Wenn sein Name fällt, liegt wahrlich schon Musik in der Luft: Alfred Reed, einer der bedeutendsten amerikanischen Komponisten für “Großes Blasorchester”. Seine Bekanntheit ist weltweit. Bis ins hohe Alter war er nicht nur ein gefragter Komponist, er war zudem auch ein gern gesehener Gastdozent und Dirigent. Herausragend seine Präsenz in Japan, die der Musikwelt viele unvergessene Aufnahmen hinterlassen hat. Viele seiner Werke “mittlerer Länge” tragen längst das Prädikat “Klassiker” und gehören zum gepflegten Standardrepertoire. So auch seine musikalischen Gedanken zum Frühling, inspiriert von einem Gedicht von Algernon Charles Swinburne: “When the Hounds of Spring are on Winter’s Traces”.
Das Gedicht, das seinen Dichter – gerade mal 28 Jahre alt, als der Text 1865 im Druck erschien – buchstäblich über Nacht berühmt machte, ist im Grunde die Nachbildung einer griechischen Tragödie, formuliert in moderner englischer Sprache.
Die Idee
Teile der ersten und der sechsten Strophe des Gedichts nimmt Reed als stimmungsvolle Programmnotiz mit in die Partitur auf.
Das ganze Gedicht besteht aus sieben betont metaphorischen Strophen des Dichters Swinburne aus Atlanta in Calydon. Sie zeichnen Bilder und Stimmungen von Erwachen und von Liebe, von Natur und von naturnahen Wesen und Fantasien. Angespielt wird zum Beispiel auch auf das Frühlingsbild »Nachtigall« in Gestalt des Itylus, einer Figur aus der griechischen Mythologie. Um diese Figur ranken sich verschiedene Deutungen, aber alle im Grundsatz die Geschichte erzählend, dass Itylus, aus Neid auf den Kinderreichtum seiner Verwandtschaft, versehentlich von seiner eigenen Familie getötet wurde und durch die Gnade des Zeus als Nachtigall wieder ins Leben kam. In der Summe ist der Text ein lieblicher Lobgesang, eine zauberhaft bildliche Beschreibung junger Liebe und des Aufbruchs im Frühling.
All diese Gedanken und Eindrücke bilden die Grundlage für Reeds Vertonung in formal traditioneller dreiteiliger Ouvertürenform. Die »Hunde des Frühlings« wurden von der John L. Forster Secondary School Symphonic Band aus Windsor/Ontario und ihrem Leiter Gerald Brown in Auftrag gegeben. Ihnen ist das Werk auch gewidmet. Die Uraufführung fand am 8. Mai 1980 ebenda statt. Das heimische Orchester wurde vom Komponisten Alfred Reed selbst dirigiert.
Der Komponist
Die Wurzeln seiner Familie liegen in Österreich. Als einziger Sohn von Carl und Elizabeth Friedman, die vor dem Ersten Weltkrieg aus Wien in die USA auswanderten, wurde er 1921 in Manhattan geboren. Sein Elternhaus wird als wienerisch geprägt beschrieben. Außerdem verbrachte er viel Zeit bei seinem Onkel in Österreich.
Er spielte bereits früh die Trompete und wurde schließlich in den Staaten Trompeter der »29th Army Air Corps Band« und der »Army Air Force Band«. Sein Studium an der »Juilliard School of Music« in New York bei Vittorio Giannini formte ihn zum Komponisten.
Alfred Friedman benutzte den Namen Alfred Reed zunächst nur als Pseudonym, bevor er seinen Namen 1955 offiziell ändern ließ. Ab den 1950er Jahren war er Arrangeur und Komponist für Rundfunk- und Fernsehsender wie NBC und ABC und lehrte von 1966 bis zu seiner Pensionierung 1993 an der Universität von Miami/Florida. Seine Fächer waren Musiktheorie, Komposition und auch Music Merchandising. Zeitlebens galt er als Kosmopolit, der sich mit Begeisterung immer gerne von den verschiedensten Kulturen inspirieren ließ. Im September 2005 verstarb er in seiner Wahlheimat Florida.
Der Aufbau
Leichtigkeit und Brillanz bei vorantreibendem Tempo fordert Alfred Reed in den Ecksetzen seines Werks. Dabei empfiehlt er grundsätzlich die Achtelpassagen in klarer Artikulation angestoßen und abgesetzt zu musizieren, um somit Klarheit und Leichtigkeit in den Vordergrund zu stellen.
