Brass, News | Von Kristin Thielemann

Oskar Böhme: ein Denkmal für einen großen Kornettisten

Oskar Böhme
Eine Wiederentdeckung: Oskar Böhmes Autograph op. 16

Das Trompetenkonzert in f-Moll gehört zu den romantischen Standardwerken im Repertoire von Trompetensolisten. Neben der hier besprochenen Fassung mit Klavier sind mittlerweile auch Ausgaben für Sinfonie- und Blasorchester erhältlich. Aber der Trompeter und Komponist Oskar Böhme hat noch viele weitere wunderbare Solostücke geschrieben, denen Helmut Fuchs, Solotrompeter der Staatskapelle Dresden, und die Pianistin Lilly Zhang-Sowa mit ihrem neuen Tonträger eine Plattform bietet.

Neben dem ebenfalls bekannten “Russischen Tanz”, “La Napolitaine” und der Romanze “Soirée de St. Petersbourg” für Kornett und Harfe (fabelhaft Johanna Schellenberger!) finden sich auch noch richtige Erstaufnahmen und Neuentdeckungen unter den Stücken, bei denen Fuchs und Zhang-Sowa Maß­stäbe setzen: Mit bezauberndem Klang gestaltet der aus Österreich stammende Trompeter wunderschöne Phrasen, die Zhang-Sowa galant und facettenreich begleitet. Helmut Fuchs, dem das Erbe Oskar Böhmes ein großes persönliches Anliegen ist, spielt nicht nur technisch und musikalisch auf allerhöchstem Niveau – er findet auch eine Interpretation, die der musikalischen Idee Oskar Böhmes würdig ist, und wagt zugleich Neues, was diese Aufnahmen unverwechselbar macht. Diese besonderen Einfälle des Solo­trompeters machen die Einspielungen zu etwas ganz Besonderem.

Dass Lilly Zhang-Sowa eine hoch­qualifizierte ­Pianistin und eine würdige Kammermusikpartnerin für Helmut Fuchs ist, stellt sie vom ersten bis zum letzten Ton dieser Werke unter ­Beweis: Mühelos gelingen ihr Wechsel zwischen teuflisch virtuosen Passagen und zar­testen Phrasen. 

Und so lässt diese CD hoffen, dass Leben und Werke Oskar Böhmes, welches bis zum Erscheinen des Buches »Der Trompeter von St. Petersburg« des SPIEGEL-Korrespondenten Christian Neef im Dunkeln lagen, in Zukunft eine noch stärkere Würdigung in der Musikwelt erfahren. 

Bravo für dieses gelungene Projekt!

Oskar Böhme
Oskar Böhme 

geboren 1870 in Potschappel (nahe Dresden), war ein bekannter Cornet à Pistons Solist, der in Hamburg, Berlin und Leipzig sein Instrument, aber auch Musiktheorie, Komposition und Klavier studierte. Bereits ab 1885 unternahm er Konzertreisen durch Europa und trat als Orchestermusiker in Erscheinung. 

1898 zog er nach St. Petersburg, unterrichtete, komponierte, wurde Mitglied im Orchester des Mariinski-Theaters und später sogar Ehrenbürger der Stadt sowie russischer Staatsangehöriger. Einige seine Kompositionen wurden verlegt und sind dadurch der Nachwelt erhalten geblieben. 

Die Machtergreifung der Bolschewiki brachte entscheidende ­ Verschlechterungen der Lebensumstände für Oskar Böhme mit sich. Von nun an galt er trotz seiner russischen Staatsbürger-schaft und Ehe mit einer Russin wieder als Ausländer und sah sich Repressalien seitens des Regimes ausgesetzt. Lange Zeit ­galten sein Verbleib und seine Todesumstände als ungeklärt, bis 2015 SPIEGEL-Korrespondent Christian Neef mit seinem Buch “Der Trompeter von Sankt Petersburg” Licht ins Dunkel bringen konnte: Oskar ­Böhme wurde im Jahr 1935 nach Orenburg ­verbannt und dort 1938 zum Tode verurteilt. Dieses Urteil wurde am 3. Oktober 1938 vollstreckt. Wo er be­graben liegt, ist nicht ­bekannt.

Helmut Fuchs im Gespräch

Warum haben Sie eine spezielle Verbindung zum Komponisten und Trompeter Oskar Böhme? 

