Ob es ein Zufall ist, dass es für »Taktstock« so unterschiedliche Übersetzungen gibt? Auf Französisch wird das Stöckchen als »baguette« bezeichnet – wobei mit »baguette« im Französischen auch andere Arten von Stöckchen, Gerten oder Leisten bezeichnet werden, nicht nur das bekannte Stangenweißbrot.
Im englischen Sprachraum ist für den Taktstock die Bezeichnung »baton« oder »wand« zu finden – hier wird wohl nach der Wesensart des Dirigenten unterschieden. Während »wand« auch einen Zauberstab bezeichnet, ist »baton« auch ein Gummiknüppel oder auch Schlagstock.
So vielfältig, wie der Taktstock (man beachte das sehr neutrale deutsche Wort!) in der Sprache bedacht wird, ist und war seine Verwendung in der Geschichte. Fest steht jedenfalls, dass ein Dirigent einen Taktstock braucht. Oder?
Der Taktstock – Der Zauberstab des Dirigenten
Können Sie sich an den ersten Band der »Harry Potter«-Romanreihe erinnern? Das Kapitel, in dem Harry in der Winkelgasse die Zauberutensilien für das erste Jahr in Hogwarts besorgen muss und dafür auch in Olivander’s Zauberstabladen muss? Harry zerlegte auf der Suche nach dem richtigen Zauberstab einen beträchtlichen Teil des altehrwürdigen Geschäfts, in dem alle namhaften Zauberer ihre Zauberstäbe gekauft haben sollen. Gut, dass Aufräumen in der Zaubererwelt kein allzugroßes Problem darstellt…
Natürlich sind die Ausführungen von »Zauberstäben« in der Welt der Musik nicht ganz so mannigfaltig wie in Harry Potters Zaubererwelt. Einhornhaare, Drachenherzfasern und dergleichen kommen in Taktstöcken wohl eher selten zum Einsatz. Dafür lernt man in den meisten Dirigierkursen schon in den ersten Dirigierstunden das »Wutschen und Wedeln« als grundlegendste aller Dirigierbewegungen.
Obwohl der Taktstock an sich – im Gegensatz zum Zauberstab – keine magischen Eigenschaften besitzt, verursacht auch in der Musik unterschiedliches Wutschen und Wedeln ganz unterschiedliche Wirkungen.
Dabei gibt es den Taktstock in der heutigen Form – gemessen an der musikalischen Zeitrechnung – noch gar nicht so lange. Notwendig ist die Anleitung eines Ensembles mithilfe eines wie auch immer gearteten Taktstocks ohnehin erst ab einer gewissen Ensemblegröße. Auch heute werden kleine Ensembles meist »von innen« heraus geleitet. Tempo (und Einsätze) gibt dann ein Ensemblemitglied.
Die erste echte (und gleich sehr schmerzhafte) Anekdote in Sachen Taktstock lieferte der italienisch-französische Komponist Jean-Baptiste Lully, der bei der Aufführung einer Motette mit einem schweren Stock den Takt schlagen wollte und sich dabei die Spitze des Stocks in den Fuß rammte. Die Wunde entzündete sich und Lully starb kurze Zeit später an den Folgen der Infektion.
Hätte er, wie zu Barockzeiten üblich, ein aufgerolltes Blatt Papier benutzt, hätte sein Leben wohl noch ein wenig länger gedauert. Andererseits wäre die Musikwelt um eine Anekdote ärmer und die Leiter von Dirigierkursen könnten nicht schon in der ersten Unterrichtsstunde gute Laune unter den angehenden Ensembleleitern verbreiten.
Das PDF enthält alle fünf Artikel des Schwerpunktthemas "Handlungsbedarf? Wie 27 Knochen Musik machen":
- Die Hand – Sinnesorgan und Werkzeug (von Stefan Fritzen)
- Theinerts Thema: Der Dirigent als Handwerker (von Klaus Härtel)
- Baton, Baguette, Taktstock – Über die Verlängerung des Dirigentenarms (von Martin Hommer)
- Ich mach das mit links! Musizieren und Händigkeit (von Cornelia Härtl und Klaus Härtel)
- Handlungsbedarf – Wichtig, aber oft unterschätzt: Die Hand (von Klaus Härtel)