Lassen Sie mich, meine verehrten Leser, meine Gedanken zur jahrzehntelangen kulturellen Spaltung unseres Landes und zu den Bemühungen, wieder zu einer Sprache zu finden, mit einer kleinen Anekdote beginnen. In den 80er Jahren wurde ich nach unserer Ausreise aus der ehemaligen DDR nach einem langen Anstellungsverfahren in Mannheim am Ende aller Fachprüfungen von der Personalchefin gefragt, ob ich mich in der Lage sähe, als frisch Übergesiedelter in einer freien Gesellschaft eine leitende Stellung zu übernehmen.
Musikpädagogik funktioniert im Osten und im Westen auf gleiche Weise – oder?
Mit relativem Unverständnis stellte ich die Gegenfrage, wo das Problem sei, denn wir hätten eine gemeinsame Kultur, eine gemeinsame Sprache, verträten mit unserer Kunst mindestens fünf Jahrhunderte gemeinsamer Musikgeschichte und Musizierpraxis, hätten die gleichen klassischen Entwicklungen hinter uns, sogar ein nahezu identisches pädagogisches Vorgehen in der Musikvermittlung und sogar größtenteils die gleichen Lehrkompendien im Unterricht.
Musikalische und musikpädagogische Tätigkeit beinhalte also hüben wie drüben die Vermittlung des musikalischen Regelwerkes und die Erarbeitung individueller Leistungen und dies gelänge überall auf der Welt nur durch Fleiß und Disziplin. Dieses Wort »Disziplin« war sofort ein Reizwort bei der Kommission, hinter dem man »stalinistische Zwangsmethoden« vermutete!
Mir wurde schlagartig bewusst, dass die über 40-jährige Teilung unseres Landes auch zu einer semantischen Veränderung der Bedeutung von Sprache und Begriffen geführt hatte, die eine problemlose Verständigung erschweren könnte. Vor dieser scheinbaren Sprachlosigkeit stand 1990 die Bevölkerung beider Teile Deutschlands, wobei der Anpassungsdruck im viel kleineren und armen Ostdeutschland größer war, da man sich im reichen Westen nicht in gleichem Maße gezwungen sah, Prägungen und Gewohnheiten abzulegen, die Ost und West unterschieden.
Fakten statt Interpretation
In den vergangenen 25 Jahren sind die Spezifika der »Ostmusik« in vielen wissenschaftlichen Untersuchungen ausführlich mit dem Versuch beleuchtet worden, die westliche mit der östlichen Musikkultur auf einer Ebene zu analysieren und zu vergleichen. Über ein Ergebnis war man sich einig: Die DDR-Musikkultur repräsentiert einen Zwiespalt von Konformität und Subversion und hat letztlich den Ost-West-Konflikt nicht nur auf militärischer, politischer und ökonomischer Ebene fortgesetzt.
Diese Analyse ist sicher größtenteils richtig, insbesondere dann, wenn man die Situation der »gläubigen« DDR-Sozialisten unter den Künstlern in den Fokus der Betrachtung rückt, deren Macht und kerygmatische Ignoranz und Verlogenheit den unangepassten kreativen Suchern fast die Luft zum Atmen nahm.
Auch namenlose Zeitzeugen? Unbedingt!
Letztlich kann man sich der DDR-Aufarbeitung nur mit der »historisch-kritischen Methode« sicher nähern. Sie ist die erste grundlegende Operation des geschichtlichen Wissens (siehe auch Kurt Flasch, »Warum ich kein Christ bin«). Nicht hehre Worte und verkündete große Ziele, sondern nur genaueste Kenntnisse und Beurteilung des täglichen Tuns und Lassens können Auskunft über die Faktizität einer politischen Ordnung geben.
Da unsere bundesdeutschen Kulturvertreter traditionsgemäß mehr links stehen, fällt es ihnen relativ leicht, mit den Angepassten der ehemaligen DDR einen geistigen Konsens zu finden. Rührt man doch in den gleichen Theoremen. Als Gegensatz zu den großen, wortreichen Untersuchungen hilft dann vielleicht auch die persönliche Erfahrung betroffener Zeitzeugen, um einiges zu verdeutlichen und geradezurücken.
Marx und Murks
Über der gesamten Kultur der ehemaligen DDR lag die Dunstglocke der kommunistischen Klassendoktrin, die begrenztes Fragen und Experimentieren nur dann zuließ, wenn dies nicht an den Grundfesten der kommunistischen Diktatur rüttelte. Da dieses System letztlich ein ungeliebt übergestülptes war, das kaum mehrheitlich Proselyten anzog und nur einen politischen Opportunismus und ein permanentes politisches Credo für die Errungenschaften der DDR, der Sowjetunion und der »Bruderstaaten« zuließ, misstrauten wir Musiker aus den Orchestern immer den »erfolgreichen« Komponisten. Waren sie in ihrem Schaffen wirklich aufrichtig?
Das PDF enthält alle fünf Artikel des Schwerpunktthemas "Deutschland, deine Musik":
- Deutschland, deine Musik! 25 Jahre Suche nach der gemeinsamen Sprache? (von Stefan Fritzen)
- Theinerts Thema – Die Deutsche Einheit (von Klaus Härtel)
- Mehr Bildung! Michael Stecher im Gespräch (von Klaus Härtel)
- Der Badonviller-Marsch: Dunkle Kapitel deutscher Geschichte (von Hans-Jürgen Schaal)
- Sprachsensible Probenarbeit: Unterstützungshilfen für nicht muttersprachliche Musiker (von Florian Seemann)