News, Orchestra | Von Benedikt Migge

Neujahrskonzert des Polizeiorchesters Bayern

Foto: Georg Kulot

Das Neujahrskonzert des Polizeiorchesters Bayern wurde live aus dem Herkulessaal auf YouTube übertragen. Hinter dem professionellen Livestream steckt eine Menge Vorbereitung, Equipment und Timing.

“3, 2, 1… Kamera läuft” statt warmer Applaus zu Konzertbeginn – eine Umstellung, an die sich auch professionelle Musikerinnen und Musiker ­gewöhnen müssen. Das Polizeiorchester Bayern spielt jedes Jahr im Januar das festliche Neujahrskonzert des Innenministers. Normalerweise wird das neue Jahr im Herkules­saal vor ausverkauftem Haus, mit rauschendem Beifall und “Prosit Neujahr”-Rufen begrüßt. 2022 muss der Zuschauerraum leer bleiben. Kein Aufwand also? Im Gegenteil.

Das Neujahrskonzert soll trotzdem stattfinden und per Livestream aus dem Herkulessaal übertragen werden. Die Vorbereitungen dafür starten schon Wochen vorher, denn sobald der Stream läuft, muss nicht nur jeder Ton auf der Bühne, sondern auch jeder Handgriff hinter der Bühne sitzen. Die Musikerinnen und Musiker des Orchesters haben in den fast zwei Jahren der Co­rona-Pandemie bereits einige Livestreams gestaltet, jedoch immer aus dem Probensaal des Polizeiorchesters und nie in voller Besetzung. So ist die Freude der Orchestermitglieder auch enorm, als sie am 4. Januar zum ersten Mal nach 662 Tagen in voller Besetzung proben dürfen. 

Wie hat sich das Orchester in der Corona-Pandemie entwickelt?

Nachdem alle negativ getestet sind, startet die erste Probe und alle lauschen konzentriert: Wie hat sich das Orchester in der Corona-Pandemie entwickelt? Kurze Zeit später ist man sich einig: Der Entschluss, in der Pandemie den Betrieb nicht auf Eis zu legen, sondern in verschiedensten Kleingruppen zu musizieren, macht sich nun bezahlt. Durch das Training im Ensemblespiel hat sich ein fast kammermusikalisches Spielverständnis bei den Musikerinnen und Musikern etabliert, das sich nun in der Vollbesetzung mit verbesserter Präzision und enormem Facettenreichtum bemerkbar macht. Bei der General­probe gibt es die erste Herausforderung: ein perfekter Durchlauf, bei dem eine Tonaufnahme gemacht wird. Diese Aufnahme wird am Konzerttag in der Regieprobe benötigt. Im Anschluss wird das Equipment auf den 40-Tonner geladen. 

Am Konzerttag läuft vor Konzertbeginn vieles parallel. Der Orchesterwart und seine Helfer laden den Lkw ab, bringen die Instrumente auf die Bühne und bauen für das 45-köpfige Orchester auf. Der Tonmeister bringt ein gutes Dutzend Mikrofone im Saal an. Harfe, Kontrabässe, E-Piano, E-Bass und Soloklarinette werden zusätzlich direkt abgenommen. Das Videoteam ist mit fünf Kameras, drei Kameramännern und -frauen, einem Regisseur, zwei Regieassistenten und einem Streaming-Spezialisten im Einsatz. Damit die herrschaftliche Kulisse des Herkulessaales im Livestream wirkungsvoll zur Geltung kommt, werden noch zusätzliche Scheinwerfer platziert. 

Umstellung auf mobile Datenübertragung

Da die Internetgeschwindigkeit für den Stream zu langsam ist, wird auf eine mobile Datenübertragung umgestellt. Inzwischen treffen die Musikerinnen und Musiker ein und versammeln sich auf der Bühne für die Tonprobe. Hier werden die verschiedenen Instrumentengruppen klanglich ausbalanciert. Ein besonderes Augenmerk legt Dirigent Prof. Johann Mösenbichler auf den Beginn des ersten Stücks. Wenn Pauke und Tam-Tam in vollem Fortissimo einsetzen, darf kein Mikrofon übersteuern. Register für Register wird überprüft, angepasst und einstudiert. Für die Orches­ter­mitglieder ist die Anspielprobe nicht weniger wichtig, da sie den Raumklang des Herkulessaals hier kennenlernen. Für die Instrumentalistinnen und Instrumentalisten ist “der Raum der wichtigste Mitspieler”.

