Brass | Von Hans-Jürgen Schaal

Stichwort: Goldene Trompete von Guča

Boban Marcovic
Mazko und Boban Marković (Foto: Richardfabi - Eigenes Werk)

Eigentlich hätte es ein rauschendes Jubi­läum werden sollen: das 60. Trompetenfestival von Guča. Doch im Corona-Sommer 2020 musste die Party erstmals abgesagt werden.

Die Geschichte des Festivals in der ­Region Dragačevo (Serbien) begann 1961. Im ersten Jahr traten dort gerade einmal vier Blasorchester gegeneinander an. Veranstaltungsort war der Hof der orthodoxen Kirche in Guča, und der Wettbewerbssieger hieß Desimir Perišić – man nannte ihn den Harry James von Dragačevo. Ein Journalist war es gewesen, der die besondere Trompetentradition der Gegend entdeckt hatte und das Festival vorschlug. Der Staat – Titos föderales Jugoslawien – erlaubte die Trompetenparty in der Provinz allerdings nur unter einer Bedingung: Sie durfte nicht zum Herd eines serbischen Nationalismus werden. Das gelang offenbar – doch nach dem Ende Jugo­slawiens ist der “Golden Brass Summit” natürlich erst so richtig aufgeblüht. Für drei Tage im August wächst die Bevölkerung von Guča auf das 100-, 200-, 300-fache an. Sie sprechen dort vom “serbischen Woodstock”, der größten Musikveranstaltung des Landes, der größten Trompetenparty der Welt, dem drittgrößten Ethno-Festival des Planeten.

Lange Trompetentradition

Serbiens militärische Trompetentradition reicht weit zurück – bis ins 11. Jahrhundert. Nach dem Serbisch-Osmanischen Krieg (1876 bis 1878) sollen viele Militärtrompeter ihre oftmals beschädigten Kriegsinstrumente nach Hause gebracht haben – das war der Beginn einer regen zivilen Orkestar-­Tradition. Die serbischen Brassbands tönen wild und expressiv, ihre Into­nation ­vibriert, die Tempi können halsbrecherisch schnell werden. Trompeten, Trommeln, Hörner, ­Tuben, Saxofone und Klarinetten gehören zum Orkestar – aber im Zentrum, da steht immer der virtuose ­Solo-Trompeter, der über traurige Melodien oder ra­sante Rhythmen improvisiert und dabei seine tiefsten Gefühle ausdrückt. Miles Davis, der sein Instrument im Jazz eher “cool” blies, soll einmal bei einem Besuch in Guča gesagt haben: “Ich wusste nicht, dass man so Trompete spielen kann.”

In neuerer Zeit sind es rund 100 Bands, die beim Festival auftreten, das sind etwa 1500 Musiker. Auch Orchester aus dem Ausland und Nachwuchsbands sind inzwischen zugelassen. Die meisten der Musiker aber sind Roma aus der ­Region – Autodidakten, die nach Gehör und Gefühl spielen. So wie der Trompeter Ekrem Sajdić: “Der Klang unserer Trompeten ist aufrichtig, traurig und geht unter die Haut. Er ist alles, war wir haben.” Oder wie Boban Marković: “Es ist doch allgemein bekannt, dass wir Gypsies nicht ohne Musik leben können.” Nachdem Marković 2001 in Guča alle Preise abräumte, tritt er dort nur noch außer Konkurrenz auf. 

Die Gäste trinken angeblich 4000 Hektoliter Bier

Drei Tage lang dauert das Festival im August. Es wird viel gegrilltes Fleisch gegessen, Čoček getanzt und Schnaps getrunken. Bis zu 4000 Hektoliter Bier werden angeblich konsumiert. Dabei spielen ständig die Bands und nehmen ­ordentlich Geld ein. “Aus Zelten, Bars und ­Gassen dröhnen die Blasorchester”, berichtet der Journalist Garth Cartwright. »Sie strö-
men auf die Straßen, pusten sich ihren Weg durch die Menge und stoßen, stoßen, stoßen in ihre Hörner. Verdammt, diese Jungs können spielen! Sie saugen die schwüle Luft ein und ­geben dann ganze Klangblöcke von sich. Bläserteufel!«

Am dritten Tag, dem Sonntag, finden die Wettbewerbe statt. Rund 20 Blasorchester, die sich vorab qualifizieren mussten, treten gegenein­ander an. Preise zu gewinnen gibt es in meh­reren Kategorien. Der höchste Preis aber – ein Publikumspreis – ist die Goldene Trompete für den besten Solo-Trompeter. Milovan Babić gilt als der erfolgreichste Trompeter der Festival­geschichte: Elfmal gewann er in verschiedenen Kategorien, und das über einen Zeitraum von über 30 Jahren. Noch mehr Siegerpunkte holte nur Fejat Sejdić (1941 bis 2017), der Allzeit-Champion von Guča.

Bisher erschienen: “Stichwort Rohrblatt-Trio“, “Stichwort Saxofonquartett“, “Stichwort Marsyas” und “Stichwort Tristantrompete”, “Stichwort Naturtonreihe”, Stichwort Saxofonkonzert, Stichwort Sarrusofon