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Musik – letztes Asyl der Bildungsidee?

Musik – letztes Asyl der Bildungsidee?

Wenn marktwirtschaftliche Interessen bestimmen, was Bildung heißt, wird der spielerische Freiraum der Musik wichtiger denn je. „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“ (Friedrich Schiller).

Die Bildungsdiskussion kommt nicht zur Ruhe. Im Oktober 2022 meldete die OECD freudig, dass „das internationale Bildungsniveau“ steige – so jedenfalls formulierte es die ARD-Tagesschau. Genauer gesagt ging es um die wachsende Zahl „hoher Bildungsabschlüsse“ – gemeint waren Fachqualifikationen, die die Einkommens- und Arbeitsmarktchancen der Absolventen erhöhen sollen. Wohlgemerkt: Die OECD ist eine internationale Wirtschaftsorganisation. Ihr Bildungsinteresse beschränkt sich darauf, Ausbildungen an die Erfordernisse der kapitalistischen Wirtschaft anzupassen. Bildung im Sinne der OECD bedeutet: Kompetenzerwerb und Schulung, Leistungsschau und Abrichtung, Erzeugung von Humankapital und Abschöpfung von Talenten. Die Bedürfnisse der internationalen Ökonomie wirken längst tief hinein in die Organisation unserer Ausbildungseinrichtungen. Selbst in den einfachen Schulen geht es im PISA-Zeitalter um Rankings, Qualitätssicherung, Effizienzorientierung und Konkurrenztests. Ganz wie im Wirtschaftsleben. 

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Musik ist Bildung. Gedanken zum Ideal der Humanität

Musik ist Bildung. Gedanken zum Ideal der Humanität

Musik ist eine Kernkompetenz der menschlichen Kommunikation und konstituierend für die persönliche Identität. Sie muss daher ein integraler Teil jeder Human-Bildung sein, die diesen Namen verdient.

Der Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer (geb. 1947) erinnert sich, dass bei der Verleihung seines Reifezeugnisses einst der Schuldirektor eine Rede hielt. Darin fiel der Satz: „Gute Noten in den Naturwissenschaften sind durchaus erfreulich, aber ob jemand reif ist, das erkennt man erst an seiner Deutschnote.“ Nach dieser Ansicht wäre menschliche Reife ganz gebunden an den sprachlichen Ausdruck, an Literatur, Reflexion und Philosophie. Nicht nur die Naturwissenschaften stünden demnach außerhalb der gymnasialen Idee von Reife und Bildung, auch die Musik wäre ein zweifelhafter Fall. 

Schon in der Antike unterschied man zwischen den sprachlich-reflexiven Disziplinen (Grammatik, Rhetorik, Logik) und den mathematisch-physikalischen Fächern (Arithmetik, Geometrie, Astronomie). Die Musik, ganz theoretisch-systematisch gedacht, wurde damals dem zweiten Bereich („Quadrivium“) zugeordnet. Eine solche Reduktion von Musik auf bloße Zahlen ist ein Erbe des Pythagoras. Der griechische Philosoph sah in den ganzzahligen Verhältnissen der Intervalle ein Indiz dafür, dass der Kosmos mathematischen Gesetzen unterliege. Auch Descartes und Leibniz verstanden Musik noch als „arithmetische Übung“.   

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