Es folgt die Regieprobe, die für das Videoteam essenziell ist. Hier wird geprobt, welche Kamerafahrten und Schnitte später im Konzert zu sehen sein werden. Damit die Musikerinnen und Musiker sich in der zweistündigen Regieprobe nicht “abblasen”, wird die Tonaufnahme aus der Generalprobe als Playback abgespielt. Der Ansatz wird später im Konzert gebraucht, denn dann ist alles live. Regieassistent Benedikt Paul liest in der Partitur mit und bereitet den Regisseur vor: “In fünf Takten haben wir einen Einsatz der Oboe.” Regisseur Wolfgang Wunderlich gibt es über Funk an die Kameramänner weiter: “Die ‘Eins’ bitte zur Oboe und langsam reinfahren.”

Das Konzert kann nun beginnen

Mit fünf Kamerabildern simultan im Blick schaltet der Regisseur sekundengenau zu dieser Kamera um und die Zuschauer erleben hautnah mit, wie die Oboe zum Solo ansetzt. Streamingexperte Daniel Betz hat derweil die Übertragungsrate, den Farbabgleich und die Einblendungen im Blick. Tonmeister Simon Maischberger überprüft immer wieder die Tonqualität und nimmt nuancierte Korrekturen vor. Die Regie­probe ist geglückt. Kleine Korrekturen werden noch vorgenommen und der Teleprompter wird getestet, damit die Festrede von Innenminister Joachim Herrmann flüssig über den Schirm läuft. Moderator Peter Seufert testet sein Sprechmikro, ehe sich die Bühne leert. Für Moderator, Dirigent, Innenminister und den Vorsitzenden der Bayerischen Polizeistiftung, Thomas Lintl, geht es im Anschluss in die Maske. Das Konzert kann nun beginnen.

Punkt 18 Uhr geht es los. “3, 2, 1… Kamera läuft!” Der erste Einsatz glückt und das Orchester spürt, was es seit knapp zwei Jahren nicht erleben konnte: mit allen Musikerinnen und Musikern gleichzeitig auf einer Bühne sitzen und dem Publikum das volle Klangerlebnis zu präsentieren. Nur der fehlende Applaus aus dem leeren Saal nach der “Fanfare for the Common Man” ist nach wie vor ungewohnt. Dafür kommt Applaus und Anerkennung über den Videochat – den Zuhörenden gefällt es. Mit der Ouvertüre zur Operette “Die Fledermaus” und Alfred Reeds “Armenische Tänze” erleben die Zuschauerinnen und Zuschauer vor ihren Endgeräten in der Folge zwei anspruchsvolle Stücke für sinfonisches Blasorchester, bei denen das Orchester sein Können zeigen kann.

Mit Schwung und Hoffnung

Das Videoteam sorgt dafür, dass die Akteurinnen und Akteure se­kundengenau in den Fokus gestellt werden. Mit Joseph Strauss’ Walzer “Sphärenklänge” wird es anschließend richtig wienerisch, ehe Solist Peter Seufert mit Artie Shaws “Concerto for Clarinet” virtuos für Gänsehaut sorgt. Das Medley “München – Berlin” bringt dann einen musikalischen Reigen verschiedenster Genres auf die Bühne. Mit der “Champagner-Polka” und dem “Radetzky-Marsch” als Zugaben endet das Neujahrskonzert klassisch. Ein letzter Kamerawechsel in die Totale beendet den Livestream und bei den Musikerinnen und Musikern breitet sich Zufriedenheit aus. So startet das neue Jahr mit Schwung und der Hoffnung auf viele weitere erfolgreiche Konzerte.

Das Online-Live-Konzert ist dauerhaft auf dem YouTube-Kanal des Polizeiorchesters Bayern verfügbar.

Kurzinterview mit Dirigent Johann Mösenbichler

Herr Professor Mösenbichler, das Neujahrskonzert des Polizeiorchesters Bayern ist leider wieder nur “online” über die Bühne ge­gangen. Wie ist Ihr Resümee?
Mösenbichler
Foto: Tobias Epp

Mir war es in diesem Jahr wichtig, keine Produktion zu machen, bei der man nur aufnimmt. Ich wollte – auch und vor allem für die Musikerinnen und Musiker – eine Situation schaffen, die einem Konzert sehr ähnlich ist. Man braucht diesen “Live-Kick” einfach auch mal, bei dem es heißt: “Jetzt muss ich meine beste Leistung bringen.” Dadurch möchte ich die musikalische Sensibilität erhalten. 

