Brass, Orchestra, Schwerpunktthema, Wood | Von Hans-jürgen Schaal

Schwerpunktthema: Die Vorläufer der Neuen Volksmusik – Biermösl Blosn

In der traditionellen bayerischen Volksmusik geht es nicht immer nur um die schönen Augen und die schönen Madln. Bayerische Volkssänger wie der »Kraudn Sepp« (1896 bis 1977) oder der »Roider Jackl« (1906 bis 1975) beherrschten durchaus auch schon kritische und satirische Töne. Davon hatte unser Autor – ein Wahlbayer – anfangs natürlich keine Ahnung.

Deutsche Regionalfolklore – rückständig und stumpfsinnig?

Gehen wir zurück ins Jahr 1980. Für einen Studenten aus der Großstadt, aufgewachsen mit Rock und Punk, mit Sexwelle und Räucherstäbchen, mit RAF-Terror und NATO-Doppelbeschluss, mit Langhaarfrisuren und Schlaghosen, mit amerikanischen Fernsehserien und Fassbinder-Filmen, konnte es 1980 kaum etwas Rückständigeres und Stumpfsinnigeres geben als die deutsche Regionalfolklore.

Bayerische Volksmusik zum Beispiel – das war für mich der Inbegriff reaktionärer Dumpfbacken-Mentalität und verlogener Heile-Welt-Träumerei. Überhaupt Dialekt – für mich der schrille Ausdruck von geistigem Stillstand und tradierter Volksdummheit. Mit dieser Meinung stand ich keineswegs allein da. Folklore war etwas für Ewiggestrige.

Umwertung von Regionalität und Folklore

Zum Glück ist man in jungen Jahren noch lernfähig. Nach 1980 erlebten wir eine schrittweise Umdeutung und Umwertung von Regionalität und Folklore. In der Musik fing das an mit der Entdeckung, dass Blues und Groove ganz gut zu den Dialekten der Großstädte passen. Die Sängerin Marianne Mendt hatte das schon 1970 vorgemacht mit »Wie a Glock’n« – auf Wienerisch.

Andere zogen nach, etwa Joy Fleming mit ihrem »Neckarbrückenblues« (1972) und dem »Mannemer Dreck« (1973) – auf Mannheimerisch. Oder Wolle Kriwanek mit dem »Badwanna Blues« (1974) und der »Stroßaboh« (1980) – auf Stuttgarterisch. Oder Willy Michl mit dem »Bahnhofsblues« (1973) und »Drah di net um« (1974) – auf Münchnerisch.

Da klang Dialekt plötzlich ehrlich, direkt, frech und jung. Bald gab es auch Kölsch-Rock (BAP) oder Neue Deutsche Welle auf Münchnerisch (Spider Murphy Gang). Dialekt konnte also auch etwas anderes sein als geistiger Stillstand und tradierte Volksdummheit.

Folklore ist Weltmusik

Im München der frühen 80er Jahre entdeckte ich eine aufmüpfige und sozial-kritische Kabarett-, Kleinkunst- und Musikszene, wo tatsächlich Bairisch gesprochen und gesungen wurde. Mir gefielen Kabarettisten wie der Münchner Gerhard Polt und der Passauer Siggi Zimmerschied. Und natürlich der Liedermacher, Poet und Pianist Konstantin Wecker, der seine besten und aufrührerischsten Songs im Dialekt sang – etwa »Lang mi ned o« (1975) oder »Oamoi von vorn ofanga« (1978).

Es war ein besonderes politisches Klima damals. Die grüne, die umweltbewusste Weltsicht griff gerade um sich. Sie erschreckte nicht nur die etablierten Parteien, sie beförderte allgemein das ökologische und globale Denken. Nicht zufällig kam damals die Weltmusik in Mode. Auf dem Plattenteller lagen Aufnahmen von Alan Stivell, Joan Baez oder den Dubliners, die Musikfestivals entdeckten exotische Kulturen, und selbst im Jazz hörte man ­Sitar, Shakuhachi und Bandoneon.

Regionale Kulturen erschienen plötzlich in einem anderen Licht – nicht mehr als verbohrte Heimattraditionen, sondern als Bausteine einer weltweiten Multikulti-Vielfalt. Die Vorstellung eines Europas der Regionen muss irgendwann um 1980 geboren worden sein – und sie machte damals auch ein Neuverständnis bayerischer Folklore möglich.

Der Student aus der Großstadt jedenfalls begann etwas ganz Unerwartetes zu hören: eine Volksmusik, die sich kritisch und selbstkritisch erneuerte. Dieses Aha-Erlebnis schenkte ihm vor allem eine Formation: die Biermösl Blosn.

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