Beim ersten Nachdenken über das Thema war ich etwas ratlos, haben doch schon viele kompetente Autoren über Geschichte und Gegenwart der Blasmusik geforscht und geschrieben. Ist da noch etwas zu sagen, was noch nicht bekannt ist?
Dann dirigierte ich mit der Dresdner Bläserphilharmonie ein Konzert im Rahmen der Konzerte der Hochschule für Musik in dem wunderbaren Konzertsaal der Hochschule in Dresden. Auf dem Programm standen Werke von Johann Sebastian Bach, Max Bruch, Frank van Nooy, Manfred Grafe, Frigyes Hidas und Jan Van der Roost – ein Programm, das alle Facetten sinfonischen Bläsermusizierens auf höchstem Niveau umfasste.
Wenn Blasorchester Begeisterung hervorrufen
Die überwiegende Mehrheit des Publikums hörte an diesem Abend erstmals ein reines Blasorchesterkonzert. Es waren Damen und Herren des konventionellen Dresdner Publikums, denen eine Eintrittskarte in der Semperoper für über 50 Euro oft zu teuer ist und die in der Musikhochschule auch wunderbare Musik erleben können.
Die begeisterte Resonanz dieses Publikums auf unsere Musik rief mir schlagartig wieder unsere künstlerische und musikologische Stellung und Aufgabe im allgemeinen Musikleben unserer Gesellschaft ins Bewusstsein. Mir wurde klar, dass wir nicht nur ein scheinbar belächeltes Randdasein in der Kunst führen, sondern durchaus auch zu den bewegenden künstlerischen Themen unserer Zeit klingend Stellung nehmen und damit Begeisterung erzielen können.
Kampf gegen die bequeme Stagnation: Die Fortentwicklung des Blasorchesters
Dies setzt jedoch eine stetige künstlerische Fortentwicklung des Blasorchesters voraus. Die durch Stamitz angestoßene Entwicklung klassischer Sinfonieorchester heutiger Prägung fand bereits Ende des 19. Jahrhunderts ihren vorläufigen Abschluss. Dagegen ist die deutsche sinfonische Blasmusik in ihrer Entwicklung noch ein zartes Pflänzchen.
Erst in den letzten Jahrzehnten formulierte man verbindliche Besetzungen der großen sinfonischen Blasorchester und deren künstlerisches Profil. Auch die autonomen Klang- und Ausdrucksmöglichkeiten des Blasorchesters wurden erst relativ spät als künstlerischer Wert an sich entdeckt. Viel zu lange war die Blaskapelle nur der Appendix der hohen Kunst.
Sie wurde von Laien gespielt, die Besetzungen blieben meist unvollständig und über ein Grundniveau gingen die Leistungen meist nicht hinaus. Will man jedoch eigenständige Klangaspekte und Ausdrucksintentionen weiterentwickeln und zu aussagekräftiger Kunst formen, müssen die Blasinstrumente mehr in ihrer klanglichen Eigenbedeutung erkannt und eingesetzt werden, um einen bloßen »Abklatsch« eines Sinfonieorchesters zu vermeiden. Dazu gehört auch die Erweiterung unseres im Orchester eingesetzten Blasinstrumentariums.
Das PDF enthält alle sechs Artikel des Schwerpunktthemas "Blasmusik Plus – Was kann/darf/soll ein Blasorchester?"
- Was ist das Blasorchester? Und wer entscheidet das? (von Leon J. Bly)
- Blasmusik Plus: Ist ein Blasorchester nur ein Blasorchester? (von Stefan Fritzen)
- Theinerts Thema: Möglichkeiten und Grenzen der Erweiterung des Blasorchesters (von Martin Hommer)
- Vielfältigste musikalische Interessen: James Bonney und sein Gitarrenkonzert "Chaos Theory" (von Joachim Buch)
- Die E-Grenze: Elektroakustische Musik, Bildung und Publikum (von Alex Shapiro)
- Bigband Plus: Erweiterungen eines Klangkonzepts (von Hans-Jürgen Schaal)