Orchestra, Schwerpunktthema | Von Klaus Härtel

Theinerts Thema: Hierarchie im Orchester

Hierarchie im Orchester – eigentlich ist die doch klar, oder? Der Dirigent vor dem Ensemble gibt den Takt vor und alles »tanzt nach seiner Pfeife«. Doch natürlich ist das alles ganz anders, aber gar nicht so viel komplizierter. Mit Markus Theinert sprachen wir darüber, ob »besser« und »schlechter« hierarchische Kriterien sind – und ­warum die 3. Stimme immer von den Schwachen gespielt wird…

Einem Außenstehenden erschließt sich die Hierarchie im Orchester nicht wirklich – außer, dass »da vorne« ein Dirigent steht, der offensichtlich den Takt vorgibt. Wie aber ist die Hierarchie im Orchester wirklich geregelt?

Die Hierarchie wird optisch tatsächlich so gesehen, als würde der Dirigent das Sagen haben und die anderen würden seinen ­Anweisungen und seiner Gestik einfach ­folgen. Allerdings muss man hier doch ein bisschen in die Tiefe gehen, um zu ver­stehen, was Hierarchie im eigentlichen ­Sinne bedeutet. 

In der Geschäftswelt bestehen Unternehmenshierarchien darin, dass es Manager gibt und solche, die gemanagt werden; ­solche, die das Sagen haben, und andere, welche die Anweisungen ausführen. 

In der musikalischen Struktur allerdings sind die Zusammenhänge komplexer, denn hier geht es ja nicht um die Hierarchie vom Dirigenten zum einzelnen Musiker oder von einer Anweisung zur entsprechenden Ausführung. Die Anleitung, der wir im Orchester folgen, kommt vom Komponisten – und nicht vom Dirigenten. 

Insofern sind die Prioritäten ganz anders: Der Komponist und sein Werk haben absoluten Vorrang. Denn mit der Partitur gibt er den Text vor, um den es in den Proben und im Konzert gehen soll. Wenn man das verstanden hat, dann ist der Dirigent nur ein Teil des Geschehens. Hier ist er mit anderen Funktionen im Orchester gleichgestellt. Wir haben eigentlich keine Prioritäten auf der persönlichen Ebene – auch wenn es von außen so erscheint. 

Der Dirigent muss sich selbst ja nicht mit der Klangerzeugung beschäftigen und befindet sich außerdem an einem Platz, an dem der Orchesterklang als Ganzes zusammenkommen kann. Nur deshalb ist er in der Lage, von dort aus das Ge­schehen mit zu lenken. 

Ich verstehe Hierarchie nicht »vom Dirigenten zum Stimmführer und vom Stimmführer zu den Tuttimusikern«. Die Hierarchie muss im musikalischen Gewebe selbst entdeckt werden. Wenn wir uns die jeweilige Hauptstimme, die Nebenstimmen und die Begleitung anschauen, dann gibt es hier klare Hierarchien. Die wiederum hat der Komponist vorgegeben und nicht wir. 

Hier sind melodisch-führende Elemente oder harmonisch-modulierende Stimmen am Werk, die jeweils das Sagen haben, und die wir entsprechend freilegen müssen, damit sie zur Geltung kommen können. Im musikalischen Geschehen sind Hierarchien also durch Stimmführung und die formale Weiterentwicklung festgelegt, welche die Bedeutung der einzelnen Instrumentenpartien beständig verändert.

Heißt das dann letztlich, dass es prinzipiell zwei Arten von Hierarchie im Orchester gibt? Eine organisatorische und eine musikalische, die der Komponist festlegt?

Genau richtig. Wenn wir von dem sozialen Aspekt der Zusammenarbeit sprechen möchten, dann muss hier natürlich eine gewisse Disziplin etabliert werden. Wir müssen zuhören können. Tatsächlich muss dann der Dirigent sein Feedback an die Musiker zurückgeben, wie es »draußen« bei ihm ankommt. 

Der einzelne im Orchester hat ja in seiner Funktion zwei entscheidende Nachteile, was eine solche Einschätzung von seiner Perspektive wesentlich erschwert. In den meisten Fällen kennt er nicht die gesamte Partitur, sondern nur seinen eigenen Part. Und zum anderen befindet er sich mittendrin im Geschehen.

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