Wood | Von Hans-Jürgen Schaal

Pierre-Max Dubois, der glückliche Außenseiter

Saxofon
Foto: Christoph Schütz /Pixabay

Kaum jemand hat so viele Werke für klassisches Saxofon geschrieben wie Pierre-Max Dubois (1930 bis 1995). Das Spektrum reicht von der Anfänger-Etüde bis hin zum großen Solistenkonzert mit Orchester. Die wichtigsten Einflüsse für seine Musik waren Milhaud, Françaix und Prokofiew. 

“Musik ist für mich etwas Unterhaltsames und Natürliches”

Über 150 Werke hat er komponiert, darunter etwa 20 Sinfonien, drei Opern, sechs Ballettmusiken. Obwohl er auch als Dirigent und Pianist Karriere machte und fast 30 Jahre lang Professor am Pariser Konserva­torium war, schuf Pierre-Max Dubois scheinbar mühelos eine Komposition nach der anderen. Am Ende seines Lebens war er stolz darauf, dass er in allen Werkgattungen etwa ebenso viel geschrieben hatte wie sein “Meister” Darius Milhaud. “Ich bin eine gute Legehenne”, sagte Dubois. “Ich schreibe für alle Instrumente, ich habe immer ein Stück in petto.” Anders als viele Komponisten seiner Generation kümmerte er sich dabei wenig um die drängenden Fragen der Musik-Avantgarde. “Er trotzte den innovativen Strömungen völlig sorglos”, schreibt die französische Komponistin Maguy Lovano, die Dubois seit dem Studium kannte. Die Welt des tonalen (oder polytonalen) Komponierens war Dubois ein Leben lang groß genug. “Ich habe nicht den Ehrgeiz, den Lauf der Dinge zu verändern.”

Elegant, virtuos und humorvoll – so klingt seine Musik. Seine Landsleute Jean Françaix (1912 bis 1997) oder Francis Poulenc (1899 bis 1963) waren ihm darin Vorbilder. “Mich drängt mein Charakter, heitere Musik zu schreiben”, sagte Dubois. “Musik ist für mich etwas Unterhaltsames und Natürliches. Ich liebe Humor.” Mit dieser fröh­lichen Lässigkeit war er schon in den 1950er Jahren ein Außenseiter – damals drehte sich die akademische Musik-Diskussion in Frankreich um Boulez und die Serialisten. Doch Dubois scherte das wenig. Schon 1949 bekam er Rundfunkaufträge, 1955 gewann er den Großen Rom-Preis (für eine Kantate), 1964 den Großen Paris-Preis (für ein Streicherstück). Einen Grund, seinen Kompositionsstil zu verändern oder weiterzuentwickeln, sah er nie. “Ich schreibe genauso wie früher”, sagte er im Alter. “Ich bin glücklich mit meiner Musik und bedauere nichts.”

Spezialist fürs Saxofon

Als Teenager – beim Studium in Tours – glänzte Pierre-Max Dubois nicht nur in Harmonielehre und im Klavierspiel, sondern auch als Klarinettist. Das Komponieren für Blasinstrumente sollte ihm ein Leben lang wichtig bleiben. Am Pariser Konservatorium, in das er 1949 eintrat, wurde Darius Milhaud (1892 bis 1974) sein Lehrer – ein Komponist, der für musikalische Einflüsse aus aller Welt offen war. Schon um 1920 hatte Milhaud auch das Saxofon verwendet – 1939 hatte er für Marcel Mule, den damals führenden klassischen Saxofonisten Frankreichs, die dreisätzige “Scaramouche”-Suite geschrieben, einen Klassiker der Saxofonliteratur. 

Eben dieser Marcel Mule (1901 bis 2001) übernahm 1944 in Paris den wieder eingeführten Lehrstuhl für Saxofon – fünf Jahre später kam Dubois ans Konservatorium. Seine eigene Neigung zu Rohrblattinstrumenten und der doppelte Einfluss von Milhaud und Mule – kein Wunder, dass Dubois bald schon fürs Saxofon zu komponieren begann.

