»L’homme armé« (dt: »Der Mann in Waffen«; Notenbeispiel 1) ist zweifellos eines der größten Faszinosa der Musikgeschichte. Der Gesang aus dem späten 15. Jahrhundert wurde in der Folge zu einem wahrhaftigen Schlager der Renaissance, dessen Popularität weit über hundert Jahre währte. Kann man die Beliebtheit eines Musikstücks heutzutage an Parametern wie Verkaufszahlen oder Chartpositionen messen, so gilt für die Musik der Renaissance die Anzahl der Verwendungen als Cantus Firmus in Messen und anderen Kompositionen als Indikator für den Bekanntheitsgrad eines Gesangs. In dieser Beziehung ist »l’homme armé« unerreicht.
Doch nicht nur die schiere Menge an Werken mit diesem Sujet beeindruckt, auch die Namen der Komponisten, die sich des Gesangs in der ein oder anderen Form angenommen haben, liest sich wie ein Who is Who der franko-flämischen Vokalpolyphonie. Die Liste deckt dabei eine beträchtliche Zeitspanne ab und reicht etwa von Dufay (1397 bis 1474) bis Palestrina (1525 bis 1594). Es scheint gerade so, als gehörte es damals zum guten Ton eines Komponisten, diesen Cantus firmus mindestens einem kapitalen Werk seines Œuvres zugrundezulegen.
Daher erscheint es kaum verwunderlich, dass sich auch Komponisten späterer Generationen jenes Gesangs aus der Renaissance angenommen haben. Befindet sich Giacomo Carissimis (1605 bis 1674) zwölfstimmige Messe von 1640 noch vergleichsweise nahe an der Glanzzeit der »L’homme armé«-Tradition, so kann man dies für Werke des 20. Jahrhunderts freilich nicht mehr behaupten. Dennoch kann man in den letzten etwa 100 Jahren durchaus eine Tendenz zur erneuten Verwendung des Renaissance-Gesangs feststellen. Unter anderem haben Johann Nepomuk David (1895 bis 1977) oder Peter Maxwell Davies (*1934) das Lied für sich wiederentdeckt und zur Grundlage eigener Kompositionen gemacht.
Das PDF enthält alle fünf Artikel des Schwerpunktthemas "Auf Zeitreise – Musizieren über Epochen hinweg"
- Musizieren über Epochen hinweg – Was du nicht kennst, kannst du nicht hören (von Stefan Fritzen)
- Fantasia super l’homme armé – Ein Beispiel für epochenübergreifendes Komponieren (von Jörg Murschinski)
- Theinerts Thema – "Die Wirkung bleibt die gleiche" (von Klaus Härtel)
- Let’s do the Time Warp again! Alison Balsom ist immer auf Zeitreise (von Klaus Härtel)
- Die Echoflöte – Bachs Brandenburgisches Konzert in neuem Klanggewand (von Cornelia Härtl)