Brass, Orchestra, Schwerpunktthema, Wood | Von Klaus Härtel

Schwerpunktthema: Mehr Bildung! Michael Stecher im Gespräch

Wenn wir das Thema »Deutschland, deine Musik« betrachten, kommen wir um die Musikpädagogik nicht herum. Michael Stecher hat sich viele Gedanken zum Thema gemacht. »Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht«, dichtete einst Heinrich Heine. Der Pädagogik-Dozent der Musikhochschule Freiburg kann zwar noch gut schlafen, aber er fordert dringend ein Umdenken.

Herr Stecher, »Früher war alles besser«! Auch in der Pädagogik?

Wenn man die Bildung betrachtet, haben wir heute große Chancen. Denn wir erleben so viele Reformen wie noch nie. Früher war Bildung relativ konstant und heute jagen wir von einer Reform zur nächsten. Das wäre wirklich eine Chance. Leider haben wir uns aber ein Problem eingefangen, weil sämtliche Reformen in der Bildung – alle! – den Kern der Bildung verlieren.

Aber: Den Kern der Bildung hatten wir früher auch nicht. Das war also nicht besser, denn der Kern der Bildung ist eigentlich noch nie richtig in die Bildungssysteme eingedrungen. Es geht schlicht darum, dass Verstehensprozesse kaum eine Rolle spielen. Es geht um Faktenvermittlung, Stoffhuberei, Wissensanhäufung.

Den Kern der Bildung als wirklicher Verstehensprozess haben wir nicht. Nirgends. Den haben wir nicht in der Mathematik, nicht bei den Fremdsprachen und wir haben ihn auch nicht in der Musik. Insofern ist es eigentlich schade, dass alles nach Bildung schreit, wir aber zum Kern nicht vorstoßen. In dieser Hinsicht kann man die gesamte Bologna-Reform als gescheitert betrachten. Wir betreiben hier momentan nämlich Ausbildung und keine Bildung.

Wo liegt denn der große Unterschied zwischen Bildung und Ausbildung?

Allgemein gilt: Das kritische und mündige »selbst denken« bleibt auf der Strecke. Wenn wir die Begriffe Bildung vs. Ausbildung auf die musikalische Ebene übertragen, haben wir auch hier keine Bildung mehr, sondern nur noch Ausbildung. Das bedeutet für die Musikschultätigkeit und in den Vereinen, wo es darum geht, so schnell wie möglich das Musikerleistungsabzeichen zu bekommen, in erster Linie: Wie wird der Schüler technisch fit auf dem Instrument?.

Das ist ein typischer Ausbildungsgedanke. Der Schüler soll seine Trompete spielen, er soll funktionieren. Aber der Bildungsaspekt geht ja viel, viel, viel tiefer. Der berührt über die Musik den kompletten Menschen. Nach der »Grundausbildung« zieht sich der Ausbildungsgedanke weiter bis in die Musikhochschulen. Diese sind geradezu Paradeanstalten, in denen der technische Aspekt ganz weit vorne steht. Die wirklichen musikalischen Verstehensprozesse bleiben auf der Strecke.

Das ist im Musikverein genau das gleiche. Die Fragen lauten dann: Was macht ihr denn für eine Ausbildung? Warum sind die Schüler nicht motiviert? Warum kommen die nicht gerne zur Probe? Und man geht dann nicht an die Wurzel des Problems. Denn die Wurzel ist ja, dass ich, wenn ich Musik als Musik erlebe, die musikimmanenten Wirkkräfte in mir habe. Dann muss man nicht mehr motivieren. Aber wenn ich nur technisiere und keinen Verstehensprozess anleite, kommt es zu Motivationsproblemen. Dann wird nur kuriert mit »Ihr müsst mehr üben!«

Ein Teufelskreis?

Im professionellen Bereich sagt man, es sei für manch einen Studenten einfacher, sechs Stunden Technik zu üben als eine halbe Stunde über Musik nachzudenken. Im Amateurbereich machen die Musikerleistungsabzeichen in der Ausbildung eigentlich einen guten Kern aus. Aber da wird eine wahnsinnige Stoffhuberei betrieben. Die Musiker müssen schon im D2-Bereich Kadenzen schreiben. Diese fertigen sie aber nur nach den Stimmführungsregeln an. Ein inneres Hören des Geschriebenen gibt es nicht.

Musikgeschichte kommt bereits im D1-Bereich vor. Das Problem aber ist, dass dieses Wissen nicht mit dem gekoppelt wird, was die musikalische Erfahrung eigentlich ausmacht. Das ist blankes, totes Wissen. Statt Musikgeschichte bräuchte es so etwas wie Interpretations- oder Stilkunde.

Das PDF enthält alle fünf Artikel des Schwerpunktthemas "Deutschland, deine Musik":

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