Gestresste und unkonzentrierte Kinder kennt heutzutage jeder Instrumentalpädagoge. Wie kann man trotzdem guten Unterricht machen und mit Lust und Leichtigkeit musizieren? Renate Vornhusen hat eine Lösung dafür in der Kinesiologie gefunden. Mit ihrem Konzept „Instant Balance“ will sie nun auch anderen Instrumentallehrern ein effektives Werkzeug an die Hand geben.
Frau Vornhusen, wie kommt man als gelernte Musikerin und Instrumentalpädagogin denn dazu, eine Praxis für Kinesiologie zu eröffnen?
(lacht) Das weiß ich selber nicht so recht. Ich habe Musik studiert und immer auch selbst unterrichtet. Über meinen Lehrauftrag an der Musikhochschule in Münster, zuerst für Klavier, später dann für Klavier-Fachdidaktik, bin ich dann zur Studiendekanin gewählt worden. Dabei wird man natürlich mit vielen neuen Aufgaben konfrontiert, weshalb ich dann nebenbei eine Ausbildung für personenzentrierte Beratung gemacht habe. Dabei lernt man, mit Leuten nicht auf einer hierarchischen Ebene, sondern auf Augenhöhe zu kommunizieren. Und so bin ich dann auch zur Kinesiologie gekommen, wo es ja auch um Selbsthilfe geht.
2016 habe ich die dreijährige Ausbildung zur Kinesiologin angefangen und dann auch abgeschlossen. Dabei kam mir der Gedanke, dass man dieses Wissen wunderbar in der Musik anwenden kann. Als Instrumentalpädagoge muss ich vor allem bei sehr jungen Schülern auf zahlreiche Herausforderungen eingehen können. Wenn ein Kind in der Schule mit ADHS oder Dyskalkulie zu kämpfen hat, kommt es damit natürlich auch in den Instrumentalunterricht. Und das ist der Ansatzpunkt für die MusiKinesiologie und mein Konzept „Instant Balance“.
Was genau ist Kinesiologie denn überhaupt?
Kinesiologie ist die Lehre von der Bewegung. Bewegung ist dabei nicht in erster Linie sportlich gemeint, sondern bezieht sich auf die drei Ebenen des Menschseins: Neben der körperlichen Bewegung geht es also auch um die geistige und die emotionale Beweglichkeit. Kinesiologie ist also ein ganzheitliches Konzept.
Darunter fallen ganz verschiedene Richtungen. Eine großer Zweig ist die Applied Kinesiology – um das machen zu dürfen, braucht man eine medizinische Ausbildung. John F. Thie hat dann in den 70er Jahren »Touch for Health« entwickelt. Grob umrissen kommt das aus der Traditionellen Chinesischen Medizin und arbeitet über Meridiane und zugeordnete Muskeln. Das ist eigentlich eine Art Hilfe zur Selbsthilfe und somit auch für medizinische Laien gedacht. In den 80er Jahren hat der amerikanische Pädagoge Paul Dennison außerdem die Edu-Kinestetik entwickelt, die sich damit beschäftigt, wie man am effektivsten lernt, wie Lern-Blockaden entstehen können und wie man diese lösen kann.
Die Basis für mich und die MusiKinesiologie ist das Wissen aus „Touch for Health“, die Edu-Kinestetik mit dem Brain Gym und die Entwicklungskinesiologie. Da schaut man zum Beispiel, was ein Grund dafür sein kann, warum etwas nicht so richtig funktioniert – bei Bläsern beispielsweise die Atmung.
Ist MusiKinesiologie eine etablierte Methode oder wurde das Konzept von Ihnen neu entwickelt?
Es gibt ein Buch „Musik-Kinesiologie“ von Rosina Sonnenschmidt, allerdings arbeitet die Autorin mit professionellen Musikern. Meine Zielgruppe sind zum einen die Instrumentallehrer, im Endeffekt dann aber natürlich auch die Kinder im Unterricht. Die Verbindung von Kinesiologie mit Instrumentalpädagogik ist neu, das hat meines Wissens nach noch nie jemand gemacht. Ich habe im November damit angefangen und den Eindruck, dass da großer Bedarf besteht.
