sozialdemokraten, Anhänger der liberalen Deutschen Demokratischen Partei, der katholischen Zentrumspartei sowie Parteilose an. Die Organisation schützte politische Versammlungen und Demonstrationen und war in der politischen Bildung aktiv. Reichsbannerangehörige trugen in der Regel keine Waffen und bekannten sich zur Verfassung von 1919 und der parlamentarischen Demokratie. Regelmäßig hielt das Reichsbanner am Jahrestag der Verfassungsunterzeichnung, dem 11. August, Verfassungsfeiern ab. In diesem bedingungslosen Einsatz für die damals neue Staatsform, für eine gleichberechtigte Teilhabe aller lag ein großer Verdienst des Reichsbanners. Ab Anfang der 1930er-Jahre musste sich das Reichsbanner zunehmend gegen Nationalsozialisten zur Wehr setzen und demokratische Veranstaltungen vor diesen schützen. 1931 schloss es sich gemeinsam mit SPD, Gewerkschaften und Arbeitersportverbänden zum Bündnis »Eiserne Front« zusammen. Nicht zuletzt leisteten Angehörige des Reichsbanners auch verschiedentlich Widerstand gegen den Nationalsozialismus nach 1933.
Die Auswahl der Märsche, erklärt Julia Pietsch, habe sich in erster Linie an der Quellenlage, also an den überlieferten historischen Aufnahmen orientiert. Da gibt es alte Schellackplatten und auch Noten für die Spielleute und Kapellen des Reichsbanners, die es in den meisten Ortsvereinen oder Bezirken des Reichsbanners gab. Die Stücke sind heute zum überwiegenden Teil vollkommen unbekannt, genau wie ihre Komponisten. Die größtenteils in den 1920er-Jahren komponierten Märsche beziehen sich im Titel auf Werte und Symbole, besonders die Farben Schwarz-Rot-Gold. Die Mehrheit der Komponisten der historischen Märsche stand in der Weimarer Republik den republikbejahenden Kräften nahe, einige waren in der SPD organisiert.
Unbekannte Komponisten
Eine Reichsbannermitgliedschaft ist jedoch bisher nur für Willy Kuhn und Georg Porepp nachzuweisen. Allerdings bestimmten nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten bei vielen vor allem berufliche Erwägungen ihr Schaffen. Hermann Scherchen verweigerte sich dem NS-Regime konsequent. Max Arensberg musste aufgrund seiner jüdischen Herkunft Deutschland 1933 verlassen, Willy Kuhn war bereits 1929 verstorben. Komponisten wie Carl Woitschach und Berthold Wilke jedoch passten ihre Haltung offenbar ohne große Bedenken dem neuen Zeitgeist an. Das Schreiben und Spielen von SA- und SS-Märschen stellt sie in das Licht eilfertiger Opportunisten. Andere arrangierten sich aus beruflichen Gründen eher zögernd mit dem NS-Regime, warben jedoch nicht für dessen Ziele.
Oberstleutnant Christian Weiper meint: »Bedenkt man, dass diese Märsche größtenteils in den 1920er-Jahren komponiert wurden, also um die 100 Jahre alt sind, kann man durchaus sagen, dass einige ihrer Zeit weit voraus waren. Gerade diese Märsche klingen so gar nicht nach ›Gebrauchsmusik‹, im Sinne von Musik zum Marschieren, wie man das aus dieser Zeit eher kennt, sondern eignen sich sehr gut auch für den Konzertgebrauch. Am Beispiel des Marsches ›Freiheitsfarben‹ lässt sich sagen, der kommt als 6/8-Marsch so frisch und dynamisch daher, wie ein zeitgenössischer Luftwaffenmarsch. Der könnte auch erst wenige Jahre alt sein.«
Guido Rennert und Sebastian Mittel haben die Märsche arrangiert
Dass die nun mit besonderem Reichsbanner-Bezug ausgewählten Märsche heute so klingen, wie sie klingen, liegt auch und vor allem an Guido Rennert und Sebastian Middel, die die Musik neu arrangiert haben. »Die Tonqualität mancher Aufnahmen war aufgrund der damaligen Technik und des Alters eher bescheiden«, erklärt Guido Rennert. »Daher war es teilweise notwendig, die Märsche anhand dieser Aufnahmen zu transkribieren und neu zu arrangieren.« Rennert und Middel brachten die Märsche in eine moderne, spielbare Form. Dieser Prozess glich bisweilen einer Puzzle-Arbeit, bei der unhörbare oder fehlerhafte Passagen rekonstruiert und harmonisch ergänzt wurden. Ziel war es, den ursprünglichen musikalischen Charakter zu bewahren, der sich an der klassischen Marschtradition orientiert – und dann quasi übersetzt ins 21. Jahrhundert. Die Märsche, wie etwa der »Reichsbanner-Liedermarsch« oder »Sol Germaniae« von Willy Kuhn zeichnen sich durch klare Harmonien und traditionelle Strukturen aus. Ihre politische Botschaft zeigt sich eher in den Titeln und der historischen Kontextualisierung als in der Musik selbst.
Christian Weiper ergänzt: »Ich habe mir die historischen Aufnahmen immer und immer wieder angehört, um mich zunächst mit der ›alten‹ Spielweise vertraut zu machen. Märsche werden heute nun einmal anders gespielt als etwa vor der Mitte des letzten Jahrhunderts. In einem zweiten Schritt habe ich dann versucht, die Neuarrangements mit dieser früheren Spielart in Einklang zu bringen. Ich denke, das ist gelungen. Das Orchester konnte meine Anforderungen sehr schnell umsetzen.«
Ein Stück Kulturgut
»Ganz abgesehen von ihrem musikalischen oder auch Unterhaltungswert sind die Märsche natürlich auch ein Stück Kulturgut«, findet Julia Pietsch, »und zwar der Kultur einer Freiheits- und Fortschrittsbewegung. Oberstleutnant Weiper will, wenn diese Märsche in Konzerten gespielt werden, auch auf die Historie eingehen. »Bei der Ankündigung eines Marsches genügt es meist, den Titel sowie den Namen des Komponisten zu nennen. Bei der Aufführung eines ›Reichsbanner-Marsches‹ tue ich das nicht. Hier erkläre ich dem Publikum sehr genau, woher der Marsch kommt und wie und wofür er entstanden ist.« Auf den Vereinsnamen angesprochen, räumte der Bundesvorsitzende des »Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold« Dr. Fritz Felgentreu in einem Interview mit dem MDR ein, der löse »gerne auch mal Irritationen aus«. »So geht es mir auch bei meinen Anmoderationen zu den Aufführungen der Märsche«, meint Weiper. »Mit wenigen passenden Worten ist jedoch alles erklärt und gesagt. Wenn die Märsche dann verklungen sind, ist das Publikum eigentlich immer begeistert.« Er wolle damit auch den Bezug zur Gegenwart herstellen. »Auch für unsere Demokratie gilt, diese gegen Angriffe von außen zu schützen, heute scheinbar mehr denn je.«
Und Julia Pietsch fügt hinzu: »Im besten Falle regt die Beschäftigung mit dieser Musik und ihrem Entstehungskontext aber auch zum Nachdenken darüber an, was es bedeutet, für eine demokratisch verfasste Gesellschaft einzustehen und sich vor Augen zu führen, dass es immer auch Personen braucht, die diese Werte verteidigen.«