Brass, Orchestra, Wood | Von Jürgen K. Groh

Technik als Mittel für musikalische Kunst

Herzlich willkommen zur neuen Serie “Üben üben!” bei der in jeder BRAWOO-Ausgabe ein Satz zur Gestaltung bzw. Planung des Übens im Mittelpunkt steht. Die Artikel sind nach Barbara Mintos “Pyramiden-Prinzip” gestaltet: zuerst der Grundgedanke, dann nähere Erläuterungen dazu. Das hat nebenbei auch den Vorteil, dass Sie, liebe Leser, selbst bei schnellem Durchblättern die Kernaussage wahrnehmen.

Des Kunst­gesetzes erstes Kapitel Heisst: Technik als Mittel, Technik als Zweck – Fällt die ganze Kunst hinweg.

Das zugespitzte Sinn­gedicht schrieb Johann Gottlob Friedrich Wieck (1785 bis 1873), der Vater der Musi­kerin und Komponistin Clara Schumann (1819 bis 1896), und drückt damit deutlich aus, dass musikalische Technik nur ein Mittel ist, um musikalische Kunst zu ermöglichen. Dies gilt es im Gedächtnis zu behalten, wenn jetzt Techniken erwähnt und ins Bewusstsein gehoben werden, mit deren Hilfe schnelle Läufe geübt werden können.

Mario­netten- und Roboterhaftigkeit

Der Tipp, den Lauf zuerst so langsam zu spielen, dass er gut klingt und dann das Tempo mithilfe eines Metronoms schrittweise langsam zu steigern, bis das Zieltempo erreicht ist, kommt einem in den Sinn. Und gleichzeitig die Mario­netten- und Roboterhaftigkeit dieser Vorgehensweise. Können Sie sich daran erinnern, wann Sie diese Methode mit Freude angewandt und durchgehalten haben? Oder fällt es Ihnen eher schwer, sich solche Szenen vorzustellen?

Die maschinenhaft mechanistische Logik eines solchen Lernwegs kollidiert leider mit der un­endlichen Mannigfaltigkeit unserer biologischen Herkunft. Wobei mit Mannigfaltigkeit bereits das Zauberwort gefallen ist, das uns immer wieder in der Literatur zum richtigen Üben begegnet. Dort liest man, dass Übungen variiert werden sollen, um auch die Konzentration zu erhalten.

Zwei Variationen üben

So ist es sinnvoll, einen rhythmisch gleichmäßig notierten längeren Lauf in mindestens zwei Variationen zu üben:

  • • 1. Ton lang ⇒ 2. Ton sehr kurz ⇒ 3. Ton lang ⇒ 4. Ton sehr kurz usw., dann beginnt man von vorn, dreht dabei aber die Rhythmik um, also
  • 1. Ton sehr kurz ⇒ 2. Ton lang ⇒ 3. Ton sehr kurz usw.

Dadurch werden die schwierigen Tonverbindungen sehr deutlich vom Körper wahrgenommen und bewusst gemacht. Diese können dann gezielt einzeln geübt werden, durchaus von langsam bis schnell.

Und dann gibt es noch das “Addieren der Töne von vorne”. Am Beispiel der C-Dur-Tonleiter spielt man ganz schnell das c¹ und macht dann eine kurze Pause, dann ganz schnell c¹ und d¹ wieder mit einer Pause, anschließend ganz schnell c¹, d¹, e¹ usw.

Und was könnte “Addieren der Töne von hinten” bedeuten? Ja, es könnte c², dann c²-h¹ und anschließend c²-h¹-a¹ usw. gemeint sein… Aber das wäre “rückwärts” gespielt. Wenn wir den Lauf “vorwärts” üben wollen, dann beginnen wir mit c², machen eine Pause und spielen dann ganz schnell h¹-c² und nach einer weiteren ­Pause ganz schnell a¹-h¹-c² usw.

Kreatives Potenzial

Wenn wir nun schon unser kreatives Potenzial aktiviert haben, nutzen wir es weiter und spielen Zweierketten, Dreierketten, Viererketten etc. oder alles in Triolenpäckchen und mit den verschiedensten Artikulationen. Variieren Sie rhythmisch die gegebene Tonreihenfolge und erleben Sie sich als Komponist. Leonard Bernstein schrieb in “Von der unendlichen Vielfalt der Musik”: “Das rhythmische Motiv allein […] kann an sich schon Ausdruck haben. Über demselben ­alten ⁴/₄-Takt kann es eine Unmenge rhythmischer Muster geben.” Schlagen Sie deshalb zwei Fliegen mit einer Klappe und erschaffen Sie mit ihren Technikübungen musikalische Kunst!

Der Autor Jürgen K. Groh ist Master of Arts, Dirigent, Moderator und Vizepräsident der WASBE Sektion Deutschland und ist unter der E-Mail Adresse juergenkgroh@brawoo.de zu erreichen.