Wir treffen Selina Ott im Café 220Grad in Salzburg. Ihre Trompeten hat sie dabei. Direkt gegenüber liegt das Große Festspielhaus, in dem die Trompeterin an drei aufeinanderfolgenden Abenden Wagner, Schostakowitsch, Prokofjew und Hummel mit dem Mozarteumorchester unter der Leitung von Patrick Hahn gibt. Das erste Konzert ist erfolgreich absolviert, Selina Ott ist entspannt. Ob sie überhaupt mal irgendwann nervös wird? Vielleicht im Interview, bei dem sie sich zwischen zwei Begriffen entscheiden muss …
Wien oder München?
Da wähle ich Wien. Ich habe in Wien gelebt, bin in Wien zur Schule gegangen und habe dort studiert. Ich habe auch in Wien öfter gespielt als in München. In München habe ich bisher tatsächlich nur den Musikwettbewerb der ARD im Jahr 2018 gespielt. Ich hoffe, das kommt noch.
Den Wettbewerb im Sommer 2018 hat Selina Ott nicht nur gespielt, sie hat ihn auch gewonnen. Sie war in diesem Fach erst die vierte Trägerin eines 1. Preises überhaupt und kann daher in einem Atemzug mit Maurice André genannt werden. Deshalb hat München für Selina Ott natürlich trotz der Wahl “Wien” eine herausragende Bedeutung.
München hat natürlich eine ganz wichtige Bedeutung. Dort hat letztlich alles begonnen, es hat sich alles geändert “von heute auf morgen”. Also ich hab wirklich nur positive Gefühle, wenn ich an München denke. Ich war mitten im Bachelorstudium und der 1. Preis beim Wettbewerb hat wirklich eine katapultartige Wirkung gehabt. Schon am nächsten Tag kamen die Konzertanfragen rein, die Tür war plötzlich auf.
Individual- oder Mannschaftssport?
Da wähle ich Individualsport. Ich habe während des Studiums natürlich auch Erfahrungen im Orchester sammeln dürfen, aber durch den Wettbewerb ist mir die Tür zur solistischen Karriere geöffnet worden. Ich glaube, das liegt mir auch ganz gut. Es bereitet mir eine irrsinnige Freude. Auf der Bühne stehen zu dürfen, ist ein wahnsinniges Erlebnis.
Gab es nie die Überlegung, ins Orchester zu gehen?
Am Anfang habe ich natürlich mit dem Gedanken gespielt. Und zu Covid-Zeiten habe ich mich schon beim Gedanken ertappt, ob eine Orchesterstelle nicht sicherer wäre. Es ist ja auch nicht so, dass Orchester mir keinen Spaß gemacht hätte. Aber ich habe dann mit einigen Leuten gesprochen – mit 20 kennt man sich ja doch nicht so gut aus, um eine solch weitreichende Entscheidung zu treffen. Ich habe dann entschieden, ins Risiko zu gehen und für die Solo-Karriere zu kämpfen. Ich habe gemerkt: Ich brenne dafür!
Was ist so faszinierend am Solistendasein? Man muss ja gerne im Rampenlicht stehen. Dir liegt das, oder?
Ich denke schon. Man muss der Typ dafür sein, damit man das aushält. Wenn man vor jedem Konzert Magenkrämpfe bekommt oder sämtliche Angstzustände, ist das sicher nicht gesund. Ich bin definitiv der Typ dafür. Mir hat ja auch der ARD-Wettbewerb Spaß gemacht. Ich mag die Herausforderung. Beim Trompetespielen hat man nicht immer gleich gute Tage und es funktioniert immer alles. Das Risiko spielt immer mit. Aber mich fasziniert einfach, mit verschiedenen Orchestern zu spielen. Jedes Orchester spielt anders, jeder Dirigent arbeitet anders. Gerade spielen wir Schostakowitsch und das Hummel-Konzert – und das sind wieder komplett neue Versionen, die ich so noch nie gespielt habe.
Inspiration oder harte Arbeit?
Beides. Bei Werken, die ich schon öfter gespielt habe, ist es mehr Inspiration. Bei neuen Stücken der zeitgenössischen Musik ist es vermutlich mehr harte Arbeit, um dahin zu kommen, die Musik zu erzeugen.
Tradition oder Innovation? Spielst du lieber klassisches oder neues Repertoire?
Momentan liegt der Fokus mehr auf neuen Werken. Ich versuche, bei den Veranstaltern durchzusetzen, dass wir unbekanntere und neue Werke spielen. Das ist wirklich nicht einfach. Viele Veranstalter trauen sich das nicht und setzten lieber Klassiker aufs Programm. Es ist natürlich leichter, weil die das Publikum anziehen. Beim klassischen Repertoire setzte ich definitiv auf Tradition. Gerade bei den österreichischen Komponisten gibt es für mich einen Weg mit minimalem Spielraum, wie der Spielstil sein sollte. Da bin ich ziemlich eingefahren und nicht so flexibel. Wenn man in Wien studiert hat, ist das vermutlich so. Aber beim Repertoire des 20. Jahrhundert aus Russland oder Frankreich gibt es schon verschiedene Inspirationswege.
Wie geht man bei neuen Werken vor, die man noch gar nicht kennt? Ist das auch ein Stück weit eine Puzzle- oder Knobelarbeit?
Ja, auf jeden Fall. Vor allem ist zu Beginn ziemlich viel Mathematik, weil die Rhythmen oft sehr kompliziert sind. Man sitzt dann erst einmal stundenlang, zeichnet Striche ein, rechnet alle Takte durch und überlegt, wo der Schwerpunkt ist. Viel harte Arbeit, rechnen und stures Üben. Erst später eigentlich, wenn man es spielen kann, fängt die Musik dann an. Und es kann bei der ersten Orchesterprobe passieren, dass es doch ganz anders klingt. Da muss man sehr flexibel sein. Ich finde das spannend, weil es nun einmal Musik ist, die noch nie jemand gehört hat. Und es ist jedes Mal ein Risiko, ob es auch funktioniert mit Orchester.