Mindestens 65 (!) Werke hat Dubois fürs Saxofon geschrieben. Die frühesten – ein dreisätziges Divertissement (1953), ein zweisätziges “Concertstück” (1955), eine viersätzige Sonate (1956) und das zweisätzige Impromptu “Le Lièvre Et Le Tortue” (1957) – entstanden dezidiert für Marcel Mule, seine Abschluss-Wettbewerbe und seine Meisterschüler. “Dubois hat einen sehr ausgeprägten Sinn für Melodik, der zu unserem Instrument besonders gut passt”, sagte Mule, der Saxofonprofessor. Speziell für die drei “Standard-Formate” des klassischen Saxofonrepertoires – die Duo-Besetzung Saxofon und Klavier, das Saxofonquartett und das Saxofonkonzert mit Orchester – schuf Dubois zahlreiche Kompositionen, meist im Auftrag führender Solisten und Ensembles. Viele seiner Saxofon/Klavier-Werke entstanden als Übungs- oder Prüfungsstücke fürs Saxofonstudium. Am Ende seines Lebens veröffentlichte Dubois außerdem neun Bände mit Saxofon-Etüden in verschiedenen Schwierigkeitsgraden – insgesamt 185 (!) Etüdenstücke. 

Quartette und Konzerte

Dubois’ erstes Saxofonquartett (1956) – für Sopran-, Alt-, Tenor- und Baritonsaxofon – gehört heute (neben den Quartetten von zum Beispiel Bozza, Desenclos, Françaix, Pierné, Rivier, Schmitt oder Singelée) zu den Klassikern des Genres. Es ist ein durch und durch “französisches” Werk – harmonisch raffiniert, mit rhythmischem Schwung und melodischem Esprit. Die Ouvertüre mit ihren lebhaften Synkopen, das klagende, sich steigernde Doloroso, das Presto-­Finale – 17 Minuten mitreißende Saxofonmusik. Einige Jahre später schrieb Dubois für Saxofonquartett auch ein Concertino (mit Kammerorchester, 1967) und die neun “Variations” (1968). In den 1980er Jahren folgten für die Quartettbesetzung das “Petit Quatuor” (1980), “Les Métamorphoses” in sechs Sätzen (1982) und “L’Imprévu” (1986), inoffiziell sein 3. Saxofonquartett. Zwei weitere Saxofonquartette entstanden kurz vor seinem Tod: die 3 Petites Sonates à Scarlatti (1990) und die “10 Préludes Imaginaires” (1993), von denen es auch Fassungen mit Orchester, Blasorchester oder Klavier gibt.

Ähnlich populär wie das erste Saxofonquartett von 1956 ist Dubois’ erstes Saxofon-Solokonzert mit Orchester (in drei Sätzen) von 1959. Jean-Marie Londeix war der Solist bei der ersten Einspielung 1961. Zehn Jahre später nahm Eugène Rousseau es für die Deutsche Grammophon auf, zusammen mit den Saxofonkonzerten von Glasunow, Ibert und Villa-Lobos. Der Musikkritiker Uwe Kraemer beschrieb Dubois’ Konzert als “sprudelnde Spielmusik”. Der kaum gebrochene Klassizismus erinnert streckenweise an Prokofiews erste Sinfonie. Die schwierige Kadenz im 1. Satz wurde übrigens von Londeix improvisiert und danach von Dubois als integraler Bestandteil des Werks autorisiert.

Auch für Saxofonorchester hat Dubois komponiert.

Ein zweites Saxofonkonzert (in vier Sätzen) entstand für Daniel Gremelle und wurde von Dubois erst kurz vor seinem Tod beendet (1995). Vor allem das wilde Prestissimo und der ebenso temperamentvolle Schlusssatz (“Giocoso con fantasia”) sind sichere Publikumsrenner. Für Solo-Saxofon und Orchester (alternativ: Saxofon und Klavier) gibt es außerdem eine viersätzige Sonatine (1966) und die vier “Moments Musicaux” (1985). Auch für Saxofonorchester (z.B. für 14 Saxofone oder für 11 Saxofone und Perkussion) hat Dubois komponiert.

Im Bereich der Kammermusik verwendete Dubois das Saxofon für einige ungewöhnliche Kombinationen. Er schrieb etwa ein Bläserquartett für zwei Saxofone und zwei Klarinetten oder eines für Oboe, Klarinette, Altsaxofon und Fagott. Und er schrieb Trios für drei Saxofone, für zwei Saxofone und Perkussion, für Flöte, Altsaxofon und Piano, für Flöte, Tenorsaxofon und Harfe, für Oboe, Altsaxofon und Cello. Er schrieb auch Duos für zwei Altsaxofone oder für Saxofon und Perkussion oder für Violine und Saxofon. Zudem verwendete er das Saxofon in einem gemischten Bläsersextett oder einem Bläserquintett. Viele seiner Saxofonwerke sind namhaften Solisten gewidmet bzw. von ihnen in Auftrag gegeben. Darunter waren Marcel Mule, Daniel Deffayet, Jean-Marie Londeix, Georges Gourdet, Serge Bichon, Daniel Gremelle, François Daneels, Jean-Pierre Vermeeren, Jean Ledieu, Erik Tangvold und Paul Pareille.