Anfang des 20. Jahrhunderts machten sich die Brassbands in New Orleans heftige Konkurrenz. Jede wollte der anderen die besten Musiker abjagen. Wenn sich zwei Bands bei einer Parade begegneten, versuchten sie einander zu übertönen und aus dem Takt zu bringen.
Wenn der Trompeter Miles Davis in den 1950er Jahren seine sparsamen, exquisiten Phrasen spielte, womöglich mit Dämpfer, dann verglich man ihn gerne mit einem Mann, der auf rohen Eiern geht – so sanft und zerbrechlich waren seine Töne. Auch dem Tenorsaxofonisten Stan Getz wurde bescheinigt, sein Spiel sei »flötenleicht« und besitze »die Qualität eines Flüsterns«. Die Läufe des Altsaxofonisten Paul Desmond erinnerten manche Kritiker gar an das schwerelose Flattern eines Kolibris. Doch nicht immer klang der Jazz so sanft wie in den Jahren des Cool Jazz. In den Anfängen war Jazz eine lautstarke, kraftvolle Freiluftveranstaltung.
Die Geburtsstätte des Jazz, die Hafenstadt New Orleans am Golf von Mexiko, unweit der Mündung des Mississippi, wurde schon im 19. Jahrhundert bekannt für ihre vitalen Blaskapellen und Straßenparaden. 1838 beklagte die New Orleanser Zeitung »Picayune Times« eine regelrechte »Welle vulgärer und anzüglicher Musik«. Man konnte lesen: »Es herrscht eine wahre Manie für Trompeten und Blechbläser.«
Die Brassbands in New Orleans waren nicht einfach nur Blaskapellen. Sie waren das Telefon, das Radio, das Fernsehen des 19. Jahrhunderts. Wer in New Orleans eine Neuigkeit zu verkünden hatte, schickte eine Brassband los. Wer ein Produkt bewerben wollte, engagierte eine Brassband. Wer Hochzeit feierte, einen Wahlkampf führte, ein öffentliches Picknick steigen ließ, eine Zirkusvorstellung ankündigte, holte dafür eine Brassband. Wenn abends ein Konzert anstand, zogen die Musiker tagsüber blasend und trommelnd durch die Straßen, um für sich selbst zu werben. Bevor New Orleans 1803 amerikanisch wurde, war es französischer, dann spanischer, dann wieder französischer Kolonialbesitz gewesen. Immigranten aus vielen Ländern lebten in der Stadt, auch Italiener, Deutsche und Iren. Die ethnischen Gruppen pflegten ihre eigenen Blasmusik-Traditionen. Stets stand irgendein Feiertag oder ein Familienfest an, zu dem eine Brassband gebraucht wurde. Auch die Marine paradierte gerne zur Blasmusik.
Das PDF enthält alle sechs Artikel des Schwerpunktthemas "Die Brassband – Alles Blech oder was?":
- Freiburg ruft! Endlich wieder in Deutschland: Die EBBC (von Klaus Härtel)
- Die Brassband – Ungeliebte musikalische Droge? (von Stefan Fritzen)
- Theinerts Thema: Chancen und Risiken durch Brassbands (von Martin Hommer)
- "Die Brassband ist wie eine Orgel" – Philip Sparke über die Unterschiede von Brassband und Blasorchester (von Cornelia Härtl)
- Instrumentation für Brassband – Kein Mangel an Brillanz und Klangfarben (von Daniel Willi)
- Wo der Jazz herkommt – New Orleans, die Stadt der Brassbands (von Hans-Jürgen Schaal)