Gelegentlich sitzt man in Konzerten und denkt sich: Was macht der Dirigent da? Und dann gibt es Konzerte, in denen alles auf geradezu wundersame Weise zusammenpasst. Welche Rolle spielt die Pose des Dirigenten? »Keine!«, lautet Markus Theinerts einfache wie logische Antwort.
Herr Theinert, ist das Posieren eines Dirigenten tatsächlich eine Gratwanderung zwischen dem »zu viel« und dem »zu wenig«?
Das Posieren ist keine dirigentische Aktivität. Dieser Begriff impliziert ja, dass man sich vor dem Orchester gekünstelt darstellt. Davon sollte der Dirigent aber vollkommen Abstand nehmen. Die Pose selbst hat weder mit dem Klang noch mit dem musikalischen Ausdruck irgendetwas zu tun. Wir sprechen also nicht von »zu viel«, sondern von »vollkommen überflüssig«.
Im besten Fall lenkt die Pose von der funktionalen Geste, die dem Klang entspricht, ab. Es besteht also die Gefahr der Verwässerung des Ausdrucks, indem etwas »Aufgesetztes« zwischen dem steht, was Dirigent und Musiker wirklich erleben, und dem, was wir visuell wahrnehmen.
Die Pose stellt für mich der Definition nach etwas dar, was ich intentional an den Tag lege. Dabei geht die natürliche und unwillkürliche Reaktion des menschlichen Ausdrucks auf die musikalische Realität des Augenblicks verloren.
Es gibt also kein »zu viel« oder »zu wenig«. Man sollte die Pose schlichtweg vermeiden?
Die Pose hat keinerlei musikalische Funktion und dient zumeist der Selbstdarstellung. Damit hat sie auf dem Podium nichts verloren. Wenn wir allerdings von den echten Gemütsäußerungen sprechen – und das sind die menschlichen Affekte –, dann kann es durchaus sein, dass hier Entsprechungen zum musikalischen Geschehen entstehen. Denn unsere Affektenwelt wird von Intervallen, Harmonien und allen anderen Parametern der musikalischen Struktur genauso bewegt wie von anderen Erlebnissen.
Kommt es also beim Dirigenten zu einer quasi nicht vermeidbaren Affektenreaktion auf die klangliche Wirklichkeit, dann kann und soll er das durchaus zeigen, denn das hilft den Musikern unter Umständen, den musikalischen Ausdruck direkter und spontaner zu erfassen. Es gibt hier keinen Widerspruch, sondern Entsprechung.
Das ist nicht dasselbe wie die künstliche Pose, aber wir kennen es alle. So gibt es zum Beispiel gewissen Wendungen in einer Kadenz, die uns eher in die Vergangenheit zurückführen und daher nostalgische Gefühle aufkommen lassen, und solche, die aufbrechend in die Zukunft blicken und mehr der Hoffnung entsprechen.
All diese Gemütsbewegungen könnten genauso von Emotionen in Gang gesetzt werden. Wenn sie auf dem Gesicht oder in der Gestalt des Dirigenten reflexartig, unwillkürlich zum Vorschein kommen, dann kann das keinen Schaden anrichten.
Die Pose per se aber ist etwas, das der Dirigent absichtlich in Szene setzt, vielleicht sogar vor dem Spiegel einübt. Damit ist sie verkünstelt und in keiner Weise authentisch oder ausdrucksstark.
Sollte also körperliche Exzentrik nur dem Zweck – also der Musik – dienen?
Das Exzentrische an Geste oder Pose hat keinen Einfluss darauf, wie effektvoll sie sein kann. Es hängt davon ab, ob der Dirigent zulässt, dass die Musik unmittelbar auf sein Bewusstsein wirken kann – ohne jegliche Interpretation, ohne Veränderung der immanenten Beziehungen, ohne dass irgendetwas Außermusikalisches zwischen Klang und Bewusstsein tritt. Wenn also nichts dazwischensteht, wird er es gar nicht vermeiden können, dass sich auch auf seinem Gesicht oder in seiner Statur Affekte äußern, die unmittelbar durch die Musik, durch den Klang angeregt werden.
Damit ist er aber nicht exzentrisch, sondern mittendrin im Geschehen. Wenn er sich aus diesem Zentrum des Erlebens herausbewegt, was ja mit dem Wort exzentrisch angedeutet wird, dann hat er mit dem eigentlichen musikalischen Geschehen nichts mehr gemeinsam.
Und damit wird er jeden Beobachter, und in ganz besonderer Weise die Orchestermusiker, von dessen eigener Identifikation mit der klanglichen Realität ablenken.