Das aktuelle Schwerpunktthema impliziert per se einen Entweder-Oder-Gegensatz in unserem künstlerischen Denken und Tun, der streng genommen überhaupt nicht existiert, jedoch von vielen Musikern und Musikliebhabern angenommen wird. Darüber hinaus führen die verschiedenen Bezeichnungen in der Kategorisierung der Musik zu einer »babylonischen« Sprachverwirrung. Schwere Kost wird auch klassische Musik oder E-Musik genannt; zur leichten Muse zählen auch die heitere Musik, die U-Musik und die Trivialmusik. Alle diese Begriffe bleiben allerdings musikologisch unpräzise.
Lassen Sie mich zu Beginn wieder ein Beispiel aus unserer täglichen Fernsehwelt bringen. Allenthalben werden wir in den verschiedensten Sendungen über die beste Art, gesund zu essen und zu leben, »aufgeklärt«. Es kommen Esser zu Wort, die entweder das Schnitzel als ihr »tägliches Gemüse« ansehen oder Vegetarier, die meinen, dass man aus Tiernächstenliebe nur »Grünzeug« essen dürfe. Beide Gruppen finden an ihrer Art zu leben größtes Vergnügen, meinen, den Schlüssel zum ewigen Leben gefunden zu haben und verachten all diejenigen, die nicht ihrer Ansicht sind.
Alle versuchen, uns auf eine Einheitslinie zu trimmen und bemerken nicht einmal, dass der gesunde menschliche Körper sich seinen Teil holt und dass aus aufgezwungenen Lebensweisheiten leicht eine Ideologie erwächst, die uns alle in den Sog des Verlustes der Selbstbestimmung zieht. Ähnlich ausschließlich und ideologisch geht es im musikalischen Geschäft zu. Aber auch dabei geht es leider vorrangig ums liebe Geld.
Unsere Musen sind üppige Wesen
Bevor wir uns einer vielfältigen Programmplanung zuwenden, sollten wir uns über die Begriffe »leichte Muse« und »schwere Kost« einige klärende Gedanken machen.
Unverdauliche Klassik?
Als schwere Kost wird für gewöhnlich die »klassische« Musik bezeichnet. Die Herkunft dieses Begriffs ist nicht eindeutig geklärt. Im engeren musikgeschichtlichen Sinn ist meist die »Wiener Klassik« (Haydn, Mozart, Beethoven) gemeint. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird auch der Begriff »Klassik des 19. Jahrhunderts« verwendet. In der heutigen Definition umfasst der Begriff der Klassik die Epochen von der Gregorianik über die Renaissance bis zur Moderne. Claudio Monteverdi wird unter dem Begriff ebenso subsummiert wie Sofia Gubaidulina.
Im engeren Sinne umfasst der Begriff Klassik die Musik, in der eine homogene Ausgewogenheit von Inhalt und Form erreicht wurde und in der wesentliche zeitgebundene künstlerische Aussagen weit über ihre Entstehungszeit hinausreichen und der Menschheit bleibende Werte vermitteln. In diesem Kontext sollte man auch bei außereuropäischer Musik von klassischer Musik sprechen, da sie allgemeine und gültige nationale Formen und Inhalte in eine aus der nationalen Tradition erwachsene musikalische Sprache transformiert. Damit steuert sie bei zu einer die globale Gleichmacherei vermeidenden musikalischen Vielfalt, die unsere Welt reicher macht.
Der Begriff »Klassik« ist eher journalistischer oder literarischer als präziser ästhetischer oder historischer Natur. Charakteristisch bleibt jedoch die Herausbildung eines gültigen musikalischen Formenkanons, zum Beispiel der Sonatenhauptsatz, die Variationsform oder die Sinfonik und die verstehende Einheit von Kunst und Publikum (siehe auch Horst Seeger: Musiklexikon).
Aus dem Gesagten ergibt sich der Schluss, dass klassische Musik durchaus nicht nur »schwere Kost« ist und demzufolge geistiges Magendrücken verursacht, sondern genauso überzeugend Heiteres, Liedhaftes und Tänzerisches zum Ausdruck bringt und dem Hörer ausgesprochenes Hörvergnügen bereiten kann. Entsprechend kritisch sollte deshalb auch der seit den 1920er Jahren weitgehend verwendete Begriff der E-Musik (Ernste Musik) verwendet werden. Er wird als Gegensatz zur U-Musik (Unterhaltungsmusik) gebraucht.