Die bisherigen Online-Konzerte in kleinerer Besetzung haben uns in der Pandemie im Sinne der Individualität des kammermusikalischen Musizierens unglaublich geholfen. So haben wir es geschafft, die Präsenz am Markt nicht zu verlieren. Wir waren zwar nicht in der gewohnten Dichte unterwegs – aber wir waren zumindest nicht weg. 

Aber wie fühlt es sich an, ohne Publikum zu spielen? Zwar zu wissen, da draußen sitzen tausende Zuhörerinnen und Zuhörer – diese aber nicht zu sehen oder deren Reaktion zu erleben?

Man kann vieles über Bildschirme transportieren. Konferenzen, in denen es sachlich und inhaltlich zugeht, funktionieren ganz wunderbar. Aber selbstverständlich fehlen beim gestreamten Konzert die Interaktion, die Reaktionen und auch die Emotionen. Es ist ein komisches Gefühl, wenn ich mich nach einem Stück in den Saal verbeuge und genau weiß: Da sitzt niemand. Natürlich fehlt etwas. Wir haben aber bewusst keinen Applaus eingespielt. Der Innenminister und die wenigen produktionsbeteiligten Personen haben natürlich geklatscht. Selbst das ver­ursacht ein gutes Gefühl, wenn man deren Freude spürt. Aber natürlich ist die Intensität eine andere, ob da zehn Leute klatschen oder ob der Herkulessaal mit 1200 Menschen ausverkauft ist. Die Spannung, das Bemühen der Musikerinnen und Musiker allerdings ist bereits durch die Live-Situation gegeben.

Wird es diese Konzerte weiterhin geben? 

Es ist für mich völlig klar, dass es jährlich mindestens drei große repräsentative Konzerte geben wird, die man – auch mit Publikum im Saal – live streamen wird. Diese Schiene am Markt möchte ich keinesfalls mehr aus den Augen verlieren. Und das nicht nur, weil der YouTube-­Kanal lebendig bleiben muss. Diese aufgebaute Prä­sentationsform war für das Orchester in den vergangenen Monaten sehr sehr wichtig und das wird sie auch bleiben.

Die Pandemie hat das Polizeiorchester mit kleineren Besetzungen – bis hin zum halben Orchester – überbrückt. Wie waren die vergangenen 24 Monate?

Ich habe mich ein wenig gegen die Aktionen “Zweierbesetzungen vor dem Altersheim” gewehrt. Aber nicht, weil ich die Aktion schlecht fand, sondern weil ich das für unser Berufs­orchester nicht für das richtige Modell gehalten habe. Hier sind dann die ersten Ideen für die Online-Konzerte entstanden. Wir haben die Besetzungen so groß wie möglich und so klein wie ­nötig gewählt. Die Zehner-Besetzungen kamen dann ins Spiel. Neu war auch die Besetzung aus zehn Holzbläsern und einem Blechbläserquintett. Schließlich haben wir das Orchester halbiert und so Konzerte spielen. Herausfordernd war, Arrangements für die Besetzungen zu finden. Teilweise gibt es die ja schon, aber für manche Besetzung mussten wir sehr viele Ar­range­ment-Aufträge vergeben. Und ich bin sehr glücklich darüber, dass wir so zumindest ein paar Arrangeuren ein wenig helfen konnten. 

Und nun saß das gesamte Orchester erstmals wieder gemeinsam auf einer Bühne.

Das hat uns alle sehr glücklich gemacht. Nach fast zwei Jahren war das alles wieder neu. Jeder hat gerne in den kleinen Besetzungen musiziert und doch ist das Verhaltensmuster der Musizierenden im Orchester ein ganz anderes. Auch die Klangkomponenten zueinander ändern sich wieder völlig. Das war spannend. Und wir haben nicht viel miteinander geprobt, weil mit jeder Probe auch wieder das Risiko steigt, dass sich doch ein Corona-Fall einschleicht. Wir haben das Programm an drei vollen Probentagen einstudiert. 

Und wie geht es weiter?

Wir sind sehr optimistisch, dass wir im März wieder richtig in die Vollen gehen können. Wir haben viele Projekte für dieses Jahr geplant und wir planen defintiv mit dem vollen Orchester! Interview: Klaus Härtel