Orchestra | Von Gerhard Tenzer

Wagners “Ring” für das Blasorchester

Wagners Ring
Fotos: zef art - stock.adobe.com / SBO Ludwigshafen

“Der Ring des Nibelungen” gilt gleichermaßen als Richard Wagners bedeutendstes Werk und als einer der musikalischen Höhepunkte der Romantik. Der Opernzyklus ist als Tetralogie angelegt und besteht aus den vier Sätzen “Das Rheingold”, “Die Walküre”, “Siegfried” und “Götterdämmerung”. Mit einer monumentalen Aufführungsdauer von insgesamt 16 Stunden, mehr als 30 Solisten und einer Orchesterbesetzung mit 100 Musikern gilt der “Ring” zugleich als eines der umfangreichsten Bühnenwerke überhaupt. 

Der Komponist und Arrangeur Matthias Bucher hat Wagners Opus in einer Bearbeitung für sinfonisches Blasorchester zusammengefasst. Eine Mammutaufgabe, die sich über fast zehn Jahre hingezogen hat. Im Mai nun findet beim “Konzert im Frühling” des Sinfonischen Blasorchesters Ludwigshafen die Uraufführung dieses besonderen Arrangements statt. Im Interview mit Redakteur Gerhard Tenzer sprechen Matthias Bucher und Dorian Wagner, Dirigent des Sinfonischen Blasorchesters Ludwigshafen, über Richard Wagners Meisterwerk, die Herausforderungen von Transkriptionen und nackte Musik. 

Konzerttermine: Samstag, 14., und Sonntag, 15. Mai, jeweils 18 Uhr, Friedenskirche Ludwigshafen

“Der Ring des Nibelungen” – man weiß ja gar nicht, wo man anfangen soll, um die ­vielen Superlative dieses Werks von Richard Wagner zu beschreiben. Was bewegt einen Arrangeur dazu, sich an eine Umsetzung für sinfonisches Blasorchester zu machen? 

Matthias Bucher: Zunächst muss man ja festhalten, dass es bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts immer wieder Bearbeitungen des Rings gab – am bekanntesten dürfte “Der Ring ohne Worte” von Lorin Maazel sein. Insofern ist die Grundidee gar nicht so abwegig, dieses monumentale Werk als Vorlage für ein Arrangement zu nehmen – dennoch bleibt es natürlich eine gewaltige Aufgabe. Das Schöne daran für mich ist, dass ich mit dem Arrangement Wagners Musik einem ganz neuen Publikum zugänglich mache, denn Wagner wird nicht allzu häufig von Blas­orches­tern aufgeführt, und schon gar nicht der “Ring”. 

Gibt es denn eine besondere Verbindung zu dem Werk oder zum Komponisten? 

Matthias Bucher: Ich habe mehrere Jahre für Professor Andreas Tarkmann gearbeitet und mich im Rahmen einer Aufführung von besagtem “Ring ohne Worte” sehr ausführlich mit dem Werk beschäftigt. Man entwickelt dabei natür­lich ein gewisses Faible für die Musik, die man so intensiv studiert. Und daraus entstand letztlich die Idee, eine Art “Ring ohne Worte” für Blasorchester zu arrangieren. Ich selbst bin ja auch als Trompeter und Schlagzeuger im Blas­orchesterbereich groß geworden. 

Bucher

Matthias Bucher 

1988 in Donaueschingen geboren, ab­solvierte im Rahmen seines Schul­musikstudiums an der Musikhochschule Mannheim das Schwerpunktfach Arrangieren und Instrumentation bei Professor Andreas N. Tarkmann. Als dessen Assistent und Mitarbeiter konnte Bucher in knapp drei Jahren einen tiefen Einblick in das Leben und Wirken eines großen Komponisten und Arrangeurs erhalten und sich in den entsprechenden Bereichen weiterentwickeln. Inzwischen ist Matthias ­Bucher regel­mäßig als stilistisch vielseitiger Arrangeur für ver­schiedenste Auftraggeber tätig, zum Beispiel für die NDR Radiophilharmonie, die Münchner Philharmoniker oder das Staatstheater Darmstadt. Dabei erstreckt sich seine Tätigkeit als Bearbeiter von kammermusikalischen Besetzungen bis zu großem Sinfonieorchester, Chor und vollständigen Opern. 

