Orchestra | Von Klaus Härtel

Oberst Klinkhammer verabschiedet sich von der Militärmusik

Militärmusik
Foto: Stefan Müller / Bundeswehr

Nach über vier Jahrzehnten im Dienst der Bundeswehr, davon zuletzt als Leiter des Militärmusikdienstes, tritt Oberst Thomas Klinkhammer zum 30. September 2025 in den Ruhestand. In einem offenen Gespräch mit Klaus Härtel blickt er zurück auf bewegte Jahre zwischen sicherheitspolitischen Herausforderungen, Nachwuchssorgen und kultureller Verantwortung. Ein Gespräch über Abschied, Optimismus – und die Zukunft der Militärmusik als Bindeglied zwischen Streitkräften und Gesellschaft.

Herr Oberst Klinkhammer, Sie gehen im Herbst 2025 in den Ruhestand.

Ganz genau. Zum 30. September endet meine Dienstzeit, in der ich zuletzt als Leiter des Militärmusikdienstes der Bundeswehr Verantwortung tragen durfte. Und natürlich beschäftigt man sich zwangsläufig schon mit dem Abschied. Es gibt einiges zu regeln – etwa die Entlassungsuntersuchung oder die Materialabgabe. Letzte Woche habe ich ein Seminar für ausscheidende Berufssoldatinnen und -soldaten besucht. Da wird einem dann schon deutlich: Jetzt wird’s langsam ernst.

Klingt ein wenig wehmütig. Oder überwiegt die Vorfreude auf die Zeit danach?

Beides, ehrlich gesagt. Ich liebe meinen Beruf, aber nach 45 Dienstjahren ist es auch an der Zeit, den Stab weiterzugeben.

Rückblick und Bilanz

Wenn Sie auf Ihre Zeit als Leiter zurückblicken – was bleibt besonders hängen?

Mein Ziel war es stets, den »Tanker Militärmusikdienst« auf Kurs zu halten. Ob das gelungen ist, müssen andere beurteilen. Ich bin sehr zufrieden. Wir stehen gut da – sowohl innerhalb der Bundeswehr als auch in der Öffentlichkeit. Unsere Musikeinheiten leisten hervorragende Arbeit, und das wird auch wahrgenommen.

Diese breite Akzeptanz war aber nicht immer selbstverständlich, oder?

Nein, besonders in den 1990er-Jahren war das eine andere Situation. Bei öffentlichen Gelöbnissen brauchten wir teilweise Polizeischutz. Das hat sich zum Glück deutlich verändert. Ein wichtiger Meilenstein in der Organisation der Militärmusik war die Aufstellung des Zentrums Militärmusik 2009. Dadurch wurde die gesamte Organisation und die Verantwortung für die Musik in der Bundeswehr gebündelt und der Fachdienst dadurch effektiver, schlagkräftiger und sichtbarer. Auch gesellschaftlich hat sich seitdem viel getan.

Herausforderungen der Gegenwart

Sie haben Ihr Amt als Leiter in einer schwierigen Zeit übernommen – die Corona-Pandemie klang gerade ab. Welche Herausforderungen prägten Ihre Amtszeit?

Corona war zweifellos eine große Herausforderung. Auch danach blieb es anspruchsvoll. Als Teil der Bundeswehr sind wir direkt von sicherheitspolitischen Entwicklungen betroffen. Ein zentrales Thema war und ist die sogenannte »Zweitrolle«: Welche Aufgaben übernehmen die Angehörigen des Musikdienstes im Verteidigungsfall? Darüber wurde und wird viel diskutiert.

Oberst Klinkhammer im Gespräch mit Chefredakteur Klaus Härtel (Foto: Sven Kempe/Bundeswehr)
Was genau würde diese Rolle umfassen?

Im Fall der Landes- und Bündnisverteidigung zeichnen sich Unterstützungsaufgaben für uns im Bereich des Sanitätsdienstes ab. Wir Militärmusiker verfügen über entsprechende Ausbildungen. Konkrete Pläne gibt es noch nicht, aber erste Richtungen deuten sich an.

Führt das zu Verunsicherung unter den Musikern?

Kaum. Bereits in der Corona-Zeit hat sich gezeigt, wie engagiert, qualifiziert und flexibel unsere Leute unterstützen können – etwa in Impfzentren oder Gesundheitsämtern. Auch viele Seiteneinsteiger sehen ihren Dienst als Beitrag für das Land. Die Motivation in unseren Reihen ist hoch.

Musikfest und Außenwirkung

Ein Aushängeschild ist auch das Musikfest der Bundeswehr. Wird dort aktuell ein Zeichen in Richtung Bündnistreue gesetzt?