Und so geht es dann sofort auch stürmisch und drangvoll, ohne lange Umschweife, los. Im vollen Tutti, allegro con brio, entwickelt sich aus einem eintaktigen, von Achteln und punktierten Achteln geprägten Motiv, eine lawinenartige melodische Bewegung, die nicht zu enden wollen scheint. Die ständigen Taktwechsel sind sehr bewusst gewählt und wahrlich keine flüchtige Kosmetik. Reed setzt sie ein, um die daraus resultierenden Zwei- und Dreischlagimpulse, bei prinzipiell konstant durchlaufenden Achteln, zu nähren und herauszustellen.
Ab Takt 16 folgt ein kleiner, jubilierender, fast übermütiger »Durchatmer«, der sich aber ohne an Fahrt zu verlieren, zu Takt 24 hin und weiter zu einer leisen, sich schnell dynamisch wiederaufbauenden rasanten Addition des Kernmotivs weiterbewegt und ab Takt 34 der Holzbläsergruppe neues motivisches Spiel eröffnet. Querflöte, Oboe, Klarinette und Saxofon geben sich den Stab in die Hand und wirbeln durch den kompletten Holz-Satz.
In der Folge verdichtet sich die Partitur
Ab Takt 48 dialogisieren Trompeten, Hölzer und Posaunen überleitend mit dem Kernmotiv und lassen das Geschehen zu Takt 56 hin wieder in ein großes, drängend verspieltes Tutti münden. Ab Takt 63 blitzt im Holz ein nuancierter, etwas ruhigerer Gedanken aus der bekannten Substanz auf. In der Folge verdichtet sich die Partitur erneut, erreicht vor Takt 77 einen kleinen Zwischenhöhepunkt und verflüchtigt sich dann, überleitend zum ruhigen Mittelteil. Ein sich mehr und mehr beruhigendes Zwischenspiel, das ein wenig an die Motivik von Takt 16 erinnert. Ein ostinater Paukenrhythmus begleitet sanft pulsierend. Zum Schluss, stark diminuierend, bleibt er alleine noch übrig.
Meno mosso, vier Takte vor Takt 98, erklingt im mittleren und tiefen Holz dann der klare Charakterwechsel. Ruhig modulierend zur neuen Zieltonart As-Dur hin und zum empfindsamen, lyrischen Herzstück des Werks. Das »Jagen« des Frühlings beruhigt sich zur zarten »Liebeserklärung«. Alfred Reed selbst erläutert hier richtungsweisend: »Der Mittelsatz, selbstverständlich langsam und eher zurückhaltend, darf zu keinem Zeitpunkt zäh und schleppend daherkommen. Die inneren kontrapunktischen Linien benötigen Raum, um klar neben den führenden melodischen Linien wahrgenommen zu werden. Gelegentliche Rubati sind hier probate Stilmittel.«
Die Melodie erblüht im neuen Licht
Nach Fermate und Decrescendo beginnt, zunächst angeführt von Englischhorn und den Waldhörnern, über acht Takte die neue melodische Grundidee. Sie ist harmonisch eher unauffällig und dezent begleitet, hauptsächlich von tiefen und weichen Instrumentenfarben in Holz und Blech. Ab Takt 106 entwickelt sich dieser Gedanke weiter, noch ohne hohes Blech und hohes Holz. Aber mit wogender Dynamik, die in der Tat zu dezenten Rubati einlädt. Im Grunde schon vier Takte vor Takt 114 beginnt eine Modulation (die vor Takt 114 den Posaunensatz mit eleganter »Hebewirkung« kurz in Szene setzt), die dann »Broadly, but with motion« die lyrische Thematik in F-Dur präsentiert. Im fein ausgewogenen weichen Forte, von den Hölzern geführt, mit synkopierenden ostinaten Begleitmotiven, die das Vorankommen wachhalten, erblüht die Melodie in neuem Licht.
Sie bäumt sich ab Takt 121, nach dem Descrescendo, noch einmal in der vollen Partitur (aber immer noch ohne Trompeten und Posaunen) auf zu einem kurzen Forte und lässt die Hörner und die Hölzer miteinander dialogisieren. Das Calmato ab Takt 141 läutet dann – wenn man so will – die kleine Coda dieses zweiten Satzes ein. Der Hornsatz entfaltet stimmungsvoll noch einmal seine ruhige, klangvolle Pracht, final umspielt von wenigen Hölzern. Die »Weichklinger« des Orchesters landen abschließend sanft auf einer sehr leisen F-Dur-Fermate (lunga), die aber nicht von allen als Fermate komplett ausgehalten wird. Keck in der Fermate ist das ein wenig später eintreffende Glockenspiel, welches eher als erweckender Auftakt zum nun folgenden dritten Teil verstanden werden kann.
