Brass | Von Klaus Härtel

Sven Regener spielt mal wieder Trompete

Regener
Sven Regener im "Element of Crime"- Konzert (Foto: Ingo Pertramer)

Wir erreichen Sven Regener kurz nach seinem 60. Geburtstag, den er aus bekannten Gründen nicht groß gefeiert hat. Wobei nicht ganz klar ist, ob er ihn groß gefeiert hätte. Regener, bekannt vor allem als Frontmann der Band „Element of Crime“ sowie den Roman „Herr Lehmann“ und dem Drehbuch zum gleichnamigen Film, ist kein lauter Mensch. Er spricht mit norddeutschem Slang, ruhig und pointiert. Am liebsten über Musik und derzeit über seine Platte, auf der er endlich mal wieder Trompete spielt. Der Name des ­Albums: Ask me now. Machen wir. 

Der Anlass, warum Sven Regener die Trompeter dann irgendwann wieder »richtig« zu schätzen wusste, war eigentlich ein trauriger. Eine Beerdigung nämlich. Zu Ehren von Eckfrid von Knobelsdorff, einem Original der Bremer Jazz-Szene und Lehrer von Sven Regener, gab es ein gleich mehrstündiges Konzert in der Waldbühne. „Bei dem Ständchen am Grab mit den anderen Jazzern habe ich gemerkt, dass mir der Jazz-Zugang fehlte. Ich hab mich fast geschämt“, lacht Sven Regener. Das war im Herbst des Jahres 2011. 

Die Faszination für das Instrument hatte Sven Regener bereits als Kind in seinem Elternhaus gespürt. „Mein Vater hatte immer eine Trom­pete rumliegen und auf der habe ich gerne mal drauflos gespielt. Aus Spaß zwar, aber da war mir klar: Das wollte ich! Ich habe heimlich darauf gespart und mir schließlich für 150 Mark eine Trompete gekauft.“ Man spürt in Regeners Stimme, dass diese Faszination nicht weniger geworden ist.

Regener traf seinen Lehrer bei einem Jazz-Konzert

An seine allererste Stunde mit seinem Lehrer Eckfrid von Knobelsdorff an der Bremer Volkshochschule kann er sich nicht mehr hundertprozentig erinnern, sehr wohl aber an die erste Begegnung mit ihm. Der Musiker und Schriftsteller erinnert sich noch daran, wie er Eckfrid von Knobelsdorff beim Jazzfrühshoppen „Auf den Häfen“ zum ersten Mal sah. „Trompete war das große Ding damals“, sagt Regener und nennt mit Miles Davis, Chet Baker und Louis Armstrong gleich drei der Größten der Zunft. „Es gibt so viele unterschiedliche Charaktere!“ Er fügt lachend hinzu: „Und Eckfrid war irgendwie schräger als alle anderen. Das passte zu mir!“ 

Was Sven Regener an seinem Lehrer schätzte, war seine Offenheit. Völlig undogmatisch sei er gewesen, und er habe es umso besser gefunden, wenn sein Schüler die Übungsstücke eher frei interpretierte. Wenn später „Element of Crime“ in Bremen spielte, saß Eckfrid von Knobelsdorff im Publikum. „Bei ihm hab ich vor allem gelernt: Musik muss Spaß machen!“ Regeners Ziel war nicht, Trompete im Orchester zu spielen. „Ich wollte meinen eigenen Sound finden“, erklärt er. Es gehe nicht darum, wer am höchsten spielen kann, es gehe um eine starke individuelle Seite. „Das hat Eckfried mich gelehrt.“ Lachend fügt Regener an, dass er ja sogar mal im Blasorchester der Kommunistischen Partei mitgespielt habe. „Das war schon skurril, ehr ‚thrashig‘ aber auch sehr schön und warm.“ Sven Regener ging schon immer seinen eigenen Weg.

Rückbesinnung auf die alte Liebe

Vor zehn Jahren also erfolgte die Rückbesinnung auf die alte Liebe zwischen Sven Regener und seiner Trompete. Er merkte auch, dass er mit seinem Instrument noch nicht dort war, wo er sein wollte. Also übte er. „Ich wollte mal wieder was auf der Trompete machen“, erinnert er sich, „denn im Rock ist sie ja eher ein Stiefkind. Ich kann sie zwar ab und an bei Element Of Crime rausholen, aber im Verhältnis zu dem, was ich dort mit Gitarre und Texten mache, ist das fast nichts. Irgendwann sagte ich mir, es kann nicht sein, dass ich seit 45 Jahren Trompete spiele und bestenfalls mal hier oder da 20 Sekunden unterbringe.“

Wenngleich bereits die Platte „Lieblingsfarben und Tiere“ deutlich bläserlastiger und jazziger daherkam, war Regener als Songschreiber und Texter doch eher der Rockmusiker. 

