Wood | Von Klaus Härtel

Spielgefühl – die ganzheitliche Klarinettenschule

Spielgefühl

Miriam und Steffen Leuchtmann haben mit “Spielgefühl” ein neues Konzept für den Klarinettenunterricht vorgelegt. Im Mittelpunkt stehen dabei 50 Körperübungen für einen natürlichen Zugang zur Klarinette. Aber was ist damit gemeint und wozu soll das gut sein? Wir sprachen mit den Leuchtmanns über Dispokinesis und ihre Bedeutung für den Unterricht.

“Spielgefühl” ist für beide Griffsysteme gleichermaßen geeignet, also sowohl für die Deutsche wie auch für die Böhm-Klarinette. “Das zeigen die beiden Klarinetten, die aus der Blume herauswachsen”, erklärt Miriam Leuchtmann. Die Blume auf dem Cover stehe für Ganzheitlichkeit und Natürlichkeit. “Und das ist ja der wichtigste Ansatz, den wir mit unserem Konzept verfolgen: einen gesunden, intuitiven und somit auch natürlichen Zugang zum Instrument zu schaffen.” Die Farben, die sie in der Blume verwenden – also Gelb, Blau, Braun und Rot – repräsentieren die vier Bereiche der Körperübungen: Aufrichtung, Atmung, Fingerbewegungen sowie Lippen- und Zungen­bewegung. Diese vier Farben ziehen sich durch das gesamte Lehrwerk und zeigen so den theoretischen Hintergrund jeder Übung an. 

Steffen Leuchtmann betont: “Der Kern unseres Konzeptes ist die Körperarbeit. Das soll nicht nur eine nette Spielerei für Kinder über den ‘normalen’ Unterricht hinaus sein, sondern von allen Alters­gruppen ernst genommen werden. Es handelt sich dabei um einen elementaren Bestandteil unseres Unterrichts mit einem wissenschaftlich fundierten Hintergrund.”

Dispokinesis: Bewegungslehre speziell für Musizierende

Die Grundlage für dieses Herzstück des Lehrwerks, nämlich die Körperübungen, ist die Dispokinesis – eine vom niederländischen Physiotherapeuten Gerrit Onne van de Klashorst (1927 bis 2017) entwickelte Bewegungslehre speziell für Musizierende. “Übersetzt heißt Dispokinesis ‘Freies Verfügen über Haltung und Bewegung’. Für Musikerinnen und Musiker ist das essenziell, denn die Musik entsteht ja aus unseren Bewegungen”, erklärt Miriam Leuchtmann. Sie macht momentan eine Ausbildung zur Dispokineterin bei der Europäischen Gesellschaft für Dispo­kinesis e.V. Die Grundannahme der Dispokinesis sei, dass jeder Mensch seit seiner ­frühesten Kindheit das Gefühl für die für ihn ­natürlichen Be­wegungen in sich trägt. Durch gesellschaftlich auferlegte und erlernte Verhaltensmuster wie beispielsweise aufrechtes Sitzen, Bauch ein­ziehen – oder auch die Imitation der Lehrkraft im Instrumentalunterricht – würden diese natür­lichen Bewegungsmuster jedoch überlagert. 

Die Wortwahl ist wichtig

Spielgefühl

“Die Dispokinesis geht davon aus, dass wir mit guter Wortwahl diese ganz ursprünglichen und für uns richtigen und stimmigen Bewegungsmuster aus unserer Kindheit wieder aufwecken können.” Miriam Leuchtmann veranschaulicht das anhand eines Beispiels: “Wenn ich möchte, dass ein Schüler eine gute Aufrichtung hat, kann ich entweder sagen ‘Steh gerade’ – damit habe ich dann aber eine unnatürliche Situation geschaffen – oder ich sorge dafür, dass er seine Aufrichtungsreflexe, die er das erste Mal mit anderthalb Jahren gespürt hat, als er auf seinen Fußsohlen stand, wiederfindet, indem ich sage: ‘Stell dir mal vor, dass aus deiner Fußsohle Wurzeln in den Boden hineinwachsen. Kannst du mir sagen, an welchen Stellen sie wachsen und wie lang sie sind?’ In dem Moment entsteht ein guter Bodenkontakt, der zu einer ganzen Kette von Re­flexen führt, die dafür sorgen, dass der ganze Körper aufgerichtet wird.”

