Wenn wir Musiker uns Gedanken über den Gebrauch und die Funktion unserer Hände machen, befällt uns im Regelfall eine gewisse Unruhe: »Hoffentlich passiert mir nichts mit meinen Händen!« Und ein instinktives Grausen erfasst uns Menschen, wenn wir hören, dass Schariahörige Islamfanatiker Straftätern die Hände abhacken. Instinktiv wissen wir, dass die Unversehrtheit unserer Hände ein kostbares Gut und der Grad der Behinderung bei Verlust von Fingern und Hand kaum kompensierbar ist.
Aber auch unsere Sprache ist von Greifen, Zupacken und Räumlichkeit geprägt – wir haben etwas im Griff, wir packen das, ich stelle eine These auf oder reiße ein Denkgebäude ein, die handelnden Personen behalten die Übersicht, eine Handlung ist spannend, wir nehmen Schüler oder Musiker fest an die Hand und sind durch packende Reden immer obenauf. Alle diese Topoi weisen auf die Bedeutung des Greifens und Fassens in unserer Genese hin.
Die Funktionalität der Hände beim Instrumentalspiel
Schon relativ frühzeitig haben Musikpädagogen und Ärzte über die Funktionalität der Hände und ihre Störungsursachen beim Instrumentalspiel geforscht. So gibt es in musikmedizinischen Einrichtungen auch Handsprechstunden, und die Handchirurgie gehört zu den wichtigen Gebieten mit besonderer Ausbildung der Ärzte.
Die Handchirurgin Dr. Gerlinde Kludszuweit schreibt zu dieser Thematik: »Da es sich bei der menschlichen Hand um ein hochdifferenziertes Organ mit zahlreichen feinen, aufeinander abgestimmten Strukturen handelt, müssen in der Mehrzahl der Fälle die Untersuchungen beider Hände durch Untersuchungen beider Arme, der Schulterregion und der Halswirbelsäule ergänzt werden. Zwischen körperlicher und seelischer Struktur eines Menschen einerseits und seiner Hand andererseits bestehen enge Zusammenhänge, sodass ihre Nichtbeachtung (bei der Bewertung einer Erkrankung der Hand, Anm. des Verf.) zu Misserfolgen führen kann.« (Wiss. Zentr. Univ. Halle XXII, S. 73-80)
Homunkulus – das Menschlein
Bereits 1950 veröffentlichte der kanadische Mediziner Penfield ein Modell, das die Bedeutung einzelner Körperregionen in Korrelation zum Gesamtkörper in der Verteilung unserer Hirnareale darstellt, unter dem Begriff Homunkulus. Der Begriff, der Goethes »Faust« entlehnt ist, bezeichnet einen künstlich erschaffenen Menschen. In der menschlichen Anatomie und Physiologie wird er metaphorisch gebraucht. Aus den Grafiken auf Seite 24 kann man eindrucksvoll die nervale Wertigkeit der verschiedenen Körperteile ersehen.
Die Hände nehmen in dieser Grafik einen überproportional großen Raum ein. Für besonders sensible oder feinmotorische Körperabschnitte (zum Beispiel die Finger) stehen große Areale zur Verfügung. Andere Körperteile, die keine fein abgestimmten Bewegungen ausführen und die nicht so schmerzempfindlich sind (zum Beispiel der Bauch), haben nur relativ kleine Rindenfelder im Gehirn.
Funktionelle Bedeutung der Hand
Funktionell hat die Hand zwei Hauptaufgaben:
- die Nutzung als Werkzeug für unsere Auseinandersetzung mit der direkten Umwelt (zum Beispiel Greifen, Stoßen, Schieben etc.)
- ihre Verwendung als Wahrnehmungsorgan für das Fühlen und zu ertastende Informationen (taktile Gnosis).
Zweimal Greifen: Kraft- und Präzisionsgriff
Der Kraftgriff (Grobgriff) richtet sich nach Größe, Masse und Gestalt des zu fassenden Gegenstands. Dabei befinden sich Daumen und die Handfläche in kompletter Greifopposition. Ein Gegenstand wird von der gesamten Hand fest umfasst. Der Kraftgriff ist auch ohne Nutzung des Daumens möglich. In dieser Stellung wird er als »Affengriff« bezeichnet. Die Maximalkraft wird allerdings nur im Zusammenwirken mit dem Daumen erreicht.
Der Präzisionsgriff (Feingriff) ermöglicht die Haltung und Führung von Gegenständen, um fein abgestufte Bewegungen auszuführen, wie sie beispielsweise beim Instrumentalspiel gebraucht werden. Besondere Bedeutung bei dieser Greiffunktion hat die Opposition von Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger. Diese drei Finger werden auch »sehende Finger« genannt, da sie nicht nur dem feinsten Greifen, sondern auch der Orientierung dienen. In ihnen ist der Tastsinn besonders ausgeprägt, was zum Beispiel Blinden entscheidend zugute kommt.
Das PDF enthält alle fünf Artikel des Schwerpunktthemas "Handlungsbedarf? Wie 27 Knochen Musik machen":
- Die Hand – Sinnesorgan und Werkzeug (von Stefan Fritzen)
- Theinerts Thema: Der Dirigent als Handwerker (von Klaus Härtel)
- Baton, Baguette, Taktstock – Über die Verlängerung des Dirigentenarms (von Martin Hommer)
- Ich mach das mit links! Musizieren und Händigkeit (von Cornelia Härtl und Klaus Härtel)
- Handlungsbedarf – Wichtig, aber oft unterschätzt: Die Hand (von Klaus Härtel)