Die Psychologie ist ein großes Gebiet. Selbst die Musikpsychologie ist nicht minder weit. Wie wirkt Musik auf den Hörer? Wie wirkt Musik auf den Interpreten? Welche Rolle spielt ein Ensembleleiter in diesem Zusammenhang? Und macht Musik glücklich? Fragen über Fragen. Einige davon haben wir mit Markus Theinert besprochen.
Herr Theinert, Sportler arbeiten seit geraumer Zeit mit Psychologen und Mentaltrainern, um sich auf einen Wettkampf einzustimmen. Gibt es etwas Vergleichbares im musikalischen Bereich – und was soll das bringen?
Natürlich ist die Anwendung psychologischer Erkenntnisse im therapeutischen Sinne auf allen Gebieten menschlicher Aktivität anwendbar, und daher sicher auch im individuellen Instrumentalunterricht. Die Psyche des Schülers und auch des Lehrers spielt im Unterricht eine große Rolle.
Auch bei hinderlichen Befindlichkeiten wie etwa Lampenfieber oder anderen Stressfaktoren gibt es zahlreiche Möglichkeiten, mit psychologischen Werkzeugen Probleme zu lindern. Allerdings glaube ich auch, dass die Psychologie in diesem Zusammenhang nur sehr eingeschränkt gesehen wird.
Denn es ist ja nicht die Psychotherapie, von der wir hier reden, sondern die Lehre der menschlichen Psyche, die nicht nur eine Lehre der Gefühle ist, sondern auch die Wahrnehmung und das Wahrgenommene mit einschließt.
Mentalcoaches sollen auf die Psyche der Sportler einwirken, um eine bestimmte Leistung zu ermöglichen. Wäre das dann eine Aufgabe, die in der Musik schlicht noch nicht so weit erkannt wird? Oder ist der Dirigent bzw. der Lehrer ein solcher Mentalcoach?
Die Zielsetzung ist hier grundsätzlich verschieden. Die Ähnlichkeit besteht nur darin, dass wir uns auch in der Musik im Augenblick des Hörens ausschließlich auf das konzentrieren müssen, was im Raum geschieht, auf den Klang, auf das was wir mit dem Instrument erreichen. Diese kompromisslose Fokussierung ist auch bei jeder sportlichen Aktivität erforderlich, zumindest wenn Höchstleistung erwartet wird.
Musik und Sport unterscheiden sich aber in dem Moment grundsätzlich voneinander, wenn der Sportler absichtlich versucht, die Wahrnehmung nicht mehr ganzheitlich entstehen zu lassen, sondern selektiv alle hinderlichen Wahrnehmungen wie Muskelschmerzen, Müdigkeit oder auch den sportlichen Gegner zu ignorieren, damit ihn nichts von der eigenen körperlichen Bestleistung ablenken kann.
In der Musik spielt aber gerade die Integration exogener Faktoren eine entscheidende Rolle. Der einzelne Musiker kann sich mental ja nicht nur auf das eigene Instrument einstellen, sondern muss seine gesamte Umgebung, den Raumklang, die anderen Stimmen, die funktionalen Wechselwirkungen im Ensemble et cetera in der Gesamtheit wahrnehmen. Und dazu gehört das Lösen von einer zu eng gefassten Wahrnehmung.
Es geht um die Erweiterung des Wahrnehmungshorizonts und nicht um dessen Einschränkung. Jede Möglichkeit, jede Veränderung im Klang, jede Richtungsänderung in der Spannung erfordert aufmerksame Sensibilität des wahrnehmenden Subjekts. Da liegt der große Unterschied. Es wäre darüber hinaus auch unzureichend, wenn die Psychologie nur angewandt würde, um den negativen Einfluss störender Befindlichkeiten, wie zum Beispiel das Lampenfieber, einfach ein bisschen zu lindern. Wenn wir uns mit Psychologie beschäftigen, müssen wir auf beide Seiten achten: Auf die Phänomene, die auf die Psyche wirken und auf das, was die Wahrnehmung im Bewusstsein bewirkt.