Szene, Wood | Von Hans-jürgen Schaal

Rudy Wiedoeft: 100 Jahre »Saxophobia«

1919 nahm er es zum ersten Mal auf: »Saxophobia«, ein virtuoses Glanzstückchen im Ragtime-Stil. Dieses »Saxophobia« wurde Rudy Wiedoefts größter Hit und auf Jahrzehnte hinaus die erfolgreichste Saxofonnummer überhaupt.

»Er spielte den Ragtime nicht in einem strengen Sinn, sondern in einem dynamischen Varieté-Stil«, schreibt der Wiedoeft-Forscher Ted Hegvik. »Er steht zwischen den Stühlen – ein Künstler im stilistischen Übergang.«

Es war im Jahr 1926, als die Stadt Kansas City (Missouri) ein Saxofonverbot erließ. Fortan war es untersagt, zwischen halb elf Uhr abends und sechs Uhr morgens Saxofon zu spielen. Die Verantwortlichen hielten diese Maßnahme für notwendig, weil die Begeisterung für das Saxofon damals keine Grenzen kannte und alle Bevölkerungsschichten erfasst hatte.

100.000 Saxofone pro Jahr

Ständig tröteten und hupten in der ganzen Stadt die Saxofonanfänger. Saxofon-Lehrbücher überschwemmten den Markt, darunter ein »Fünf-Minuten-Schnellkurs« für die ganze Familie. »Wenn Sie eine Melodie pfeifen können, meistern Sie auch das Saxofon«, hieß es in der Werbung.

100 000 Saxofone wurden damals in den USA pro Jahr verkauft, es gab das Instrument schon ab 60 Dollar das Stück. Und wer das Saxofonspielen partout nicht kapierte, kaufte sich einfach ein »Playasax« – das war eine saxofonförmige Attrappe, in der man Musikwalzen abspielen konnte.

Was hatte diesen Saxofon-Boom ausgelöst? Für die Lokalpresse von Kansas City war die Sache klar: Der Schuldige hieß Rudy Wiedoeft.

Musikalisches Genie und Wundervirtuose

Auch wenn Rudy Wiedoeft (1893 bis 1940) heute weitgehend vergessen ist: 1926 galt er als musikalisches Genie und Wundervirtuose – als der »King of the Saxophone«. Der Informationswissenschaftler Eugene Garfield nennt ihn »die Person, die den meisten Einfluss auf die Popularisierung des Instruments hatte«.

Der Saxofonhistoriker Ted Hegvik schreibt: »In den 1920er Jahren war Rudy Wiedoeft ein Name, den jeder kannte. Er füllte jedes größere Theater in den USA und startete ganz allein die Saxofon-Furore, die über die Nation hinwegfegte.«

Der Sänger und Entertainer Bing Crosby (1903 bis 1977) verriet einmal, dass er seinen Gesangsstil am Vorbild von Wiedoefts Saxofonkunst entwickelt habe. Crosbys Kollege Rudy Vallée (1901 bis 1986) hatte aus Verehrung für Wiedoeft sogar seinen Vornamen geändert – eigentlich hieß er Hubert.

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