Ein anderes ganz klassisches Beispiel aus dem Klarinettenunterricht sei die Formulierung “die Klappe drücken”. Miriam Leuchtmann erklärt: “Das ist eine ganz andere Bewegung, wenn ich sage ‘Streichle mal ganz sanft mit deiner Fingerspitze über diese Klappe’ – die Bewegungsinitiative ist in diesem Fall an der Spitze des Fingers und so wird eine viel feinere und gesündere Bewegung hervorgerufen.” Mithilfe der Körperübungen könne man so dafür sorgen, dass alternative Bewegungsmuster kennengelernt und als Grundlage für das Musizieren genutzt werden können. 

Körperübungen in den Unterricht integrieren

Dispokinesis wird sowohl präventiv als auch therapeutisch eingesetzt. Das Ziel von Miriam und Steffen Leuchtmann ist es, dass Musizierende nicht erst dann mit Körperarbeit anfangen, wenn es eigentlich schon zu spät ist. Viele Musikerinnen und Musiker kämen erst zur Dispokinesis, wenn sie bereits Spielprobleme entwickelt hätten. “So sollte es natürlich nicht sein”, gibt Mi­riam Leuchtmann zu bedenken. Die Leuchtmanns hatten beide das Glück, bereits an der Hochschule mit der Dispokinesis in Kontakt gekommen zu sein. Dass dieses Wissen im Studium allen Studie­renden zugänglich gemacht wird, halten sie für enorm wichtig: “Studierende unterrichten ja auch oder werden selbst zu Lehrkräften, die dann ihr Wissen wieder weitergeben können”, erläutert ­Mi­riam Leuchtmann und betont: “Es wäre wirklich schön, wenn jeder nicht nur auf die objektive Richtigkeit dessen, was er spielt, achtet, sondern auch eine innere Rückmeldung zum eigenen Wohlbefinden währenddessen ent­wickelt.”

Die “Spielgefühl”-Körperübungen sind auf zwei Wochen angelegt. Unter jeder Aufgabe ist eine Leiste mit zweimal sieben Feldern zu finden, in die eingetragen werden kann, wie man am jeweiligen Tag mit der Übung zurechtgekommen ist – beispielsweise mit einem freudigen, traurigen oder neutralen Smiley. Steffen Leuchtmann erklärt, dass die Schülerinnen und Schüler sich die Übung in der ersten Woche anhand der Erklärung selbst erarbeiten sollen. Nach einer ­Woche wird sie dann im Unterricht besprochen und der Lehrerin oder dem Lehrer vorgemacht. “Dann kommt man in den Austausch und jetzt kann und darf ich als Lehrer auch Feedback und Impulse geben.”

Wichtig sei dabei, dass man sich für die Körperübungen Zeit nimmt: “Es ist nicht besonders sinnvoll, wenn man am Ende des Unterrichts noch fünf Minuten Zeit übrig hat und dann noch schnell ein paar Körperübungen machen möchte. Dafür muss man Zeit einplanen.” Schließlich sollte man im Zweifelsfall auch auf eventuell auftretende Komplikationen eingehen können. 

Spielgefühl

“Spielgefühl” gewinnen

Wir verlosen dreimal je ein komplettes Unterrichtspaket “Spielgefühl” inklusive Band 1 und 2, “Probestundenheft”, “50 Körperübungen” und “Erläuterungen zu den Körperübungen auf Grundlage der Dispokinesis”. 