Nie vergessen hat Matthias Bucher seine musikalische Herkunft als Schlagzeuger und Trompeter im Blasorchesterbereich, sodass auch hier viele Arrangements und einige Kompositionen entstanden sind. 

Mit dieser Vorgeschichte haben Sie den “Ring” sicher schon einmal live gesehen. Was waren Ihre Eindrücke? 

Matthias Bucher:Ja, ich habe drei der vier Teile am Nationaltheater in Mannheim gesehen. Als Zuhörer ist es eine Herausforderung, auch wenn man mit dem Material sehr vertraut ist. Jede der vier Opern hat eine lange Spieldauer und eine komplexe Handlung. Zugleich handelt es sich aber auch um bombastische Musik, mit der Wagner prägend war für viele Komponisten. 

Welche Szene aus der Oper ist für Sie persönlich die schönste?

Matthias Bucher: Da möchte ich unterscheiden zwischen der szenischen Darstellung und der Musik. “Wotans Abschied” in “Walküre” ist für mich eine der bewegendsten Momente. Und das Ende von “Siegfried” ist einfach fantastische Musik mit einem unglaublichen Drive, die auch zu meinen absoluten Höhepunkten des gesamten Werks gehört. 

Dorian Wagner: Allein schon “Siegfrieds” Leitmotiv löst bei mir immer Gänsehaut aus! (lacht) Aber bei all der bombastischen Musik, die da auf einen einwirkt, berührt mich immer noch der Anfang von “Rheingold” sowie das letzte Verklingen der “Götterdämmerung” am meisten. Wie Richard Wagner seine Tetralogie über mehrere Minuten mit einem klingenden Es-Dur – das ist der Rheingrund, auf dem der Schatz verborgen liegt – beginnt und wie er es schließlich mit der zarten hohen Lage der Geigen in der Götter­dämmerung zu einem Ende bringt, das war schon allein beim Lesen der Partitur etwas ganz Besonderes. Das alles zusammenzubringen ist die große Herausforderung, vor der wir in Ludwigshafen jetzt stehen. 

Worin lagen die Herausforderungen beim ­Arrangieren, auch bei der Übersetzung für sinfonisches Blasorchester? 

Matthias Bucher: Davon gab es einige… Die Adaption von Sinfonie- auf Blasorchester bringt es mit sich, dass man bei einigen In­stru­menten wirklich an die spielerischen Grenzen gehen muss. Das wirft für mich als Arrangeur einige Fragen auf. Generell gesprochen macht es ­wenig Sinn, die Streicherstimmen einfach zu übernehmen und in irgendeine Bläserstimme zu setzen. An diesem Punkt wollte ich kreativ werden und die Umsetzung mit originellen Ideen gestalten. Letztlich sind einige Szenen aus der Vorlage aber schlicht nicht umsetzbar, etwa der Feuerzauber mit seinen flirrenden, hohen Streichern. Das macht im Blasorchester keinen Sinn – und dann sollte man es auch nicht erzwingen. 

Worin liegen bei diesem Werk die Heraus­forderungen für das Orchester und den Dirigenten?

Dorian Wagner: Die nun vorliegende Suite mit ihren vier Sätzen ist für die Bläser vor allem konditionell eine gewaltige Herausforderung, denn es gibt kaum Verschnaufpausen. Die “Walküre” ist ja bei weitem kein typischer “zweiter Satz”. Das Werk besteht aus durchgängig anspruchsvoller Musik. Für mich als Dirigent ist es eine Kernaufgabe, das gesamte Werk mit einem Spannungsbogen zu gestalten, damit nicht der Eindruck entsteht, es seien nur aneinandergereihte Sätze – so ist das nämlich gar nicht.

Es gibt unzählige Leitmotive, die sich durch die Oper und auch durch unsere Bearbeitung ­ziehen. Schließlich verlangt eine Transkription per se schon nach einer besonderen Herangehens­weise. Will man zum Beispiel ein Pizzicato der Kontrabässe auf Tuba, Bassklarinette oder Fagott übertragen, reicht es nicht einfach aus, “kurz” zu spielen. Die ursprüngliche Klangvorstellung ist genau das Gegenteil! Ein weiteres Beispiel: Wie sollen Auf- und Abstrich der Streicher auf die Bläser übertragen werden? Crescendo und Decrescendo ist das mitnichten! Aber zum Glück ist das SBO Ludwigshafen mit der Erarbeitung von großen sinfonischen Werken schon recht gut vertraut, ich kann da ge­wisser­maßen auf eine Menge Erfahrung zurückgreifen. 

