Brass | Von Klaus Härtel

Nils Wülker über Vertrauen

Wülker
Foto: Thomas von Aagh

Mit “Closer” legt Nils Wülker bereits sein 13. Album vor. Es ist ein Duo-Album, das er gemeinsam mit dem Gittaristen Arne Jansen eingespielt hat. Wülker weiß heute, und das wird auf “Closer” deutlich, dass “ich nicht alles in jedes Stück und auf jedes Album packen muss”. Und doch ist das, was hier zu hören ist, eine ganze Menge! 

Der Opener, der erste Titel des Albums, ist schon mal eine Messlatte. “Hurt” von den Nine Inch Nails, vor allem bekannt durch die düstere und großartige Version von Johnny Cash, ist keine einfache Nummer zum Warmlaufen. Der Trompeter Nils Wülker lacht und stimmt zu. Die Idee dahinter war, nicht nur eigene Kompositionen zu spielen, sondern auch anderes Repertoire zu wählen. Da lagen Coverversionen nahe – neben “Hurt” ist das auch noch “Let‘s Go Out Tonight” von The Blue Nile. “‘Hurt’ bedeutet mir viel und natürlich ist es eine große Messlatte. Aber wir haben uns gedacht: Wenn wir schon Coverversionen spielen wollen, dann können wir ja auch extrem gute Originale nehmen.”

Wie geht man an “Hurt” heran ohne die Biografie Johnny Cashs? Das müsse anfangs wirklich spröde sein, roh und direkt, meint Wülker. In knapp drei Minuten steigert der Titel sich mit Delays, Reverb und Distortion in wohlige Intensität. Der Song wird immer größer – “was ja auch bei Johnny Cash wahnsinnig gut gemacht ist.” Messlatte eben. Und die Messlatte wurde gemeistert. Wie überhaupt das gesamte Album der musikalischen Zweierbesetzung Trompete und Gitarre ein sehr aktiver und gelungener Dialog ist.

“Die Wahl der Covers haben wir auch am Albumtitel gemessen”, erklärt Nils Wüler. “Closer”, zu deutsch “näher”. Weil schon die Duo-Konstellation eine sehr enge Verbindung sei, haben die Musiker auch Stücke gewählt, die Intimität ausstrahlen, Nähe zur Musik schaffen und auch erlebbar für Zuhörerinnen und Zuhörer sind. 

Musik “für Arne und Nils”

“Ich hatte dann einfach Lust, für diese Albumproduktion neue Stücke zu schreiben. Ich wollte nicht nur bekanntes Repertoire verwenden, das schon mal für andere Besetzungen verwendet wurde. Die Musik habe ich für uns geschrieben, nicht nur für die Besetzung, sondern für Arne und Nils.” Die Nummer “Beyond the Bavarian Sky” habe er beim Schreiben schon zur Akustikgitarre gedacht. Und die Flügelhorn-Gitarren-Version von Wülker und Jansen, ist eine Verneigung vor einem der schönsten Duo-Alben der neueren Jazzgeschichte: Pat Metheny und Charlie Hadens “Beyond the Missouri Sky”. Es ist eine Freude, den beiden Musikern zuzuhören, sich in ihren Soundwelten zu verlieren, wenn sie etwa den Melodienrausch “Nika‘s Dream”, Wülkers Tochter gewidmet und erst kürzlich ein Highlight auf Wülkers Orchesteralbum “Continuum”, auf seine musikalische Essenz reduzieren, weniger opulent, kein bisschen weniger beeindruckend. Auch wenn sie sich in der Rolle des Solisten und Begleiters abwechseln.

Wülker
Nils Wülker und Arne Jansen (Foto: Thomas von Aagh)

Ein Duo empfindet der Trompeter als “eine eigene Kunstform”. Man habe sehr wenig Möglichkeiten, sich zu verstecken – in einer größeren Band sei das eher mal möglich. Auf “Closer” sind Nils Wülker und Arne Jansen für alle Rollen verantwortlich. “Wir wollten eben keine typische Melodieinstrument-Begleitinstrument-Konstellation aufnehmen, sondern ich versuche auch mal, mit meinem Instrument Akkordstrukturen zu schaffen, über die Arne dann mit der Gitarre spielen kann.”

Raum für wirkliche Interaktion

Diese vollkommene musikalische Gleichberechtigung wird auch dadurch deutlich, dass auf dem Cover zwei Namen stehen. “Bisher waren es dann doch Nils-Wülker-Alben.” Hier sei es zwangsläufig gleichberechtigter. Für solch eine Konstellation brauche man musikalisch viel Vertrauen zueinander, weiß Wülker. “Arne und ich kennen uns sehr lange. Das hilft dann natürlich, weil wir eine gemeinsame Sprache entwickelt haben über die Zeit.”

Der Trompeter Nils Wülker und sein Gitarrenkollege Arne Jansen kennen sich seit weit über 20 Jahren, seit fast 15 davon machen sie gemeinsam Musik. Neben der enormen künstlerischen Qualität verbindet sie seit jeher ihre Improvi­sationslust, diese unmittelbare Kreativität durch die sie in der Reaktion und Interaktion den Moment bestimmen. Schon 2019 spielten Wülker und Jansen eine deutschlandweite Duo-Tour unter dem Namen “Closer”. “So können es nur Freunde”, lobte die Presse schon damals. 

“Schon die Art, wie Arne einatmet, lässt mich erahnen, wohin das Energielevel geht”, lacht Wülker. Wenn man solch einen schnellen Draht zueinander habe, schnell aufeinander reagieren könne, dann habe man auch den Raum für wirkliche Interaktion. Viel geredet wird über die Musik eigentlich nicht, erklärt der Trompeter. “Wir spielen erst einmal und ohne viel zu quatschen entwickeln sich schon immer Dinge ziemlich weit …”

Kann eine solche Tatsache, sich so lange zu kennen, auch hinderlich sein? Kann es kompliziert werden, weil man aus einer Bequemlichkeit heraus die eingetretenen Pfade dann doch weniger verlässt? Nils Wülker sieht das nicht so. Er braucht das Vertrauen. Klar, es gebe ja dutzende Beispiele, bei denen Menschen ihre Energie aus der Spannung ziehen. “Und abseits der Bühne schauen die sich nicht mal mehr an … Ich aber brauche das Gefühl, mich fallenlassen zu können auf der Bühne. Ich muss mich wohlfühlen. Arne tickt genauso.” Wenn er wirklich etwas anderes hätte machen wollen, erklärt der Trompeter, etwas anderes, als er von Arne Jansen kenne, dann hätte er auch jemand anderes angerufen. Es bringe ja nichts, “jemanden in eine bestimmte Richtung zu biegen. Denn jeder ist am stärksten da, wo er sich musikalisch zu Hause fühlt.”

Bei Wülker und Jansen ist klar, dass da niemals einer den anderen “reinreiten würde”. Also irgendetwas spielen würde, womit der andere nichts anfangen könnte. “Selbst wenn ich dann wirklich mal etwas spiele, das so nicht verabredet war, weiß ich, dass Arne nicht gleich hektisch in die Setlist guckt und denkt: ‘Um Gottes Willen!’.” Nils Wülker nennt das Zusammenspiel “vorhersehbar”, merkt aber selbst, dass das Wort hier eine negative Konnotation hat. Denn für Überraschungen ist auch diese Duo-Konstellation immer gut. Gerade weil man sich so gut kennt. Die Vielseitigkeit und Fülle an Klängen und Stimmungen auf dem Album fasziniert und berührt gleichermaßen. Das Vertrauen ist spürbar.