Live oder Studio?
Live! Ich finde es bei Aufnahmen ganz schwer, diese magischen Momente zu erreichen, die ein Konzert ausmachen. Man unterbricht und spielt wenig ganz durch. Bei meiner jüngsten CD habe ich das Weinberg-Konzert aufgenommen, das ich davor noch nie in einem Konzert gespielt hatte. Erst ein halbes Jahr später habe ich es live gespielt und da erst gemerkt: “Ah, so geht das Konzert eigentlich!” CD-Aufnahmen machen mir schon auch Spaß. Sie können sehr anstrengend sein, weil man oft stundenlang aufnimmt. Für den Ansatz ist das dann ein bisschen mühsam. Live ist damit nicht vergleichbar. Man hat immer nur einen Versuch, es geht um Leben oder Tod (lacht).
Im Studio spielt man bei Fehlern einfach noch mal, wie gehst du mir Fehlern im Konzert um? Oder passieren die gar nicht?
(lacht) Doch, sicherlich! Einfach weiter machen. Sich über Fehler zu ärgern bringt wirklich gar nichts. Man sollte ziemlich schnell lernen, die Fehler Fehler sein zu lassen. Denn erstens merken es die meisten Leute nicht einmal und zweitens zählt ja immer das gesamte. Und wenn man sich über einen Fehler ärgert, passiert relativ schnell der nächste. Die Gedanken darüber kann man sich ja hinterher machen, um die Fehler beim nächsten Mal zu vermeiden. Ich strebe zwar Perfektionismus an, weiß aber auch, dass der nur sehr schwer zu erreichen ist.
Wie wichtig ist dann vor dem Hintergrund, dass die Instrumente in Ordnung sind? Du musst dich ja darauf verlassen können, dass da kein Ventil klemmt …
Genau, denn das passiert immer im Konzert (lacht). Meine Instrumente sind immer in einem guten Zustand. Ich mag nichts weniger, als wenn die Ventile langsam gehen. Da bekomme ich Aggressionen. Aber natürlich kann immer mal was passieren im oder kurz vor dem Konzert. Mir ist schon mal eine Wasserklappe abgebrochen, einen Tag vor dem Konzert. Da telefoniert man dann hektisch mit der Firma Schagerl, weil man nicht mal schnell nach Mank fahren kann. Klebeband hat dann den Zug dichtgemacht. Das Instrument sah aus wie eine Anfängertrompete, die am Tag mehrmals runterfällt. War ein bisschen peinlich – was soll der Konzertmeister denken! Aber die Trompete war dicht, es hat alles funktioniert.
Pferde oder Katzen?
Das ist schwer. Ich habe Pferde und eine Katze. Hättest du Hunde gesagt, wäre es leicht gewesen. Ich bin definitiv ein Katzenmensch. Und die Pferde sind wirklich ein wichtiger Teil in meinem Leben. Ich liebe Pferde von klein auf, aber es war mir nie erlaubt, zu reiten. Meine Mutter – auch Musikerin – ist als Jugendliche einmal gestürzt und hatte sich den Ellbogen gebrochen und wollte meinen Bruder und mich davor quasi schützen. A
n meinem elften Geburtstag aber haben meine Großeltern mir eine Reitstunde geschenkt. Und ich war so begeistert, dass die Mama es nicht übers Herz gebracht hat, mir das zu verbieten. Daraus wurden dann wöchentliche Reitstunden und ich hatte später Pflegeponies. Den Traum des eigenen Pferdes konnte ich dann auch irgendwann verwirklichen. Mittlerweile haben wir vier Pferde – was anfänglich als Phase abgetan wurde, ist definitiv keine Phase mehr. Der Traum ist Realität geworden und damit kamen Verantwortung und auch Sorgen. Die Faszination aber ist ungebrochen. Es ist mehr als ein Hobby und ein superguter Ausgleich zur Musik.
Jeans oder Kleid?
Auf Tour lebe ich das glamouröse Glitzerkleid-Leben und zu Hause bin ich immer in Jeans. Beim Ausreiten im Westernsattel sowieso. Ich habe zwei komplett unterschiedliche Leben. Sobald der Koffer gepackt ist, schalte ich um. Reisen, Proben, Konzert. Und wenn ich den Koffer zu Hause auspacke, schalte ich ab.
Kopf oder Bauch?
Bei mir schon viel Kopf … Ich muss mich immer mal daran erinnern, loszulassen. Gerade im Konzert hilft es beim Trompete spielen, wenn man nicht zu viel nachdenkt. Aber ich bin eher ein Kopfmensch. Ich mache mir meine genauen Pläne und überlasse ungern etwas dem Zufall. Hundertprozentig planen kann man nie alles, aber ich bin da schon sehr diszipliniert.
Nach vorne schauen oder zurückblicken?
Manchmal ist es natürlich schön, zurückzublicken und zu resümieren, aber generell schaue ich nach vorn. Ich lebe aber hauptsächlich in der Gegenwart und schaue, dass ich zu Hause die Zeit mit den Pferden genieße. Ich schaue nicht zu viel in die Zukunft und schwelge auch nicht zu sehr in der Vergangenheit, damit ich die Gegenwart nicht verpasse.
Ich schaue nicht zu viel in
die Zukunft und schwelge auch
nicht zu sehr in der Vergangenheit,
damit ich die Gegenwart nicht verpasse.