Absolut. Das Musikfest soll auch die internationale Zusammenarbeit sichtbar machen. Letztes Jahr war zum Beispiel Finnland in der Rolle als neues NATO-Mitglied zu Gast. Dieses Jahr erwarten wir internationale Gäste aus Kroatien, Schweden, Schottland und Tschechien. Natürlich sind auch Orchester und Formationen der Bundeswehr dabei. Das Thema »70 Jahre Bundeswehr« wird eine zentrale Rolle spielen. Das Format eignet sich auch sehr gut dafür, gezielt die Leistungsfähigkeit der Bundeswehr und ihre Verbundenheit zur Bevölkerung darzustellen.

Ein echter Publikumserfolg, oder?

Auf jeden Fall. Das Musikfest wirkt sowohl nach innen als auch nach außen. Es stärkt das Wir-Gefühl in der Truppe und dient gleichzeitig der Öffentlichkeitsarbeit. Wir zeigen damit: Die Bundeswehr ist Teil der Gesellschaft – und Militärmusik ein wirkungsvoller Botschafter.

Ein neues Projekt ist das Militärmusikradio. Seit dem 8. Januar ist es online – wie wird es angenommen?

Überraschend gut! Die Rückmeldungen sind äußerst positiv, und auch die Verweildauer der Hörer ist mit teils über 45 Minuten erfreulich hoch. Das Angebot läuft über App und Web, organisiert und gehostet vom Evangelischen Presseverband mit seinem Sender Radio Paradiso. Die Bundeswehr selbst ist nicht Veranstalter, wir liefern die Inhalte und Informationen – hauptsächlich Musikproduktionen.

Also auch eine gute Werbeplattform?

Unbedingt – für die durch unsere Orchester gestalteten Konzerte, alles Benefizveranstaltungen, für die Musik allgemein. Ob das Programm künftig noch erweitert wird, etwa um Interviews oder Porträts, bleibt abzuwarten. Vorerst steht die Musik im Mittelpunkt. Außerdem ist es ein Novum in der Medienlandschaft, dass sich ein Sender ausschließlich mit dem Genre »Militär-Blasmusik« beschäftigt – die umfangreiche und interessierte Zielgruppe dürfte ja gerade in dieser Zeitschrift gut bekannt sein…

Personalfragen und Nachwuchs

Immer wieder diskutiert wird über mögliche Sparmaßnahmen, Fusionen oder sogar Schließungen von Orchestern. Wie ist der aktuelle Stand?

Ist das wirklich so? (lacht) Für den Bereich der Bundeswehr kann ich dazu sagen, dass es aktuell keine entsprechenden Pläne gibt. Wir sind insgesamt gut aufgestellt, und bei den Entscheidungsträgern besteht die Einsicht: Militärmusik ist wichtig – für die Truppe, für Repräsentationszwecke und als Bindeglied zur Bevölkerung.

Wie steht Verteidigungsminister Pistorius zur Militärmusik?

Er war zwar noch nicht persönlich vor Ort, aber bei einem Projekt unserer Big Band in seiner Heimatstadt Osnabrück hatte er die Schirmherrschaft übernommen und eine sehr wohlwollende Videobotschaft gesprochen. Man spürt, dass er hinter dem Thema steht.

Ein Dauerbrenner ist das Thema Nachwuchs. Gibt es weiter Engpässe?

Generell sind wir momentan gut aufgestellt, aber natürlich dauerhaft auf der Suche nach geeigneten Talenten bei allen Instrumenten für die hochwertige und attraktive Ausbildung in Kooperation mit der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf. Einen besonders hohen Bedarf und viele freie Stellen haben wir konkret bei der Klarinette. Durch gezielte Nachwuchswerbung – etwa bei Musikmessen – sind wir auf einem guten Weg. Die Bundeswehr hat unseren Bedarf erkannt und unterstützt unsere Projekte zur Vernetzung mit der Musikszene und Nachwuchsgewinnung.

Warum trifft es gerade die Klarinette?

Da kann man letztlich nur Vermutungen haben, wahrscheinlich spielen mehrere Faktoren eine Rolle: veränderte Schullandschaft, kostenintensiver Musikunterricht, geringere gesellschaftliche »Attraktivität« klassischer Instrumente. Generell konkurriert die digitale Welt stark um die Aufmerksamkeit junger Menschen. Instrumente wie Trompete, Saxofon oder Schlagzeug gelten oft als »cooler« bei jungen Menschen, Klarinette eher als traditionell. Das wirkt sich auf die Bewerberzahlen aus.

Wie ist die Lage bei Seiteneinsteigern und im Ausbildungsmusikkorps?

Seit Corona steigt die Zahl der Quer- und Seiteneinsteiger – auch bei der Klarinette. Das hilft uns sehr. Das Ausbildungsmusikkorps in Hilden ist dabei ein zentraler Baustein – dort brauchen wir auf allen Instrumenten möglichst viele Bewerber. Früher, mit der Wehrpflicht, war das einfacher: Viele junge Männer kamen automatisch über den Wehrdienst mit der Militärmusik in Kontakt. Diese Vernetzung und Mundpropaganda durch Generationen von Ehemaligen fehlt heute – das lässt sich nur schwer kompensieren.

Hat sich durch den Wegfall der Wehrpflicht aber nicht auch die Qualität gesteigert?

