Es war der »Erfinder« der Olympischen Spiele der Neuzeit, Pierre de Coubertin, der das olympische Motto »citius, altius, fortius« (schneller, höher, stärker) einführte. Der oft zitierte olympische Gedanke »Dabei sein ist alles« steht interessanterweise in klarem Gegensatz dazu. Auch in der Musik kann man das beobachten. Die zu spielenden Werke werden technisch vertrackter, schwerer und für eine gewöhnliche Besetzung fast unspielbar. Thomas Doss kann die Szene aus verschiedenen Sichtweisen betrachten. Er ist Dirigent, Komponist und kennt die Blasorchester-Szene genauso gut wie die Brassband-Szene. Wir sprachen mit ihm über die »Sucht nach neuen Höchstleistungen« und ob dieses Streben im schlimmsten Fall auch zum Kollaps führen kann.
CLARINO: Ist die Beobachtung richtig, dass der Trend in die Richtung geht, dass Literatur immer schwerer wird, dass sich Leistungsstufen nach oben verschieben, dass technische Anforderungen immer größer werden?
Thomas Doss: Ich denke, dass es eine natürliche Entwicklung ist, dass die Literatur immer komplexer wird. Der Ausbildungsstandard wird immer besser, die Szene emanzipiert sich immer mehr. Das Blasorchester ist ein unglaublich aktueller Bestandteil der Musikszene geworden und es wachsen die wildesten Früchtchen daraus.
Auf der einen Seite stehen mittlerweile ernstzunehmende Dirigenten und Musiker, die sich dem Phänomen Blasorchester verschrieben haben. Sie erheben Anspruch auf gute Literatur. Auf der anderen Seite stehen die Verlage, die sich am Markt orientieren. Wir Komponisten stehen in der Mitte und dürfen nicht müde werden, gute Musik zu schreiben – die folglich auch immer komplexer oder schwerer wird. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu kämpfen, dass ein gewisser Grundgeist in die Musik fließt. Ausbildung und Weiterbildung gewährleisten hier einen fortlaufenden Prozess der Weiterentwicklung in Sachen Literatur. Deswegen: Ja, meiner Meinung nach verschiebt sich alles weiter nach oben.
Das PDF enthält alle fünf Artikel des Schwerpunktthemas “Sucht – Ein Thema für Musiker?”:
- Sucht in der Musik – Künstlerische Tätigkeit als Gefährdung? (von Stefan Fritzen)
- Ein Thema für Musiker? Die Angst, der Alkohol und die Sucht (von Claudia Spahn)
- Unser Gehirn braucht Musik – Die älteste Droge der Welt (von Hans-Jürgen Schaal)
- “Es verschiebt sich nach oben” – Thomas Doss über schneller, höher, stärker (von Klaus Härtel)
- “Emotionen sind für mich viel wichtiger als Gedanken und Überlegungen” (von Alexander Türk-Espitalier)