Orchestra | Von Renold Quade

Rhapsody For Flute von Stephen Bulla

Rhapsody For Flute
Foto: Silke auf Pixabay

“Das ist ein wirklich faszinierendes Werk für Soloflöte und Blasorchester. Ein grundsätzlich sinfonisches Musikstück. Das begleitende Orchester wartet mit einer Vielzahl von Farben und Texturen auf. Mal verspielt, mal mit zeitgenössischen Wendungen, aber auch einmal dunkel und mit Wärme.” – heißt es vom Verleger über die Rhapsody For Flute von Stephen Bulla.

Der Schwierigkeitsgrad ist mit 4 angegeben, für die Solostimme definitiv eher eine 5. In der Abfolge »schnell-langsam-schnell« erwarten Interpreten und Zuhörer etwas mehr als sechs Minuten abwechslungsreiche Musik. Ja, diesen nun von mir formulierten Allgemeinplatz spreche ich gerne aus. Der ist aber auch nicht besser als die Appetithappen im Klappentext. Aber ich muss ja schließlich auch ein Angebot formulieren das Interesse erweckt. Und jeder ist frei, sich ggf. dann für das Werk zu interessieren, dem Meinungsangebot zu folgen oder aber auch davon Abstand zu nehmen. Ich habe es für meinen Teil mit der »Rhapsody For Flute« gemacht und kann und möchte die Verlagsinfo nur bestätigen. Ja, und so funktioniert es wohl mit der Kommunikation, wie mit vielem anderen auch, mit Respekt und Betrachtungsoffenheit.    

Der Komponist 

Stephen Bulla wurde im Januar 1953 in Baldwin, im Bundesstaat New York, geboren. Sein Vater und seine Mutter spielten Klavier und da war es nicht verwunderlich, dass es den jungen Stephen in eben diesem musikalischen Haushalt bereits mit sechs Jahren ans Klavier zog. Aber auch die Posaune fand sein Interesse und er peilte schließlich den Musikerberuf an. So schloss er seine Studienzeit am renommiertem »Berklee College of Music« in Boston bei Phil Wilson (Posaune) und Herb Pomeroy (Komposition und Arrangement) im Jahre 1976 mit »Magna Cum Laude« ab.

Zunächst arbeitete er freiberuflich in New York City. Einen sehr nachhaltigen Schritt ins Berufsleben tat er, als er 1980 die Position des »Staff Arrangers« der »The Presidents’s Own United States Marine Band« und des »Chamber Orchestras« in Washington DC bekleiden durfte. Dort lieferte er hauptberuflich, beginnend mit der Reagan-Ära bis zum Jahr 2010, über dreißig Jahre Musik für unzählige Veranstaltungen im Weißen Haus. Und da galt es ständig Aktuelles aufzugreifen.

Dies führte ihn zu vielen Begegnungen mit interessanten Menschen der amerikanischen Zeitgeschichte. Z. B. auch zu Begegnungen mit John Williams. Für ihn schrieb er die Blasorchesterversionen von »Star Wars«, »Catch Me If You Can« oder »Unheimliche Begegnung der dritten Art«. Er schrieb auch für den »Discovery Channel«, einem weltweit ausstrahlenden amerikanischen Fernsehsender auf dem Gebiet der Dokumentationen im Besitz der »Warner Broth. Discovery« und für den »PBS«, den »Public Broadcasting Service«, einer nicht kommerziellen TV-Senderkette in den USA, die 1969 die Nachfolge des »National Education Television« antrat. Auch Künstler wie z. B. Sarah Vaughan, The Manhattan Transfer oder Doc Severinsen profitierten von seinen Arrangements.

“Einer der versiertesten Musiker seiner Generation”

Als er sich aus der Marine-Band zurückzog, lobte ihn John Williams in einem persönlichen Brief als »einen der versiertesten Musiker seiner Generation«. Und 2010 war ja noch nicht Schluss. Für die internationale Blasorchesterszene ist er weiterhin rege tätig. Er ist Mitglied der ASCAP, der American Society of Composers, Authors and Publishers, und seine Werke findet man in vielen Katalogen renommierter Verleger, in der Hautsache bei Hal Leonard Music in den USA und Europa, aber auch z. B. im United Kingdom bei der Heilsarmee.

Für die niederländische, britische, schweizerische und neuseeländische Brass Band Szene stammen etliche Wettbewerbsstücke für die jeweiligen Championchips aus seiner Feder. Interessant vielleicht auch, dass die Library of Congress ihn beauftragte, den letzten bekannten Manuskriptmarsch von John Philip Sousa, »The Library of Congress March«, zu vervollständigen und zu orchestrieren. Zum 50. Jahrestag der Apollo 11 Mondlandung komponierte und dirigierte er die »Von Braun Suite«, für Band und Erzähler zu einem Film der NASA.

Als Dirigent führte und führt er etliche Ensembles. Herausragend wohl langjährig die »National Capital Band« in Washington DC und die »New England Brass Band«. Die Posaune nicht ganz vergessend, hatte er eine Heimat im reinen Posaunenensemble, »Spiritual to the ’Bone«.  Stephen Bulla lebt heute in Crofton, Maryland und zieht von dort weiter seine Kreise. 