Das ist richtig. Heute haben wir feste Musikkorps mit 50 Profis, wobei das Stabsmusikkorps sowie das Musikkorps der Bundeswehr über mehr Personal verfügen. Vor Ihrer Leserschaft muss ich nicht erklären, dass ein homogener, virtuoser und individueller Klang sich langfristig formt und entwickelt. Das ist nun mit einer festen und langfristig gleichen Orchester-Besetzung möglich. Früher, in Wehrpflichtzeiten, gab es durch den ständigen Wechsel weniger Kontinuität, dafür mehr Bewegung, allerdings auch eine größere Auswahl an Kandidaten für die Ausbildung. Insgesamt stelle ich fest, dass unsere Orchester professionell und auf einem sehr vorzeigbaren Niveau arbeiten.

Führungsverantwortung und persönliche Perspektiven

Wie sieht Ihre Rolle als Leiter dabei konkret aus – gerade im Hinblick auf Qualitätssicherung?

Das Zentrum Militärmusik sorgt für die bestmögliche Ausstattung der Orchester mit Personal und Material. Ich besuche regelmäßig die Musikkorps, höre Konzerte, tausche mich mit den Leitern aus. Alle zwei Jahre erfolgt zudem eine fachliche Beurteilung vor Ort – musikalisch wie organisatorisch. Da schauen wir uns die sogenannten Führungsgrundgebiete, wie beispielsweise die Material- oder die Personalbearbeitung, an. Es ist eine helfende Dienstaufsicht – weniger eine musikalische Einmischung als eine truppendienstliche Unterstützung auf Augenhöhe.

Haben Sie das Dirigieren eigentlich vermisst?

Es war seinerzeit eine bewusste Entscheidung, nach elf Jahren an der Spitze eines Musikkorps, 2003 nach Bonn in den Stab des Leiters zu wechseln – auch aus familiären Gründen. Die Zeit als Dirigent war großartig, aber auch danach die langjährige organisatorische Arbeit sehr erfüllend. Nach wenigen Jahren im Büro habe ich auch das Gastdirigieren und die Jurytätigkeit eingestellt, weil ich merkte, dass ich den Instinkt, vorausschauend Probleme, die ein Orchester bei der Umsetzung der Partitur bekommen könnte, zu erahnen mehr und mehr verlor. Heute liegt mein Fokus auf anderem: schreiben, lesen, Netzwerken.

Ausblick und Abschied

Und wenn Sie am 1. Oktober im Ruhestand sind – haben Sie dann schon musikalische Pläne?

Nein, es gibt keine festen Pläne. Ich möchte wieder mehr Klavier spielen – meine Frau ist Flötistin, aber wir sind uns da selten einig (lacht). Vielleicht unterrichte ich meine Enkel. In Lüttich, in der Nähe unseres Wohnorts, gibt es ein schönes Opernhaus, da würde ich gerne öfter mal Vorstellungen besuchen. Dafür war bislang keine Zeit.

Ihr Nachfolger im Amt wird Oberst Christoph Scheibling. Was geben Sie ihm mit auf den Weg?

Nichts – außer volles Vertrauen. Wir arbeiten schon jetzt eng zusammen, er ist in allen Themen topfit. Jeder macht die Aufgabe auf seine Weise – und ich bin sicher, er wird das hervorragend machen.

Die »Woche der Militärmusik« vom 23. bis 26. Juni im Zollernalbkreis steht bald an – Ihre letzte?

Ja, zumindest die Eröffnung werde ich noch dirigieren. Das wird ein schönes Highlight zum Abschluss. Ich freue mich darauf.

Ein Gedanke zum Abschied: Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich kürzlich mit unter anderem »Respect« beim Großen Zapfenstreich verabschiedet. Wenn es für Sie einen Großen Zapfenstreich gäbe – welche Musik würden Sie sich wünschen?

Ein schöner Marsch zur Übergabe wäre der »Optimisten-Marsch«. Der drückt das aus, was ich empfinde: Das Leben geht weiter.

Klinkhammer

Thomas Klinkhammer 

stammt aus einer musikalischen Familie und erhielt bereits mit sechs Jahren Klavier- und später Klarinettenunterricht. Nach dem Abitur trat er als Offizieranwärter in die Bundeswehr ein und studierte ab 1981 Kapellmeister an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf mit den Hauptfächern Dirigieren und Klavier. Nach Abschluss des Studiums 1985 übernahm er Führungspositionen in verschiedenen Musikkorps der Bundeswehr, darunter als Leiter des Heeresmusikkorps 9 in Stuttgart und des Heeresmusikkorps 300 in Koblenz (bis 2003).

Es folgte der Wechsel in die Administration, zunächst ins Dezernat Militärmusik des Streitkräfteamtes, dann ins Zentrum Militärmusik. Am 22. Februar 2022 wurde er zum Leiter des Militärmusikdienstes der Bundeswehr ernannt. Klinkhammer ist verheiratet und Vater zweier Kinder.