Orchestra | Von Leon J. Bly

Salzburg Wind Philharmonic mit der Alpensymphonie

Salzburg Wind Philharmonic
Fotos: Franz Neumayr

Die Salzburg Wind Philharmonic unter der Leitung von Chefdirigent Hansjörg Angerer spielte ihr traditionelles Dreikönigskonzert 2024 unter dem Motto Aus den Bergen im Großen Festspielhaus in Salzburg. Das 2002 von Angerer als Bläserphilharmonie Mozarteum Salzburg gegründete symphonische Blasorchester spielt seit Sommer 2022 unter dem Namen Salzburg Wind Philharmonic als gemeinnützige Gesellschaft sowohl selbstständig als auch unabhängig. Ursprünglich bestand das Blasorchester aus Lehrenden, Studierenden sowie Absolventinnen und Absolventen der Universität Mozarteum. Heute setzt sich das Blasorchester aus hochkarätigen Musikerinnen und Musikern der renommiertesten europäischen Symphonieorchester zusammen, die für Projekte der Salzburg Wind Philharmonic zusammenkommen. Als Konzertmeister fungiert seit vielen Jahren der Soloklarinettist der Ber­liner Philharmoniker Wenzel Fuchs.  

Die Natur mit ihren Bergen und Wäldern, wo man wandert und jagt, inspirierte die Musik dieses Programms, welches aus Musik der Wiener Straussfamilie, Carl Maria von Weber, Josef Schantl und Richard Strauss bestand. Allerdings scheint der Ablauf des Programms zunächst etwas merkwürdig. Der gängigen Meinung von Blasorchesterdirigenten nach spielt man im ersten Teil eines Konzerts schwere oder ernstere Werke und die leichte Muse im zweiten Teil. Ein kurzer Blick ins Programmheft zeigt, dass Angerer die Reihenfolge umdrehte. Die leichte Muse im ersten Teil scheint als Prä­ludium mit dem Höhepunkt des Konzerts – der 50-Minuten-langen Alpensymphonie, op. 64 von Richard Strauss – nach der Pause. Wie wird sein Publikum, das gewohnt ist, ein Dreikönigskonzert mit Operetten-Ouvertüren, Walzern, Polka, und Märschen zu hören, wohl reagieren? Zu dieser Frage und der Frage, ob man überhaupt ein Werk wie Eine Alpensymphonie mit einem sinfonischen Blasorchester spielen sollte, kommen wir später. 

Die CD 

Für alle, die das Konzert am 6. Januar verpasst haben (und natürlich auch für die, die dabei waren), liegt jetzt der entsprechende Tonträger vor. Die Live-­Einspielung vermag vieles von dem, was der Rezensent Leon J. Bly beschrieben hat, erneut wiederzugeben. Die Doppel-CD ist bei BPS Records erschienen.

www.salzburg-windphilharmonic.at

Der erste Teil des Programms enthält zwei relativ wenig bekannte Kompositionen von Johann Strauss Sohn – den Marsch »Auf’s Korn«, op. 478 und den Walzer »Aus den Bergen«, op. 292, dessen Titel das Motto des Konzerts war. Das Programmheft informiert, dass der Walzer, der ursprünglich »In den Bergen« heißt und rustikale »alpine« Motive beinhaltet, von Strauss während eines Gastspiels auf der Sommerresidenz des russischen Zaren in Pawlowsk in 1750 km Entfernung geschrieben wurde, aus Sehnsucht nach den Alpen. Mit der Fassung dieses Walzers von Albert Schwarzmann, von dem sämtliche Fassungen der Werke für Bläsersymphonik für dieses Konzert kamen, konnte Angerer einige seiner hervorragenden Bläser in Solopassagen glänzen lassen.

12 zusätzliche Hörner für die Alpensymphonie

Da Angerer 12 zusätzliche Hörner für die Alpensymphonie brauchte, setzte er sie auch mit historischen Parforcehörnern im ersten Teil ein, um die Atmosphäre der Bergwelt zu bekräftigen. Damit haben die Hornisten ihr Können gezeigt, da eine bessere Leistung auf diesen historischen Instrumenten kaum vorstellbar ist. Man hörte eine Jagd anblasen von Josef Schantl, einem ausgezeichneten Wiener Hornisten aus dem 19. Jahrhundert, der damals das Interesse an Jagdmusik wieder erweckte. Dazu gab es auch weitere Jagdrufe aus dem 18. und 19. Jahrhundert. 

Angerer benutzte die Parforcehörner auch für die Ouvertüre zur Romantischen Oper »Der Freischütz« von Carl Maria von Weber. Dieser Einsatz verlieh der Aufführung der Ouvertüre quasi eine Originaltreue, da Weber die Orchester-Hörner nur als Imitation dieser Instrumente eingesetzt hatte. Diese Ouvertüre mit einem Blas­orchester aufzuführen, gestaltet sich äußerst schwierig, da die Ouvertüre die Dramaturgie der Oper mitteilt und unheimliche und diabolische Ereignisse sowie düstere Waldschluchten in der Originalbesetzung durch Streichinstrumente hervorgerufen werden. Dass die Aufführung an diesem Konzert so musikalisch und erfolgreich war, beruht auf der hervorragenden Fassung von Schwarzmann, der unglaublichen Geschicklichkeit der Musiker und einem Dirigenten, der nichts anderes als den Klang des Originals zulässt. 