Die Idee

Dieses Konzertstück ist aus einem Guss konzipiert. Im Prinzip schon dreisätzig, aber quasi übergangslos und sehr kompakt in drei Abschnitten ohne Pausen aufgebaut. Ein munteres Eröffnungsthema lässt den Solisten mit kecker rhythmischer Motivik brillieren. Dem folgt ein langsamer, gesanglicher und durchaus ausdrucksbetonter Mittelteil. Nach einer kurzen Kadenz für die Soloflöte und einem überleitenden Orchesterzwischenspiel beginnt der letzte Abschnitt. Wieder im schnellen Tempo und mit eher unbeschwertem Charakter endet das Werk mit einem energiegeladenen Finale. 

Der Aufbau  

Triller im hohen Holz, gestützt von gedämpften Trompeten, eröffnen quirlig, bevor sich ab Takt 3 in den Alt- und Tenorlagen ein prägendes, durchaus stampfendes, synkopisches Motiv auf den Weg macht, in die Rhapsody zu starten. Über zweimal drei Takte erzeugt es zum Eingang eine doch recht aufgewühlte Stimmung, die übrigens das ganze Werk bestimmen wird. Die Takte 9 und 10, mit einfacherer Rhythmik, ordnen und beruhigen das Geschehen wieder und führen hin zum ersten Thema.   

Ab Takt 11 mit Auftakt greift die Soloquerflöte forsch und unmissverständlich ins Geschehen ein. Sie brilliert, auf der Grundlage von d-moll, gleichsam tänzerisch, wie aber auch durchaus aufgeregt und bestimmend. Die Neuntaktigkeit dieses ersten, sich sofort wiederholenden Gedankens (A), befeuert im gefühlten Unter­bewusstsein unseres regulären (achttaktigen) Formempfindens sicherlich nicht nur ganz beiläufig das Gefühl von heiterer Erregtheit. Die begleitenden rhythmischen Motive im Orchester, ein eher sparsamer Mix aus Bass, wenigen dialogisierende Mittelstimmen und einem Klarinettenteppich, gilt es klar zu differenzieren und kontrolliert zu festigen. Wichtiger Bestandteil ist hier, neben klarem Tempoempfinden, eine gute Artikulation (staccato). 

Ab Takt 22 beginnt ein Gedanke B, der sich wieder deutlicher aus der einleitenden Rhythmik der Begleitung bedient. Derweil verbreitet die Soloquerflöte mit Skalenläufen komplementär darüber ihre solistische Energie. In der Begleitung die Akzente herauszuarbeiten, hilft den Synkopen deutlich ihre Wirkung zu entfalten. Dabei dient dies, wie zuvor auch das staccato, unmissverständlich einem übergeordneten Ziel, nämlich die Musik fließen zu lassen.

Um die Gunst der Aufmerksamkeit

Von Takt 29 bis Takt 31 streiten, durchaus aufbrausend, im Orchestertutti das stampfende Eingangsmotiv und die ruhige Begleitfigur um die Gunst der Aufmerksamkeit. Sie stauen das Geschehen gar ein wenig und leiten dann aber entspannend über zu Takt 34, zum Wiederaufgriff des A-Teils. In den Takten 32 und 33 gewinnt das eher entspanntere Begleitmotiv wieder deutlich die Oberhand. Auch hier ist es dienlich, die mit Dämpfer versehenen Passagen (Trompeten und Posaunen) eher kurz artikulieren zu lassen und auch die Klarinetten in diesem Teil (ab Takt 34) betont staccato musizieren zu lassen. Insgesamt stützt das nicht zuletzt eine gute Balance im Orchester, damit die Soloquerflöte immer präsent bleiben kann. Hier, wie natürlich im gesamten Werk, gilt der Grundsatz, dass jeder im Orchester die Soloquerflöte immer hören sollte.

Von Takt 42 bis Takt 50 beschließt ein reiner Orchesterpart überleitend den ersten Teil der Rhapsodie. Modulierend, sich gefühlt nach b-moll wendend und das Tempo verlangsamend, bedient sich dieser Teil weiter konsequent aus der bisher prägenden Motivik.

Lento espressivo beginnt in Takt 51 der langsame Teil. Er bemüht überleitend zunächst zwei quasi terzfreie Klänge, getragen von Bass, Posaunen und gedämpften Trompeten. Ab Takt 53 beginnt die Soloquerflöte mit einem gleichsam fragenden und klagenden, wie ohne Frage aber auch lyrischen achttaktigen Thema. Dabei spielt die Basstuba als »Gegenspieler« zur solistischen Querflöte eine durchaus wichtige Rolle. Im sanften, breiten Legato addiert sie, gut wahrnehmbar, ein eintaktiges Begleitmotiv. Darüber entwickelt sich über vier zweitaktige Anläufe, ebenfalls sich addierend, die Motivik einer einfachen Grundidee der Soloquerflöte. In der Folge krönt ein viertaktiges Nachspiel im voll aufblühenden Orchestertutti diesen Gedanken, bevor, bei wieder sparsam instrumentierter Begleitung, die Soloquerflöte die melodische Grundmotivik erneut aufgreift und im Wechsel mit dem dann auch wieder mittelstark solistischen Orchester weiter verspielt.