Bekannte Motive
Ab Takt 149 kommen die während des Mittelteils lange ruhenden Posaunen (und später auch Trompeten) zu wirkungsvollem Einsatz. Sie beginnen im Tempo primo mit einer zweitaktigen Variante des Kernmotivs einen langen Aufbau, der sich letzten Endes bis 186 hin erstreckt.
Im Moll-Charakter, gespickt mit vielen Alterationen, arbeitet sich diese Motivik kanonisch, additiv in den ersten acht Takten vom tiefen bis ins hohe Blech vor. Ab 157 übernehmen die Hölzer, im ⁹/₈-Takt, angeführt von den Querflöten. Sie führen uns in mehr Dur-orientierte, optimistischere Gefilde, was Klarinetten und Oboen in der Folge gerne bestätigen. Wir befinden uns aber noch mitten im »Reprisenanlauf«, auch wenn man sich ab 170 schon in der originären Wiederaufnahme wähnen könnte. Wie übermütige »Jungtiere im Frühling« hüpfen die bekannten Motive verspielt durch die noch holzbetonte Partitur.
Die Trompeten reißen in Takt 179 das Geschehen kurz an sich und leiten einen durch Sequenzen gekennzeichneten Anlauf zu Takt 186 ein. Reed selbst beschreibt diesen Aufbau in etwa so: »Das Fugato im Blech ab Takt 149 kündigt die Rückkehr der ersten Stimmung und des ersten Tempos an. Hier ist besonders große Umsicht aller Instrumentalisten geboten, damit alle sechs Themenstarts differenziert gehört werden können. Das Gleiche gilt natürlich auch für die darauffolgenden Übernahmen der Holzbläser und Saxofone. Bis Takt 186 baut sich hier Schritt für Schritt die Reprise auf.«
Strahlendes Fortissimo
Hier nun, im vollen Orchestertutti und strahlendem Fortissimo, ertönt der originale Aufgriff über fast die kompletten 16 Takte. Aber ab Takt 199 setzen schon erste Durchführungselemente ein. Die Hölzer dialogisieren mit dem kanonisch aufgebauten Kernmotiv im Blech. Nach milder Beruhigung in Klarinetten und Saxofonen erkennt man ab Takt 208 die Substanz von der Stelle ab Takt 34 wieder. Ab Takt 221 wird Erinnerung an die Passage ab Takt 80 wach. Ab Takt 236 grüßt das Bariton, gefolgt von Hörnern und Kornett (Trompete), mit dem Zitat des Themas aus dem Mittelsatz. Reed vermischt ab Takt 252 das Schwelgende aus Satz zwei (eher im Blech) mit dem Pulsierenden aus Satz eins (eher im Holz). Ab Takt 260 (den Duolenauftakt in Takt 259 in Hörnern und Posaunen dabei nicht übersehend) wird der Schalter wieder umgelegt und das Werk fließt Richtung Coda.
Ab Takt 264, zunächst stampfend und kontrolliert stolpernd, ab Takt 271 wieder mehr in Fluss geratend, beginnt das Orchestertutti seinen Zieleinlauf. Alles dreht sich um das Kernmotiv und ein Mischklang aus sechs Terzen über Es staut ab dem drittletzten Takt bis zur klaren, kurzen Auflösung in eine finale Achtel-F-Dur.
Instrumentation
Reed setzt auf ein voll ausgebautes sinfonisches Blasorchester. Er differenziert in der Trompetenfamilie mit zwei Kornettstimmen und drei Trompetenstimmen, schreibt das Bariton auch gerne einmal zweistimmig und bietet ein Kontrafagott an. Er schwelgt hier bewusst in üppigen Klängen und schreibt auch viel »Kleingedrucktes«, welches das Stopfen von Lücken zumindest ermöglicht. Aber wir befinden uns hier im Höchststufenbereich und da sollten die Substitute eher die Ausnahme sein.
Fazit
Wo Reed drauf steht, da ist auch Reed drin. Seine Tonsprache und seine Handschrift sind stets eindeutig erkennbar – und das nicht nur, wenn er die Kernideen aus dem schnellen ersten Satz und dem langsamen zweiten Satz im Reprisen-Satz miteinander verschmelzen lässt. In gut neun Minuten lässt er es einerseits »ordentlich krachen«, andererseits bildet er zutiefst Lyrisches ab. Dieser musikalische Frühling strotzt vor Aufbruchstimmung und ist gleichzeitig sehnend und nachdenklich. Und immer hat man ein gutes, ein optimistisches, ein nach vorne blickendes Gefühl dabei.