Im Gespräch mit Markus Theinert achtet man schon darauf, ob es bei ihm als Dirigent eine »déformation professionelle« gibt. Aber nein, er »redet« wenig mit den Händen. Vermutlich weiß er, sein »Instrument« gezielt einzusetzen.
Herr Theinert, ist ein Dirigent – im wahrsten Sinne des Wortes – ein Handwerker?
Sicherlich. Die Hand ist im Zusammenwirken mit dem gesamten Arm des Dirigenten das Medium seines Ausdrucks. Die innere Vorstellung des Stücks wird letzten Endes durch die Arme und Hände auf das Orchester übertragen. Insofern ist das Dirigat natürlich primär eine manuelle Tätigkeit. Wie für den Handwerker, der mit seinen Händen etwas erschafft, werden die Hände für den Dirigenten zu einem Vehikel, mit dem er seine musikalischen Impulse auf den einzelnen Musiker im Orchester übertragen kann.
Also ist die Hand das vermittelnde Element zwischen Dirigent und Musiker? Es gibt ja auch noch andere Möglichkeiten, wie etwa die Mimik.
Selbstverständlich, aber die Hände, und speziell die Finger, sind hochsensible Gliedmaßen. Dort, wo alle Nervenbahnen letztlich zusammenlaufen und auch enden, besteht eine enorme Empfindlichkeit. Diese Form der Wahrnehmung ist für den Dirigenten von ganz besonderer Bedeutung, da sie ihm die Erfassung des dreidimensionalen Raumes ermöglicht und damit Zugriff auf eine Gestik ermöglicht, die der räumlichen Symbolik des Klangs entspricht. Denn was der Dirigent tut, ist ja letztlich nichts anderes, als die kaum erklärbare Wirkung des Klangs auf unser Bewusstsein im Raum darzustellen.
Die drei Dimensionen des Raumes wie auch die Schwerkraft entsprechen den Gesetzmäßigkeiten des Klangs, dadurch erst lässt sich musikalische Richtung in Bewegung umsetzen und im Raum verwirklichen. Diese räumliche Darstellung beruht also rein auf innerer Verwandtschaft mit dem Klang. Überall da, wo Schwerkraft und Richtung im Klang erlebbar werden, sind sie auch in der Gestik, in der Handarbeit des Dirigenten vorhanden.
Wenn es die direkte Rückmeldung vom Nervensystem, von den Fingerspitzen, was das Gefühl für Schwerkraft angeht, nicht gäbe, dann wäre dem Dirigenten selbst gar nicht klar, was er dort tut. Wie der Pianist, der Geiger und jeder, der mit seinen Händen direkt im Klanggeschehen aktiv ist, ist auch der Dirigent ganz speziell mit dieser Körperregion verbunden.
Was ist die Hand für Sie? Das wichtigste Instrument des Dirigenten?
Wir bringen uns immer dann in Schwierigkeiten, wenn wir innerhalb eines Ganzen Prioritäten schaffen wollen. Die Frage »Was ist wichtiger und was ist sekundär?« kann in diesem Zusammenhang nicht beantwortet werden. Denn der Dirigent muss vollständiger Mensch bleiben, sein oder werden, bevor er überhaupt anfängt.
Viele Dirigenten würden sagen, die Ohren seien das wichtigste Instrumentarium für diese Form der musikalischen Betätigung. Natürlich sind die Ohren für alle Musiker eines der wichtigsten Organe. Dennoch spielen sie im ganzheitlichen Erleben selbst keine wichtigere Rolle als jede andere Form der Wahrnehmung.
Wir können das nicht trennen. Unser Bewusstsein erfasst die klangliche Realität als Ganzes und teilt die Eindrücke nicht nach einer bestimmten Rangordnung ein. Aber für den Auftritt selbst, für das aktive Gestalten, da sind die Arme mit den Händen natürlich das anatomisch dominante Werkzeug.
Das PDF enthält alle fünf Artikel des Schwerpunktthemas "Handlungsbedarf? Wie 27 Knochen Musik machen":
- Die Hand – Sinnesorgan und Werkzeug (von Stefan Fritzen)
- Theinerts Thema: Der Dirigent als Handwerker (von Klaus Härtel)
- Baton, Baguette, Taktstock – Über die Verlängerung des Dirigentenarms (von Martin Hommer)
- Ich mach das mit links! Musizieren und Händigkeit (von Cornelia Härtl und Klaus Härtel)
- Handlungsbedarf – Wichtig, aber oft unterschätzt: Die Hand (von Klaus Härtel)