Orchestra, Schwerpunktthema | Von Stefan Fritzen

Schwerpunktthema: Jazz und Blasmusik – Zwei verwandte Spezies?

Lassen Sie mich, meine verehrten Leserinnen und Leser, einen Vergleich aus der menschlichen Genetik benutzen: Unsere Paläontologen versuchen heute herauszufinden, ob und wie weit Neandertaler und Homo sapiens miteinander verwandt waren, sie sich miteinander vermischten, schon kompatible Kulturen hatten und Impulse bis in unsere Zeit des Homo sapiens ausgesandt haben.

Auch in unserem heutigen Thema interessieren uns also in erster Linie die Verwandtschaft und die »genetische« Vermischung zweier heute eigenständiger musikalischer Gattungen, den Jazz und die Blasmusik, und eine mögliche nachhaltige Kompatibilität beider Genres. Eine grundsätzliche Übereinstimmung ist vorab zu konstatieren: Die instrumentalen Klangträger beider Gattungen sind vorwiegend Blasinstrumente.

Der Lebenshauch wird klingender Geist

Blasinstrumente als Überhöhung und Verfremdung der menschlichen Stimme und mannigfacher Naturgeräusche sind eng mit der Akkulturation der Menschheit verflochten. Das Hervorbringen von Tönen und Klängen auf von Menschen hergestellten Aerophonen diente schon in der Frühzeit zur Darstellung und Verdeutlichung dämonischer oder göttlicher Erlautungen. Sie werden durch den Lebenshauch des Menschen überhaupt erst zum Klingen gebracht und spielen in allen Schöpfungsmythen neben dem Gesang eine wichtige Rolle.

Im Kult gewinnen sie eine beschwörende Kraft und verlieren ihre Bedeutung auch nicht in den Jahrtausenden der menschlichen und gesellschaftlichen Entwicklung. Noch im Mittelalter wurden hochgestellte Persönlichkeiten wie Kaiser und Könige durch Fanfarenklänge angekündigt, und die Herolde der prächtig ausstaffierten Trompeterzünfte standen in allerhöchstem Ansehen. Schon in frühesten Zeiten gehörte auch das Schlaginstrumentarium, zum Beispiel Klanghölzer oder diffus schwingende Fellinstrumente, zu den speziellen kultischen und repräsentativen Aufgaben geblasener Musik.

Wind Instruments nur bei Wind?

Mit der Herausbildung der abendländischen klassischen Musik und der Zusammenführung von Saiten- und Blasinstrumenten wurden Letztere zu sogenannten Harmonieinstrumenten und reine Bläserensembles zur Harmoniemusik. Über diese nachzudenken, wäre ein eigenes Thema.

Schon immer spielten Blasmusiken bei festlichen Veranstaltungen an frischer Luft eine bedeutende Rolle. Man denke nur an die Freiluftmusiken von Georg Friedrich Händel (1685 bis 1759) oder die französischen Revolutionsmusiken zum Beispiel von Charles Simon Catel (1773 bis 1830). Die Liste namhafter Komponisten für Bläser ließe sich über Mozart, Mendelssohn bis Richard Strauss, Paul Hindemith oder Ernst Toch und viele andere ergänzen.

Daneben waren Bläser immer bei Tanzfesten unter der Dorflinde bis hin zu den späteren großen Ballsälen der 20er Jahre unverzichtbar. Feurige oder gemütvolle Tanzmusik vielfältiger nationaler Prägungen erfreut sich noch aktuell großer Beliebtheit.

Heute unterscheiden wir sinfonische und traditionell unterhaltende Blasmusik. Dabei bietet die Begrifflichkeit auch hierbei schon wieder Anlass zu Fehldeutungen, denn Musik sollte eigentlich immer sowohl ernsthaft als auch unterhaltend sein und dem Formenreichtum sind nie Grenzen gesetzt. Das heißt, sie sollte stets allen Spielern und Hörern Vergnügen bereiten.

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