Schreiben Sie hierfür einfach eine E-Mail an mail@spielgefuehl-leuchtmann.de

Aufbau, Stückauswahl und Musiktheorie

Dieser besondere Ansatz ist auch dafür verantwortlich, dass sich der Aufbau des Lehrwerks von dem anderer Klarinettenschulen etwas unterscheidet. Steffen Leuchtmann erläutert: “Wir lassen unsere Schülerinnen und Schüler zuerst alle Töne lernen, die nur mit den Tonlöchern funktionieren. Für die Finger- und Handhaltung ist es nämlich besser, wenn man sich erst einmal auf die Tonlöcher konzentriert.”Miriam Leuchtmann ergänzt: “Dann weiß jeder Finger, wo auf dem Tonloch sein Platz ist, also sein Stammplatz. Und erst dann geht es auf Wanderschaft zu einer Klappe.”

Bei der Stückauswahl liegt der Schwerpunkt auf klassischen Werken von berühmten Komponisten wie Mozart, Grieg oder Brahms. “Natürlich gibt es auch Volks- oder Kinderlieder oder Stücke aus anderen Genres – die Klarinette ist ja sehr vielseitig –, der Fokus liegt aber klar auf der Klassik”, so Steffen Leuchtmann, und Miriam Leuchtmann ergänzt: “Das liegt vor allem daran, dass wir klassische Klarinettisten sind und wir natürlich genau das machen wollen, was wir besonders gut können.” Zu vielen Stücken gibt es außerdem hochwertige Playalongs mit Orchester- oder Klavierbegleitung, die online heruntergeladen werden können (zum Teil sogar in unterschiedlichen Tempi). 

Spielgefühl Band 3 ist in Arbeit

Miriam Leuchtmann erklärt: “Es war uns natürlich sehr wichtig, musiktheoretische Hintergründe zu beleuchten, die Erklärungen aber relativ einfach und kurz zu halten, damit die Schülerinnen und Schüler sich das auch selbst erarbeiten können und nicht unbedingt eine Lehrerin oder einen Lehrer brauchen, um beispielsweise zu verstehen, was ein Akzent ist.” Um sich besser in die Zeit der Werke hineinversetzen zu können, sollen sie außerdem immer wieder kleine Komponistenporträts erstellen und dabei etwas Inte­ressantes über den jeweiligen Komponisten herausfinden. “Das finde ich als Lehrerin immer sehr erfrischend, da kommen dann auch mal Antworten wie: ‘Er war der einzige Komponist, der eine Lehre zum Schlachter gemacht hat.’ (lacht) Das bildet auch uns weiter.”

Momentan arbeiten die Leuchtmanns übrigens an der Fertigstellung von Band 3, dieser wird gerade im Praxistest mit den eigenen Schülerinnen und Schülern erprobt. Das bisherige Feedback auf die Klarinettenschule hat die beiden außerdem dazu veranlasst, über das Angebot eines Einführungs-Workshops für interessierte Lehrkräfte nachzudenken. “Wir haben gehört, dass die Schule für einen Lehrer, der es nicht gewohnt ist, mit Körperarbeit umzugehen, ganz schön umfangreich sein kann. Für uns war das eigentlich immer selbstverständlich, aber vermutlich wäre es ganz sinnvoll, die Frage ‘Wie kann ich Körperarbeit im Unterricht anbieten?’ vorab einmal grundlegend zu klären”, meint Miriam Leuchtmann. So könne man auch even­tuelle Hemmschwellen abbauen. Geplant sei außerdem, die Körperübungen irgendwann auch auf andere Instrumente zu übertragen. Miriam Leuchtmann lacht und resümiert: “Es gibt noch viel zu tun.”

Leuchtmann

Die Autoren

Miriam und Steffen Leuchtmann ar­beiten seit Jahren als Klarinetten­lehrkräfte in Hamburg. Beide stu­dierten Klarinette an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg und lernten sich hier in der Klarinettenklasse von Prof. Alexander Bachl kennen. 

Miriam Leuchtmann macht seit 2021 bei der Europäischen Gesellschaft für Dispokinesis e.V. eine post­akade­mische Zusatzausbildung zur Dispo­kineterin. 

www.spielgefuehl-leuchtmann.de