So nahmen die Dinge ihren Lauf. Statt aber sich die Tage mit Skalen und Intervallen um die Ohren zu schlagen, nahm Regener sich eine Reihe von Jazzstandards vor. Und – so einfach ist das manchmal im Leben – das machte ihm Spaß. Mit Ekki Busch, der ganz nebenbei auch ein ausgezeichneter Jazz-Pianist ist, begann er diese Stücke im Duo zu spielen. Als Schlagzeuger fragte man Richard Pappik, mit dem beide Musiker ja ohnehin aufs Engste verbunden sind und der unter anderem bei „Element of Crime“ einer der profiliertesten Schlagzeuger Deutschlands ist. Gemeinsam fanden die drei eine Ästhetik, bei der es überhaupt nicht um Soli, sondern ausschließlich um die Songs ging.

Regener (Mitte) Pappik Busch (Foto: Charlotte Goltermann)

Der Umstand, dass sie in Sachen Jazz in keiner Weise vorbelastet sind, spielte ihnen dabei in die Karten. „Die Dreistigkeit des Ganzen ist vergleichbar mit Jazzmusikern, die plötzlich Pop spielen“, freut sich Regener immer noch. „Wir hatten gar nicht die Möglichkeit, uns ein Referenzsystem aufzubauen, weil wir das aus unserer Geschichte heraus überhaupt nicht haben, sondern griffen diese Stücke mit unseren eigenen Mitteln auf. Diese Kompositionen machen das einfach möglich.“

Regener, Pappik und Busch brauchen keinen Grund, um diese Klassiker zu spielen

Dass „Kopieren“ anderer Musiker nicht wirklich weiterhilft, hat Sven Regener übrigens auch von seinem Lehrer Eckfrid von Knobelsdorff gelernt. „Eckfrid hat immer gesagt: ‚Versuche nicht, wie jemand zu klingen. Das interessiert keinen Menschen!'“ Trotzdem oder gerade deshalb entschied man sich bewusst für zwölf Jazzstandards. Songs von John Coltrane, Thelonious Monk, Dizzy Gillespie, Billie Holiday und Charlie Parker – Regener, Pappik und Busch brauchen keinen Grund, um diese Klassiker zu spielen. Sie hauen diese Nummern raus wie Gassenhauer, die sowieso gerade in der Luft liegen, und nehmen den Hörer mit, sei er nun Jazzfan oder nicht. Ob er damit bei dem ein oder andern Puristen anecken könnte, ist Regener egal. „Kritik aber ist in Ordnung. Damit muss man rechnen. Wir machen das, weil wir das gut finden. Der Rest der Welt kann davon halten, was er will.“ Er lacht. Regener liebt das Trio-Format, weil jeder der Beteiligten zu jedem Zeitpunkt voll da sein und entsprechend gehört werden muss. „Das Trio ist schon sehr charmant, eine spezielle Art des Zusammenspiels.“

Verblüffend ist die Ähnlichkeit zwischen Regeners Trompetensound und seiner Stimme. Mit dem für ihn typischen Hang zu Allegorien aus dem Alltag vergleicht er es mit einem Hundebesitzer und seinem Vierbeiner, die sich im Lauf der Zeit immer ähnlicher werden. „Das Tolle an der Trompete ist ja ihre Nähe zur menschlichen Stimme. Ich habe die Trompete immer als meine schönere Stimme empfunden. Die tiefe Liebe zu ihr hat mich nie verlassen, obwohl das Instrument es mir nicht immer leicht gemacht hat. Aber seit 35 Jahren habe ich die Trompete immer nur im Zusammenhang mit Songs eingesetzt. So spielt und improvisiert man am Ende eben doch eher wie ein Sänger und nicht wie ein Instrumentalist im engeren Sinne.“

„Die Pandemie war definitiv nicht hilfreich!“

„Ask me now“ ist übrigens nicht aus Langeweile oder wegen der Pandemie entstanden. „Die war definitiv nicht hilfreich“, ruft Regener aus. „Während des ersten Lockdowns waren wir mitten in den Aufnahmen. Kurz vor dem zweiten waren wir zum Glück grad fertig.“ Vor allem „hätte ich die Platte gern mal im kleinen Rahmen ‚live‘ ausprobiert.“

Ob die Popularität von „Element of Crime“ bei der Vermarktung hilft? „Das weiß nicht, ich bin ja kein Marktforscher. Das sind sind zwei verschiedene Dinge. Charlie Watts spielt ja auch ab und zu Jazz.“ Eines aber weiß Sven Regener genau: „Eckfrid hätte sich gefreut. Und der hätte mitgespielt.“

Ask Me Now 

„Ask Me Now“ ist keine Abkehr von bereits Vertrautem, sondern die folgerichtige Konsequenz aus allem, was bisher passiert ist. Ein Jazzalbum ohne Firlefanz, ein lustvoller Sprung in die Vergangenheit ohne jeden Anflug von Nostalgie, ein Mordsspaß und nicht zuletzt einmal mehr eine verdammt gute Geschichte. Aufgenommen, gemischt und ­gemastert von Gerd Krüger, Tritonus Tonstudio, Berlin, 2020. Mit Sven Regener (Trom­pete), Richard Pappik (Schlagzeug), Ekki Busch (Klavier).

Label: Universal