Orchestra | Von Pierluca Lanzilotta

Neue Oper Blasmusikpop uraufgeführt

Blasmusikpop
Foto: Arno Rottensteiner / BK-Gries

Die Bürgerkapelle Gries wollte ihr 200-jähriges Bestehen auf würdevolle und zugleich innovative Weise feiern, also trat ihr langjähriger Kapellmeister und Dirigent Georg Thaler an den damaligen Professor für Blasorchesterdirigieren am Bozner Konservatorium, den Oberösterreicher Thomas Doss, heran und bat ihn um eine Oper für Blasorchester. Heraus kam “Blasmusikpop”  

Dem Komponisten war ein solcher Auftrag nicht ganz neu: Neben zwei Kinderopern (“Eine Reise um die Welt” und “Gries, Brei und die verschwundenen Kinder”) hatte er bereits die einstündige pocket opera “Wurdalak” im Koffer. Neu war diesmal aber der Umfang des Unter­fangens: Eine abendfüllende (fast dreistündige) Oper, die sich auch noch anmaßt, den dicken Roman “Blasmusikpop” von Vea Kaiser mit der Geschichte von drei Generationen auf die Bühne zu bringen.

In dieser Hinsicht kam der Librettistin, der erfahrenen Silke Dörner eine entscheidende Rolle zu. Sie hat sich bemüht, der Schriftstellerin und dem Komponisten zugleich gerecht zu werden, indem sie versucht hat, keines der Hauptereignisse des Romans außer Acht zu lassen und dabei dem Komponisten immer wieder passende Schauplätze zur Entfaltung von dramaturgisch und musikalisch sinnvollen Rahmensituationen zu gewährleisten. Also hat Doss (fast) immer die notwendigen Voraussetzungen vorgefunden, die ein Komponist braucht, um dramaturgisch passende, wirkungsvolle Musik zu schreiben. So haben wir jede Menge Massenszenen, Ensembles bis hin zum intimen (Liebes-)Duett, deskriptive Einlagen, alles durchsetzt mit einer Prise (Selbst-)Ironie und der richtigen Anzahl von Theaterdonnern und Knalleffekten: Kein Opernkomponist könnte sich was Besseres wünschen. (Die RAI hat über die Oper ein “Making of” ausgestrahlt)

“Wir können zitieren” sagte schon Umberto Eco

Dies alles setzt aber voraus, dass man als Musiker über die notwendigen Werkzeuge verfügt, um die erwünschte Wirkung auch zu erzielen, und auch willig ist, sie umzusetzen und zwar ohne Scheu vor vermeintlichen Gemeinplätzen und den unvermeidlichen Vergleichen mit den ganz Großen der Musikgeschichte. Wen erinnert man schon gerne daran, dass ein Verdi oder ein Mozart vergleichbare dramaturgische Situationen bereits vor 150 bzw. 250 Jahren so wirkungsvoll in Musik gesetzt hatten? Deswegen schreiben Komponisten seit 100 Jahren entweder gar keine Opern mehr oder wenn, dann wenigstens bitte stilistisch so weit weg wie nur möglich von diesen furchterregenden Vorbildern. Wir leben schließlich im Zeitalter der Postmoderne, wo jeder dazu verurteilt ist, die ganze Musikgeschichte ständig vor Augen zu halten … 

Zum Glück gibt es einen Ausweg, wie der gefeiertste “chef de file” der Postmoderne, Umberto Eco, immer wieder zu sagen und schreiben pflegte: “Wir können zitieren”. Und im Falle eines Komponisten für Blasorchester heißt das, problemlos und im erweiterten Sinne mit Stilen und Rhythmen aus dem gesamten 20. Jahrhundert (nicht nur dem “ernsten”) umgehen zu dürfen. Also konnten die Zuhörerinnen und Zuhörer von “Blasmusikpop” wiederholt Jazz-, Marsch-, Volksmusikeinlagen genießen, ohne sich jedes Mal fragen zu müssen, ob dies und das nun von den Fachleuten der Ernste-Musik-Szene “erlaubt” ist. Geht es nicht bei jedem Blasorchesterkonzert so? Ist die Blasmusikszene nicht jene glückliche Ausnahme im heutigen Musikbetrieb, wo jeder neue Komponist immer noch frei ist, seinen Inspirationen, seinen Vorlieben, Gott sei Dank seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen, ohne dafür von der Kritik als erzkonservativ angefeindet zu werden?

“Blasmusikpop” mit hervorragender Qualität der meisten musikalischen Einfälle

Hinzu kommt aber im Falle von “Blasmusikpop” noch etwas und zwar ganz einfach die hervorragende Qualität der meisten musikalischen Einfälle. Sei es in der Sprache des Musicals, der love ballad, des Volksliedes oder der glücklichen Wiederinbetriebnahme von (blas-)sinfonischen Klischees, Doss beweist in jeder Einsicht die Erfindungsgabe des großen Komponisten (den wir natürlich nicht erst heute entdecken), der immer in der Lage ist, die passende Musik für die passende Situation zu finden und seinem geschätzten Publikum zu vermitteln. Am Ende sprechen die Gefühle: Liebe, Stolz, Scham, Verwegenheit, Glück, all das, was seit der Erfindung dieser Hauptgattung westlicher Musikgeschichte das Wesentliche einer Oper wie des Lebens ausmacht. “Peu de science, un peu de coeur, tout est là” (Gioachino Rossini) – wobei das Können (“la science”) bei Thomas Doss viel mehr als “wenig” einzuschätzen sein dürfte.

Im Falle von “Blasmusikpop” können wir also dem begnadeten Autor der Musik (die in den allermeisten bisher erschienenen Rezensionen bezeichnenderweise nur am Rande und nicht immer frei von Vorurteilen und Provokationen besprochen worden ist) bescheinigen, den richtigen, den goldenen Weg zu weiteren (Meister-)Werken eingeschlagen zu haben, dies im Sinne einer wiedergefundenen Einfühlung mit einem Publikum, das sicherlich – anders als die meisten Beckmesser der Musikkritik – sein Werk auch dann und genauso begeistert aufgenommen hätte, wenn sich keine Freunde, alten Bekannten und Verwandten – und sogar ihr Pfarrer – unter den Ausführenden gefunden hätten.

Doss
Interview mit Thomas Doss