Herr Bucher, welche Erwartungen haben Sie an Ihren ersten Probenbesuch beim SBO Ludwigshafen und auch an die Uraufführung? Worauf sind Sie besonders gespannt? 

Matthias Bucher:Ich freue mich zunächst immer darauf, die Musik zum ersten Mal von einem echten Orchester zu hören. Es gibt nichts Bes­seres, als die Musiker zu hören und zu sehen, wie sie meine Musik oder in diesem Fall mein Arrangement spielen – das ist auch eine emotionale Erfahrung. Selbst wenn ich die Musik hier nur arrangiert habe, steckt doch viel Arbeit und Herzblut darin – es ist irgendwie schon mein Baby. Und konkret beim “Ring” bin ich besonders auf den Anfang und den Schluss gespannt. Der Anfang ist einerseits wunderschön, aber auch sehr fragil und heikel zu spielen. Und auch der Schluss ist sehr herausfordernd, da bin ich gespannt, wie es das Orchester schafft, nach 50 Minuten noch mal richtig herunterzufahren und die ganz leisen Töne zu finden. 

Herr Wagner, was waren Ihre Gedanken, als Sie die ersten Fassungen des Arrangements gesehen haben, auch mit der Perspektive einer Aufführung durch das SBO Ludwigs­hafen?

Dorian Wagner: Ich war ehrlich gesagt bei jedem Entwurf, den ich vorab erhalten habe, ganz aufgeregt und habe noch am Smartphone einen ersten Blick gewagt. Mir war klar, dass das Arrangement handwerklich sehr gut gemacht sein würde, da Matthias sehr professionell arbeitet. Ich war sehr begeistert von der Qualität der Umsetzung und auch von der Zusammenstellung der musikalischen Sequenzen und den Tonarten. Alles was klingt, ist von Richard Wagner! 

Ring

Dorian Wagner 

wurde 1986 in Karlsruhe geboren. An der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Mannheim studierte er Schulmusik mit dem Hauptfach Posaune und dem Beifach Politikwissenschaft an der Universität Mannheim. Besonders hat ihn sein Lehrer Markus Theinert geprägt, bei dem er ab 2009 Dirigieren mit Schwerpunkt Blasorchesterleitung studierte. Dessen unaufhörliche Suche nach erlebbarem Musizieren wurde fortan zum Leitbild seiner dirigentischen Tätigkeit. Dorian Wagner leitet seit 2012 das Sinfonische Blasorchester Ludwigshafen. 

Wie kann man sich denn den Auswahlprozess für solche musikalischen Sequenzen vorstellen, gerade bei so einer umfangreichen Vorlage? Welche Kriterien sind ausschlaggebend dafür, ob Sie eine Passage ins Arrangement übernehmen oder nicht? 

Matthias Bucher: Im Grunde spielt da meine persönliche Vorliebe schon eine große Rolle. Man könnte also sagen, das Arrangement ist mein Best-of aus dem “Ring”. Allerdings ist auch die Dramaturgie der Oper sehr wichtig für das Endergebnis – ich habe darauf geachtet, dass die musikalischen Kernelemente im Ar­range­ment aufgegriffen werden. Und ich habe nichts hinzukomponiert, alle Übergänge stammen aus der Vorlage, genauso habe ich versucht, mich immer an die Originaltonarten zu halten. 

Was im Vergleich zur Vorlage aber zwingend wegfällt, sind Elemente wie Bühnenbild und schauspielerische Darstellung. Dabei war doch genau das Wagners Vision des “Gesamtkunstwerks”. Funktioniert Wagners Musik denn auch absolut? 

Matthias Bucher: Natürlich fallen in einem “Ring ohne Worte” ebendiese weg. Aber das Ziel ist ja ein eigenständiges konzertantes Werk mit eigener Daseinsberechtigung. Wagner hat auch die gesungenen Leitmotive in einer Instrumentalfarbe gedacht. Die musikalische Sub­stanz, die in den Gesangspassagen steckt, wird durch eine rein instrumentale Aufführung sogar freigelegt. Insofern erlaubt gerade das Wegfallen von Bühnenbild und Schauspiel auch einen neuen Fokus auf die musikalische Darbietung durch das Orchester, eben auf die absolute, nackte Musik. 