Eine Gemeinschaftsarbeit der drei Strauss-­Brüder

Der erste Teil schließt mit einer beschwingten Aufführung der reizenden Schützen-Quadrille, einer Gemeinschaftsarbeit der drei Strauss-­Brüder, wobei Josef, Eduard und Johann Sohn jeweils zwei Tänze beisteuerten. Erstaunlicherweise ist das Werk selten zu hören, wobei es sowohl mit einem Orchester mit Streichern als auch mit einem Blasorchester gut klingt. Es wurde für das »Deutsche Bundesschießen« im Sommer 1868 im Wiener Prater komponiert, und sogar damals in der Schützenhalle am Prater von mehreren Militärkapellen mit annähernd 200 Musikern aufgeführt. Es ist eine der wenigen Kompositionen der Strauss-Brüder, die man mit einem Amateurblasorchester spielen kann, und obgleich Schwarzmanns Fassung zugeschnitten für die Salzburg Wind Philharmonic ist, könnte es mit Sicherheit auch gut von einem leistungsfähigen Amateurblasorchester gespielt werden. 

Um Eine Alpensymphonie aufzuführen, erschien ein erweitertes und größeres Orchester auf der Bühne. Obgleich Strauss sein Werk eine Symphonie nannte, hat es mit der Form einer viersätzigen klassischen Symphonie nichts gemeinsam. Es ist schlicht und einfach eine durchkomponierte sinfonische Dichtung, deren Form gänzlich von der Geschichte einer Tageswanderung in der alpinen Bergwelt bestimmt wird. Für die 22 Abschnitte des Werkes, die den Tagesablauf von morgens bis abends beschreiben, brauchte Strauss 130 Musiker, darunter 35 Bläser auf der Bühne plus 12 Hörner, zwei Trompeten und zwei Posaunen hinter der Bühne. Für seine Transkription setzte Schwarzmann diese Instrumente, sowie Schlagzeug, Orgel, Celesta, Harfen und acht Kontrabässe eins zu eins ein. Allerdings musste er die Stimmen für 56 weitere Streicher durch Bläser ersetzen; eine Aufgabe, die er meisterhaft vollendete. Selbst wenn man das Werk sehr gut kennt, gab es kaum eine Stelle, wo der Klang vom Original abweichte. 

Die Alpensymphonie

Vor über 100 Jahren als Strauss die Alpensymphonie komponierte, konnten viele Orchester­bläser diese nicht richtig spielen, da einige Noten sehr lang auszuhalten sind. Als Dirigent selber erkannte Strauss das Problem und schlug vor, dass die Spieler Bernard Samuels Aerophor als Hilfe benutzen. (Das Aerophor war ein Apparat, wo der Fuß des Spielers einen kleinen Schöpfbalg tritt, dessen Wind durch einen Schlauch und ein kleines Röllchen neben dem Mundstück in den Mund getrieben wird, so oft und viel es der Bläser wünscht.) Dass es derartige Probleme damals gab, bemerkte man bei dieser mastervollen Leistung der hervorragenden Bläser ohne Aerophor in diesem Konzert nicht – u.a. dem Soloklarinettist, Solohornist, Solotrompeter und Soloposaunist der Berliner Philharmoniker, sowie der Solooboistin der Münchner Philharmoniker und der Solofagottistin des Rundfunk-Sinfonie­orchesters Berlin. Vom ersten Ton bis zum letzten klang die Alpensyphonie mit all ihrer Pracht und Nuancen. 

Und wie reagierte das Publikum? Donnernder Applaus und Begeisterung, bis Angerer den Großen Saal zur Ruhe brachte, um eine schmissige Aufführung des Radetzky-Marsch von Johann Strauss Vater zu spielen. Natürlich danach noch einmal tosender Beifall. Jetzt hat man eine klare Antwort auf die obige Frage. 

Höhepunkt mit der Alpensymphonie

Und wie war das mit der Reihenfolge des Programms? Es konnte nicht anders sein. Angerer wusste genau, dass man nach dem Höhepunkt mit der Alpensymphonie keine andere Musik mehr spielen konnte. Für das Publikum wäre alles weitere eine Antiklimax. Für die Musiker – selbst diese hervorragenden Spieler – wäre es eine fast unmögliche Aufgabe gewesen. Wer könnte mit so einer Intensität noch eine weitere Stunde spielen?

Angerer
Foto: Franz Neumayr

Es gibt jetzt nur die eine Frage zu beantworten, die da lautet: Darf man eine Komposition wie Eine Alpensymphonie mit einem sinfonischen Blasorchester spielen? Wieder ein klares Ja, aber nur in einer hervorragenden Fassung wie von Schwarzmann und nur mit ausgezeichneten Musikern wie den Mitgliedern der Salzburg Wind Philharmonic unter der Leitung eines bewanderten und charismatischen Dirigenten wie Angerer. Das ist, was das Dreikönigskonzert 2024 zu einem einmaligen Erlebnis machte.