Konzepte der Mikrotonalität: Kleiner als kleine Sekunden
Nicht nur in neuer Konzertmusik, auch in Jazz und Rock begegnen uns heute Mikrotöne. In anderen Musikkulturen gab es sie ohnehin schon immer. Das klassische Pianisten-Duo Schneider/Bächli sagt: „Vierteltöne hört man heute an jedem Dönerstand.“ Über Konzepte der Mikrotonalität.
Angeblich war es der altgriechische Philosoph Pythagoras, der die mathematischen Grundlagen für das westliche Tonsystem fand. Mithilfe eines Monochords, eines einsaitigen Instruments, definierte er die ganzzahligen Verhältnisse der wichtigsten Tonstufen zum Grundton. 1:2 – die Oktave, 2:3 – die Quinte, 3:4 – die Quart, 4:5 – die große Terz, 5:6 – die kleine Terz usw. Wenn man allerdings in andere Tonarten moduliert, ergeben sich für einzelne Stufen der heptatonischen Tonleiter kleine Abweichungen in der Frequenz – die Harmonien beginnen schräg zu klingen. Mathematisch heißt die Differenz zum Beispiel syntonisches Komma (etwa ein Zehntelton) oder pythagoräisches Komma (etwa ein Achtelton). Seit dem Mittelalter wurden zahlreiche Versuche unternommen, durch besondere „Temperierungen“ der Tonhöhen solche Differenzen auszutricksen. Zeitweise wurde nach Terzen gestimmt statt nach Quinten („mitteltönig“). Sogenannte „wohltemperierte“ Stimmungen suchten noch feinere Kompromisse zu schließen.
Die Probleme wurden in den unhörbaren Teil des Quintenzirkels „weggeschoben“
In der Musikpraxis hat man die kleinen „Fehler“ im System aber häufig auch überspielt. Die Komponierenden beschränkten sich etwa auf die „gebräuchlichen“ Tonarten, sodass die Probleme sozusagen in den unhörbaren Teil des Quintenzirkels weggeschoben wurden. Sänger, Streicher und Bläser konnten sich zudem anpassen, indem sie Tonstufen je nach Tonart ein wenig anhoben oder senkten. Unüberhörbar war das Problem jedoch bei den Tasteninstrumenten. Vorläufer des Cembalos im 16. Jahrhundert besaßen daher teils 14, 19 oder gar 36 Tasten pro Oktave – und bis zu 31 Tonstufen („Archicembalo“). Das Ohr unterschied klar zwischen den Tönen cis und des oder zwischen fis und ges. Mikrotonalität bzw. mikrotonale Differenzierungen gehörten also schon immer zum westlichen Tonsystem. Erst die kühl-mathematische Kompromisslösung der gleichstufigen Temperatur, die sich im 18. Jahrhundert durchsetzte, hat den gleichmäßigen Halbtonschritt zum Maß der Dinge gemacht.
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