Ich versuche deshalb in Zusammenarbeit mit dem Institut für Kinesiologische Lehre in Damme auch eine strukturierte Ausbildung für MusiKinesiologie zu kreieren. Wenn ein Instrumentalpädagoge auf diesem Gebiet ausgebildet ist, hätte er auch für seine Selbstvermarktung ein dickes Plus, schließlich gibt es immer mehr Kinder, die auf dieser Ebene Probleme haben.
Was lernen die Teilnehmer Ihrer Seminare denn genau?
Meine erste Kursreihe heißt „Basics im Instrumentalunterricht“. Da zeige ich den Instrumentallehrkräften beispielsweise, dass es viele Ursachen haben kann, wenn ein Kind nicht richtig Noten lesen kann oder Probleme mit der Motorik hat und mit welchen Übungen man solche Schwierigkeiten deutlich reduzieren kann. In meinen Kursen wird also Hintergrundwissen zu möglichen Ursachen vermittelt, dazu kommen Übungen und natürlich das Wissen, was diese Übungen bewirken. Letztendlich hat man eine Win-win-Situation: Ich selbst mache mir das Unterrichten leichter, weil der ganze Stressfaktor wegfällt, und ich helfe dem Kind, weil es merkt, dass ihm die Übungen etwas bringen – übrigens auch in der Schule. Diese Verbindung ist total genial.
Wie bringt man einen unkonzentrierten Instrumental-Schüler denn relativ schnell wieder in die Spur?
Wenn man mit Kinesiologie arbeitet – also auch im Unterricht –, dann fängt man immer mit der PACE-Leiter an, einem Element aus dem Brain Gym. P steht für positiv, A für aktiv, C für clear (also klar sein) und E für energetisch. Zu jedem Buchstaben gibt es eine Übung. Wie bei einer Leiter fängt man unten an, in dem Fall also mit dem letzten Buchstaben E, und da geht es schlicht und ergreifend darum, Wasser zu trinken. Das Gehirn und auch der Körper braucht Wasser, um richtig arbeiten zu können. Für die Klarheit werden bestimmte Gehirn- oder auch Anschaltpunkte 30 Sekunden lang massiert, wodurch die Konzentration gefördert wird.
Für das Aktivsein machen wir Überkreuzbewegungen. Und zum Schluss, also bei P, machen wir Hook-ups. Bei dieser Übung konzentriert man sich sehr auf sich selbst und so kann man dann ganz entspannt in den Unterricht überleiten. Alle Übungen dauern maximal 30 Sekunden, deshalb stehen Aufwand und Nutzen eigentlich in keinem Verhältnis.
Zusammengefasst: Wo liegen die Stärken der MusiKinesiologie und wo Grenzen?
Der Oberbegriff für dieses ganze Konzept, an dem ich immer noch arbeite, ist „Instant Balance“, also sofort in Balance sein – und darin sehe ich auch die große Stärke. Eine Grenze, wo man mit Kinesiologie tatsächlich nicht weiterkommt, habe ich bisher noch nicht erlebt. Zu mir kommen allerdings auch nur völlig normale Kinder mit völlig normalen Problemen – also ohne Behinderung.
In der Süddeutschen Zeitung ist vor einigen Jahren ein Artikel erschienen, der kinesiologische Verfahren als „nicht nur unnütz und teuer, sondern auch schädlich, wenn damit wertvolle Zeit für wirkliche Hilfe vertan werde“ bezeichnet. Wie ordnen Sie diese Aussage ein?
Natürlich gibt es – wie in jedem Beruf – schwarze Schafe. Und die machen den Ruf kaputt. Kinesiologe ist kein geschützter Begriff. Wenn man sich kinesiologisch betreuen lässt, sollte man deshalb unbedingt auf eine gute Ausbildung über die Deutsche Gesellschaft für Angewandte Kinesiologie (DGAK) achten. Wer eine solche dreijährige Ausbildung durchlaufen hat, führt den Titel „Kinesiologe BK-DGAK zertifizert“. Wenn jemand diese Ausbildung nicht hat, wäre ich skeptisch.
Kann man MusiKinesiologie auch im Online-Unterricht einsetzen?
Aufgrund der aktuellen Bestimmungen finden meine Kurse gerade auch online statt und da mache ich die Übungen mit den Teilnehmern ja auch. Spontan würde ich deshalb sagen: Ja, kann man!