Zur Eröffnung des Konzerts spielt das Orchester Musik von John Williams, zu dessen musikalischen Vorbildern bekanntermaßen Richard Wagner gehört. Sicherlich eine bewusste Gegenüberstellung, aber wird das für die Zuhörer nicht eintönig? 

Dorian Wagner:Ein längerer Konzertabend bräuchte zwingend mehr Kontrast, das ist richtig. In unserem Fall wird es allein schon deshalb nicht eintönig, weil sich über die vier Sätze von mehr als 50 Minuten eine enorme musikalische Energie anstaut, die sicher – hoffentlich! – jeden Zuhörer und jede Zuhörerin in ihren Bann zieht. Vorangestellt ist dann ein Auszug aus Williams’ »Star Wars«. Seine Filmmusik, ja die Filmmusik ganz generell, wäre ohne die Einflüsse Wagners kaum denkbar. Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass die Werke der beiden Komponisten stellenweise kaum zu unterscheiden wären, wenn ein Zuhörer sie unbedarft und ohne Vorkenntnisse zu hören bekäme. Außerdem wird John Williams dieses Jahr 90 Jahre alt – es handelt sich deshalb auch um einen kleinen Geburtstagsgruß. 

Wie soll es nach der Uraufführung mit Ihrer Bearbeitung weitergehen, welche Pläne haben Sie dafür, Herr Bucher? 

Matthias Bucher: Ein Arrangement eines klassischen Werks in dieser Länge und diesem Schwierigkeitsgrad ist nicht einfach zu vertreiben. Zumal es musikalisch fraglich ist, einzelne Sätze aus dem Werk aufzuführen und in ein Konzertprogramm einzubetten. Ich neige eher dazu, die Bearbeitung als Gesamtwerk zu sehen. Das Arrangement liegt deshalb noch bei mir, und wie es damit weitergeht, wird sich zeigen. Es würde mich sehr freuen, wenn sich weitere sinfonische Blasorchester des Werks annehmen und es öfter aufgeführt wird. 

Und wie geht es beim SBO Ludwigshafen weiter? Das Orchester startet mit dem ambitionierten Wagner-Projekt aus der Corona-Pause. Auf was können sich Musiker und Zuhörer danach freuen? 

Dorian Wagner: Im Herbst stehen bei unserem “Konzert im Pfalzbau” mit dem zweiten Klavierkonzert von Rachmaninow und “Bilder einer Ausstellung” von Mussorgsky erneut zwei große Meisterwerke auf dem Programm. Diesmal flankiert mit einem “extremen” de Meij. Ich habe dieses Herbstprogramm in der Hoffnung konzipiert, dass wir erstmals seit unserem Jubiläumskonzert im Jahr 2019 endlich wieder in “unseren” Konzertsaal zurückkehren können, den Pfalzbau Ludwigshafen. Das ist ein ganz großer Wunsch von mir und dem Orchester. Aber zunächst freuen wir uns auf die Proben zum »Ring« und natürlich ganz besonders auf die beiden Konzerte im Mai.

Ring

Das Orchester 

Das Sinfonische Blasorchester Ludwigshafen ist ein Liebhaberorchester, das Blasmusik als neues Klangerlebnis präsentieren will. Die 70 ambitionierten Musike­rinnen und Musiker aus Ludwigshafen und der gesamten Rhein-Neckar-Region treffen sich wöchentlich zur intensiven Probenarbeit. Dabei versucht das SBO musikalisches Erleben schon hier Woche für Woche zu ermöglichen. Das Orchester wurde bereits 1969 als Schulorchester des Theodor-Heuss-Gymnasiums gegründet und besteht seit 1987 als eigenständiger Verein. Der Schwerpunkt der musikalischen Arbeit liegt auf sinfonischen Werken in Form von zeitgenössischer, originaler Bläsermusik sowie ausgewählten Tran­skrip­tionen. Seit 2012 liegt die musikalische Leitung des Sinfonischen Blasorchesters Ludwigshafen bei Dorian Wagner. 

www.sbo-lu.de