Das Trompetenkonzert in f-Moll war für mich bereits zu Studienzeiten eines meiner Lieblings­stücke. Auch viele der weiteren Kompositionen Oskar Böhmes haben eine mindestens genauso große musikalische Ausdruckskraft. Das fesselt mich seit langem. Als mich im Sommer 2019 der Autor des Buches “Der Trompeter von Sankt Peters­burg”, Dr. Christian Neef, kontaktierte, um seine Buchpräsentation mit Werken Böhmes zu umrahmen, zog mich beim Lesen seines Buches das Leben Oskar Böhmes in seinen Bann: Ge­boren bei Dresden, Musikstudium in Leipzig, musiziert in St. Petersburg. Ich selbst bin bei Salzburg geboren, habe in Wien studiert und bin über Nizza nach Dresden an die Staatskapelle gekommen. Dort zu arbeiten, wo Böhme ge­boren wurde – was gibt es da Schöneres, als ihm zu seinem 150. Geburtstag zu gedenken und sei­ne Werke wieder neu zum Klingen zu bringen? 

Nun haben Sie mit Ihrer neuen CD “150 ­Jahre Oskar Böhme” dem Musiker und Kompo­nisten ein musikalisches Denkmal gesetzt. Haben Sie noch andere Projekte geplant, um das Andenken an Oskar Böhme wachzuhalten?

Ein musikalisches Denkmal… es gibt viele weitere hervorragende Einspielungen seines Trompetenkonzerts, jedoch zeichnet diesen Tonträger aus, dass wir viele Ersteinspielungen und eine Welturaufführung von Werken Oskar Böhmes in dieser Zusammenstellung haben. Noch kurz vor Beginn der Corona-Krise, am 27. Februar 2020, konnten wir mit Kolleginnen und Kollegen der Sächsischen Staatskapelle Dresden Böhmes Trompetensextett in es-Moll, op. 30, aufführen. Geplant war zudem ein “Oskar Böhme Trompetenwettbewerb” in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik in Dresden. Dieses Projekt musste jedoch vorerst auf Eis gelegt werden. Gemeinsam mit einigen wunderbaren Musikern plane ich bereits die Einspielung der Ensemblestücke Oskar Böhmes, um eine Gesamtaufnahme seiner Kompositionen vorzulegen.

Zumindest das, was von Oskar Böhmes Schaffen übriggeblieben ist, denn nicht alles ist überliefert. In den letzten Jahren seines Lebens, nach dem Machtwechsel in Russland, hatte die deutschstämmige Bevölkerung stark unter dem neuen politischen System zu leiden. Christan Neef konnte eine Komposition aus Böhmes Nachlass in St. Petersburg finden. Auf der CD erklingt es zum ersten Mal seit vielen Jahrzehnten. Was war das für ein Gefühl, diese lange verschollene Musik wieder auferstehen zu lassen?

Ein Autograf zu finden, die originale Handschrift mit eigenen Augen zu sehen, zu wissen, dass dieser Mensch vor genau diesem Stück Papier saß, diese Noten aufs Papier schrieb – all das hat für mich etwas Erhabenes. Doch der Zauber entsteht zusätzlich noch in der ersten Wiedergabe des Werks. Etwas, was wahrscheinlich vor uns noch nie jemand gehört hat oder was sehr lange nicht mehr aufgeführt wurde, entsteht nun von Neuem – einfach traumhaft! Ich denke, so muss es Archäologen gehen, wenn sie Tonscherben aus dem Mittel­alter finden. Nach der Restaurierung oder Rekonstruktion folgt die “Wiederauferstehung”. 

Können Sie dieses Musikstück, das Sie wiederentdeckt haben, für die Leserinnen und Leser beschreiben? Um was für eine Musik handelt es sich und in welchem Kontext hat Oskar Böhme sie komponiert?

Eigentlich war die Wiederentdeckung des Stücks “Im süßen Zauber” op. 16 ein riesengroßer Glücksfall, der schlicht auf eine Haushalts­auf­lösung zurückzuführen ist. Leider konnte der Verkäufer dieses Schatzes nichts Genaueres zu der Herkunft erklären. Es handelt sich um ein Liebeslied für Tenor und Klavier, welches Böhme während seiner Studienzeit am Leipziger Konservatorium im September 1896 komponierte. Dieses Lied widmete er Fräulein Lisbeth Hoffheiser, der Schwester seiner Rostocker Schwägerin und späteren Frau seines Bruders Eugen Böhme. Ob Oskar Böhme dieses enorm ausdrucksstarke Lied im Auftrag seines Bruders schrieb, ist leider nicht bekannt.

Helmut Fuchs

Helmut Fuchs, geboren 1984 in Oberndorf bei Salzburg, studierte Trompete an der Universität Mozarteum Salzburg und an der Universität für Musik und dar­stellende Kunst Wien Konzertfach und Instrumental­pädagogik Trompete. Seit 2016 ist er Solotrompeter der Sächsischen Staatskapelle Dresden.