Kecke accelerandi und rallentandi

Ab Takt 74 verbreitert sich die Motivik und inszeniert ein Nachspiel. Sie reduziert sich im Wesentlichen auf die in gewissem Sinne auftaktigen und rufartigen Momente. Das Geschehen wird leiser und leiser, tiefer und tiefer und mündet in einer nur von Fermatenklängen (big breath) gestützten Solokadenz. Bei kecken accelerandi und rallentandi wird dann deutlich, dass hier das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht ist.

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Ab Takt 84 tritt das Orchester den Weg zurück an. Überleitend, »Lento sostenuto« beginnend, accelerando poco a poco weitergedacht, startet ein kleines Zwischenspiel, welches sich erneut der das Werk prägenden Begleitmotivik des A-Teils bedient. Auch hier wieder in einer ungeraden Form, diesmal von sieben Takten. Die ersten vier Takte bauen sich zunächst recht unauffällig zweimal zweitaktig auf. In den folgenden drei Takten wird durch synkopierendes Einkürzen, bei anteigendem Tempo und anteigender Dynamik, Aufbruchstimmung zelebriert, die es gut zu kontrollieren gilt. Hier mit eher »angezogener Handbremse« zu agieren minimiert die Gefahr von zu plötzlichen Tempowechseln.

»Allegretto, leggiero« beginnt ab Takt 96 der dritte Teil. Auch wenn es nirgendwo in der Druckausgabe expressis verbis ausgewiesen ist, ist es durchaus ein kluger Schachzug, ab hier solistisch die Piccoloflöte einzusetzen. Ab Takt 93, dito Takt 102, präsentiert die Soloquerflöte nun einen melodischen Gedanken, der irgendwie neu, aber auch irgendwie wieder altbekannt daherkommt. Wenn man so möchte, ist dieser dritte große Gedanke des Werkes eine Art Mix aus den ersten beiden. Das eher breite, punktierte Motiv aus Abschnitt zwei, angereichert mit der Verspieltheit und Sprunghaftigkeit aus Abschnitt eins. Der Neuntaktigkeit bleibt diese Musik treu, die Begleitung fließt dienlich, nach Muster das A-Teils. Von Takt 111 bis 122 fordert das Orchester noch einmal gehört zu werden.

Die bekannte Energie des prägenden rhythmischen Kernmotivs

Synkopische Rufe, die gerne einen Zwischenruf der Soloquerflöte zulassen, dazu die bekannte Energie des prägenden rhythmischen Kernmotivs, bestimmen über zwölf Takte, also diesmal formal konventionell, das Geschehen. Ab Takt 123 schwingt sich die Soloquerflöte zum dritten Anlauf des dritten Gedankens auf. Nach vier Takten ein poco accelerando, ab Takt 129, im nun neuen Dreiermetrum, ein più mosso. Da bahnt sich das Finale an. Im Dialog von Soloquerflöte und Orchester strebt das Werk dem Ende entgegen. Ab Takt 141 fängt ein molto rallentando die Energie noch einmal kurz ab, bevor, ab Takt 143, nun wieder im Vierermetrum, mit einem (möglichst stabilen und unübertriebenem) presto das Werk beendet wird.

Die Instrumentation

Im gut ausgebauten Blasorchester amerikanischer Prägung finden alle Musikerinnen und Musiker dankbare und lösbare Aufgaben. Eine gewisse Sicherheit in Artikulation und Rhythmik hilft die Begleitfunktionen, die ja nun einmal großen Raum einnehmen, solide zu lösen. Besondere Soli einzelner Instrumente sind nicht vorgesehen, dafür aber durchaus Soli des gesamten Orchesterapparates. Eigentlich gibt es nur eine Stelle in der Oboe, die ggf. einmal mit Stichnoten gelöst werden muss. Ansonsten ist alles gut und sinnvoll in der Standardbesetzung verteilt.

Fazit

Die »Rhapsody for Flute« ist natürlich in erster Linie ein Solostück für die Querflöte. Aber über die reine Begleitfunktion des Orchesters hinaus gilt es ebenda wichtige Details zu finden und zu berücksichtigen, die das Gesamtbild erfreulich mitprägen.

Selbstredend, dass die Balance immer der Schlüssel für das Über- und Aufleben eines jeden Solisten ist. Die offensichtlich gut verteilten Rollenspiele im Werk motivieren dies bewusst zu zelebrieren, sicher auch, weil kein Part zum reinen »Wassertragen« verdammt ist. Die Form der Rhapsodie beflügelt diesen Gedanken ebenfalls. Da ist für jeden etwas dabei, zum Wohle der im Vordergrund stehenden Soloquerflöte.