Bigband-Sätze oder transkribierte Streichquartette, Bach-Fugen oder Free Jazz: ein Saxofonquartett kann eigentlich alles.
Der Geiger und Komponist Jean-Baptiste Singelée (1812 bis 1875) war es, der seinen Freund Adolphe Sax ermunterte, sich bei der Entwicklung des Saxofons auf vier Baugrößen zu konzentrieren: Sopran, Alt, Tenor und Bariton. Singelée war der Meinung, dass ein Quartett aus Saxofonen verschiedener Register eine echte Konkurrenz zum Streichquartett sein könne.
Von Singelée stammt auch die älteste erhaltene Komposition für Saxofonquartett, sein “Premier Quatuor op. 53” (1858), eine Hommage an den Geist der Romantik. Die Komponisten Rossini, Beethoven, Mendelssohn und Meyerbeer dienten als Vorbilder für die vier Sätze des Werks. Andere frühe Quartettstücke – unter anderem von Jérome Savari (1861), Emile Jonas (1861) und Jean Baptiste Mohr (1864) – orientierten sich ebenfalls an Rossini und dem Tonfall der romantischen Oper.
Die ersten dauerhaften Quartett-Ensembles gingen aus Marschkapellen hervor – dort hatten Saxofonisten die beste Gelegenheit, zu mehreren zusammenzuarbeiten. Der in die USA emigrierte Edouard Lefèbvre gründete 1874 mit Kollegen aus der Militärkapelle von Patrick Gilmore ein Saxofonquartett, mit dem er international auf Tournee ging. Es trug den Namen “New York Saxophone Quartette Club” und später (nach dem Ausrüster) “Conn Wonder Quartette”.
Das Saxofonquartett des Franzosen Marcel Mule
Weltberühmt wurde das Saxofonquartett des Franzosen Marcel Mule, das 1928 aus der Kapelle der Republikanischen Garde entstand. Für Mules Quartett wurden zahlreiche Stücke geschrieben, die noch heute zu hören sind, unter anderem von Bozza, Desenclos, Dubois, Françaix, Glasunov, Pierné, Rivier und Schmitt. Erst nach der Auflösung von Mules Quartett (1967) gründete Mules “Gegenspieler”, der Deutsch-Amerikaner Sigurd Raschèr, sein eigenes Saxofonquartett. Dank dem “Raschèr Saxophone Quartet”, das noch heute besteht, wurde das Repertoire um viele interessante Avantgarde-Werke bereichert.
Ab etwa 1900 eroberte das Format Saxofonquartett als Kuriosum auch die Varieté- und Kleinkunstbühnen, die Volkstheater und Zirkusarenen. Im Jazz gab es Saxofonquartette lange Zeit nur mit Rhythmusgruppe zu hören – zum Beispiel 1937 in Paris, als die Saxofonisten Benny Carter, Coleman Hawkins, André Ekyan und Alix Combelle mit Django Reinhardt auftraten, oder 1949, als aus dem Saxofonsatz der “Woody Herman Big Band” die Saxofongruppe “Four Brothers” hervorging.
Das “pure” Saxofonquartett
Die ersten puren (unbegleiteten) Saxofonquartette entstanden im Jazz erst in den späten 1970er Jahren. Die Pioniere waren das “World Saxophone Quartet” in New York und “ROVA” in San Francisco – diese beiden Ensembles haben zusammengerechnet mehr als 50 Alben veröffentlicht. Ihnen folgten zahlreiche weitere Quartette wie “Your Neighborhood SQ”, “29th Street SQ” oder “Itchy Fingers”. In den 1980er und 1990er Jahren waren Saxofonquartette im Jazz ein Publikumsrenner und wurden für ihre zirzensische Bühnenpräsenz gefeiert.
Im 21. Jahrhundert findet man das Saxofonquartett in praktisch allen musikalischen Genres – von der Evergreen-Showband bis zur Neuen Musik. Dabei gilt das französische Repertoire der 1860er Jahre (Singelée u. a.) und das der 1930er Jahre (Françaix u. a.) als die »klassische Romantik« bzw. “klassische Moderne der Quartett-Literatur. Beliebte Bearbeitungen und Transkriptionen für das klassische Saxofonquartett reichen von Renaissance-Musik und J. S. Bach über Opernmelodien und die Impressionisten bis hin zu Gershwin, Bernstein, Piazzolla und sogar den Minimalisten.
“Etwas an der sogenannten ‘Minimal Music’ geht sehr gut mit den Möglichkeiten eines Saxofonquartetts zusammen”, bestätigt Stephen Cottrell vom “Delta Saxophone Quartet”. Dieses britische Ensemble hat aber ebenso Rockklassiker von “Soft Machine” und “King Crimson” im Programm. Im Format des Saxofonquartetts werden Genregrenzen durchlässig.
Bisher erschienen: “Stichwort Rohrblatt-Trio“