Wood | Von Klaus Härtel

Stichwort Rohrblatt-Trio

Das Rohrblatt-Trio (Foto: istockphoto - jgroup)

Oboe, Klarinette und Fagott – die drei Rohrblattinstrumente des klassischen Bläserquintetts sind als Rohrblatt-Trio eine kleine Offenbarung.

Der brasilianische Komponist Heitor Villa-Lobos (1887 bis 1959) ging 1923 nach Paris, um mit seinen Kompositionen Eindruck zu machen. „Ich will zeigen, was ich schon erreicht habe“, sagte er. Villa-Lobos’ Stücke zeigten damals vor allem den Einfluss von Wagner und Debussy. Ein Novum in Brasilien – aber die Pa­riser Musikwelt ließ das ziemlich kalt.

Für die „Groupe des Six“ (Poulenc, Milhaud, Honegger u. a.) waren Wagner und Debussy sogar geradezu ästhetische Feindbilder. Viel lieber hätten die Pariser in Villa-Lobos’ Musik ein Echo des wilden brasilianischen Urwalds gehört als einen Abklatsch des Europas von gestern. Der Komponist nahm sich das zu Herzen. Zurück in Brasilien, begann er vermehrt die Traditionen des eigenen Landes zu erforschen.

Fernand Oubradous war beeindruckt

Bei einem bestimmten Hörer aber machte Villa-Lobos damals in Paris großen Eindruck. Der ­junge Fagottist Fernand Oubradous (1903 bis 1986) besuchte 1924 die Uraufführung von ­Villa-Lobos’ Trio für Oboe, Klarinette und Fagott (W182), einem dreisätzigen Werk mit pochenden Rhythmen und virtuoser Komik. Das war vermutlich das erste Musikstück, das für diese Trio-Besetzung geschrieben wurde.

Der junge, der erst im Vorjahr die Fagott-Klasse am Pariser Konservatorium absolviert hatte, spürte das große Potenzial in diesem Trioformat. 1927 gründete er zusammen mit Myrtil Morel (Oboe) und Pierre Lefèbvre (Klarinette) sein „Trio d’anches“ (Rohrblatt-Trio). Und er setzte alle Hebel in Gang, bei Komponisten und jungen Kolle­gen für diese Besetzung zu werben. 1928 wurde Oubradous (wie zuvor sein Vater) Fagottist an der Pariser Oper. Er übernahm leitende Funktionen beim Hersteller Buffet Crampon, in Bläsergesellschaften und Ausbildungsstätten (Paris, Salzburg, Nizza). In Frankreich wurde er zum Inbegriff seines Instruments – man nannte ihn „Le Basson“.

Komponisten waren inspririert

Oubradous’ Aktivitäten inspirierten die Komponisten. Auric, Bozza, Françaix, Hahn, Ibert, Mar­tinů, Milhaud, Rivier, Roussel, Schulhoff, Tomasi, Veress und viele andere komponierten für sein „Trio d’anches de Paris“. „Wenn einer seine Komposition nicht rechtzeitig zu Ende brachte, machte ich das für ihn“, behauptete Oubradous. Er selbst transkribierte auch etliche Klassiker für das neue Format.

Besonders beliebt wurde seine Bearbeitung der „Fünf Divertimenti KV Anh. 229“ von Wolfgang Amadée Mozart, die heute weit häufiger zu hören ist als die Originalfassung für drei Bassetthörner. Ende der 1930er Jahre veranlasste Oubradous Plattenaufnahmen des gesamten Repertoires seines Trios – es wurden über 80 Schellackplatten. Wieland Wagner ­sagte: „Ich kenne auf der ganzen Welt kein Vir­tuosen-Trio dieser Klasse.“ Und der Flötist Jean-

Das Repertoire vergrößert

Pierre Rampal meinte: „Oubradous war das ­Fagott seiner Generation. Er hat das Repertoire für sein Instrument so vergrößert und so viel aufgenommen, dass das Publikum am Ende fast glaubte, das Fagott sei wirklich ein Solo-Instrument.“

Andere Ensembles haben – schon zu Oubradous’ aktiver Zeit – das neue, vielseitige Trio-Format aufgegriffen. Unter den Ersten waren das Rohrblatt-Trio des Klarinettisten André Dupont und dasjenige des Oboisten René Daraux. Bis heute entstanden hunderte von Werken für ­diese interessante Holzbläser-Besetzung, die ebenso viel Wärme wie Humor verströmen kann.

Stücke fürs Rohrblatt-Trio schrieben unter anderem auch Witold Lutosławski (1945), Charles Koechlin (1945), Alexandre Tansman (1949), Boris Papandopulo (1949), Henk Badings (1949), Ida Gotkowsky (1954), Pierre-Max Du­bois (1958), Isang Yun (1975), Violeta Dinescu (1982) und Harald Genzmer (1994).