Brass, Orchestra, Schwerpunktthema, Wood | Von Martin Hommer

Theinerts Thema: Die universelle Ausdrucksform

Ist Musik die universelle Sprache? Allein über diese Fragestellung könnte man sich mit Markus Theinert stundenlang unterhalten, diskutieren, könnte Dinge abwägen, verwerfen und wieder diskutieren. Haben wir auch gemacht. Das Ergebnis? Wäre zu diskutieren…

Musik wird in zahlreichen Sprichwörtern als »universelle Sprache« bezeichnet…

Es ist richtig, dass Musik universell ist, denn jeder kann einen Zugang haben. Die Musik hat und kennt keine Grenzen. Aber die Musik ist keine Sprache im eigentlichen Sinne des Wortes. Denn eine Sprache ist auf Begriffe und auf semantische Bedeutungen der einzelnen Zeichen gestützt. Wir sind in jeder Sprache darauf angewiesen, die Bedeutung der Begriffe historisch oder etymologisch zu verstehen, um den Sinn selbst zu verstehen.

Diese Notwendigkeit besteht in der Musik nicht. Wenn ich von einem Italiener angesprochen werde und ich seiner Sprache nicht mächtig bin, werde ich unter Umständen außer der Gestikulierung des Sprechenden gar nichts verstehen. Wenn ich aber mit Musik konfrontiert bin, die aus einer anderen Kultur oder aus einem anderen Sprachraum stammt, dann spielt dieser Mangel an Sprachkenntnis überhaupt keine Rolle.

Sonst könnten wir ja italienische, chinesische oder japanische Musik gar nicht erleben. Da wir aber alle gleich gebaut sind und das Naturgesetz des Klangs in jedem Bereich, in jeder Sprache dieselben Gesetzmäßigkeiten hat, und sich der Klang in Frankreich, Italien, Deutschland, China oder auf dem afrikanischen Kontinent in genau der gleichen Weise aufbaut und ausbreitet, ist die Musik universell.

Die Obertonstruktur, das Nacheinander-Entstehen der Nebenerscheinungen im Klang, der zeitliche Aspekt im Rhythmus etc. sind absolut universell. Wir sind in der Musik im Gegensatz zur Sprache im Sinne der Semantik weder abhängig von einer Interpretation, von einer historischen Bedeutung der Begriffe, noch von der Veränderung des Wortgebrauchs im Wandel der Zeit. Ein Wort, das vor 200 Jahren eine eindeutige Semantik besaß, wird nicht unbedingt im 21. Jahrhundert in derselben Weise verwendet oder aufgenommen. Hier ist die Musik zeitlos und unabhängig.

Was musikalisch formuliert wird, ist vollkommen frei von semantischer Bedeutung. Und darin liegt das Geheimnis, dass wir Musik und Sprache im Wesen nicht vollständig zusammenbekommen. Musik ist etwas Eigenständiges, was im Sinne der Wirkung auf den menschlichen Geist einmalig und auch eindeutig geschieht und nicht wie bei der Sprache der Interpretation des Hörenden oder einer Erklärung durch den Sprechenden bedarf.

Kann man sagen, dass Musik also universelle affektive Gehalte transportiert, und nicht wie die Sprache Sachverhalte, die als Konvention über Jahrhunderte von den Sprechern der jeweiligen Sprache vereinbart wurden?

Es ist nicht der affektive Gehalt. Die Musik birgt aber in sich eine Kraft, die auf die Affekte des Menschen wirkt und mit ihnen spielt, und dadurch entsteht diese einmalige Biografie der lebendigen Form. Im Grunde genommen sind die Affekte also ein Vehikel für die Musik, um in unserem Bewusstsein diese unglaublich geschlossene und einmalige Erlebniswelt zu eröffnen, die wir ansonsten wahrscheinlich im täglichen Leben kaum erfahren dürften.

Aber auch die Sprache zielt auf unsere Affekte. Wenn wir beispielsweise an die Poesie denken – dort erleben wir ähnliche Wirkungen. Allerdings sind diese Wirkungen nicht ganz so eindeutig und nicht so unvermittelt und direkt wie die vom Klang auf das Bewusstsein. Affekte werden auch angesprochen, aber wenn wir zum Beispiel ein japanisches Haiko hören und kein Japanisch sprechen, werden wir zwar die Schönheit der Klänge empfinden, aber von ihrem emotionalen Gehalt kaum etwas erfahren, weil wir eben die Bedeutung der Worte nicht kennen.

Bei der Musik fällt das weg. Der Gehalt der Musik sind also nicht die Affekte, sondern die Kreativität des Schaffenden, des Schöpfers, des Komponisten, der sich eines Materials bedient, das über jede Interpretation erhaben ist, nämlich des Klangs, der durch die Naturgesetzmäßigkeiten so ist, wie er eben ist.

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