Wood | Von Patrick Hinsberger

Theresia Philipp über das Üben mit Long Covid

Theresia Philipp
Foto: Lukas Diller

Theresia Philipp zählt zu den gefragtesten Musikerinnen in der deutschen Jazz-Szene. Darüber hinaus ist sie auch als Komponistin erfolgreich und erhielt 2022 den WDR Jazz Preis in der Kategorie Komposition. Während der Corona-Pandemie erkrankte Theresia an Covid und leidet an den Folgen. Wie seither Long Covid ihren Übe-Alltag bestimmt, erzählte sie im Interview.

Vervollständige folgenden Satz: Üben ist…

Üben ist für mich wie eine Beziehung. Dieser sollte man das geben, was sie gerade benötigt. Mal kann das ja auch eine Pause sein. Bei mir ist es so, dass ich in unterschiedlichen Phasen übe. Und in diesen Phasen braucht es, für die Beziehung zu meinem Instrument oder zur Musik allgemein, unterschiedliche Dinge. Dem versuche ich dann jeweils gerecht zu werden.

Du bist einerseits als Instrumentalistin sehr aktiv und erfolgreich. Gleichzeitig arbeitest du auch viel als Komponistin und hast dieses Jahr den WDR Jazz Preis in der Kategorie Komposition gewonnen. Wie findest du in deinem Übe-Alltag Zeit für beides?

Gar nicht? (lacht) Wer hier eine gute Methode hat, darf sich gern bei mir melden.

Für mich sind Komponieren und Üben am Instrument unterschiedliche Themenfelder. Natürlich überschneiden sich beide gelegentlich, wenn ich beispielsweise Saxofon spiele und Ideen habe.

In meinem Übe-Alltag fällt es mir jedoch schwer beide Themen gleichberechtigt unter einen Hut zu bekommen. Es gibt Phasen, in denen ich mehr spiele und daher entsprechend mehr übe. Hier komponiere ich dann fast gar nicht. 

Dann gibt es allerdings Phasen, in denen ich ausschließlich schreibe und das instrumentale Üben viel zu kurz kommt. Ich versuche zu akzeptieren, dass dies so ist. Für mich habe ich festgestellt, dass es nicht funktioniert, wenn ich beides an einem Tag machen möchte. Da werde ich eher unproduktiv.

Mir hilft das Standbein Komponieren besonders, seitdem ich an Long Covid erkrankt bin, da ich hier mit meiner Energie gehen kann. Wenn ich an einem Tag nicht arbeiten kann, ist es in Ordnung. Habe ich hingegen viele Termine und viele Konzerte, gestaltet sich das eher schwierig.

Wenn du vor dem Hintergrund deiner Erkrankung auf deinen Übe-Alltag schaust, sagst du dir dann: Wenn Saxofon üben nicht geht, dann komponiere ich einfach. Oder wie muss man sich das bei dir vorstellen?

Es gibt Tage, das kennt vielleicht der ein oder die andere, da habe ich das Fatigue-Syndrom. Da bin ich so erschöpft, dass gar nichts geht. An anderen Tagen ist die Müdigkeit nicht das Hauptproblem, sondern andere körperliche Symptome. Beispielsweise Schmerzen in den Gelenken oder in der Lunge, aber auch Konzentrationsschwierigkeiten. Die Krankheit äußert sich bei mir sehr vielschichtig. Es ist daher sehr schwierig nicht zu verzweifeln. Das sage ich ganz ehrlich. 

Meine Krankheit bedeutet für meinen Alltag, dass ich manchmal gar nicht und an anderen Tagen nur sehr wenig üben kann. In der letzten Woche war es besonders heftig und ich konnte fast gar nicht ohne Schmerzen spielen. Aktuell habe ich ein paar Projekte zu spielen, was die Situation nur weiter verschlimmert. Es geht dabei gar nicht so sehr darum, mich instrumentaltechnisch weiterzuentwickeln, sondern schlicht darum, nicht schlechter zu werden. Manchmal heißt das dann lediglich 10 Minuten üben zu können. Diese Tatsache fordert von mir noch mehr Disziplin als früher. Schließlich möchte man die begrenzte Zeit auch möglichst effektiv nutzen. Allerdings sehe ich das auch als Chance Prioritäten zu setzen. 

Das stelle ich mir in der Tat sehr schwierig vor. Du arbeitest als freischaffende Musikerin – wie gehst du mit solchen Situationen um, an Tagen, an denen du ein Konzert spielst?

Ich versuche möglichst, nicht kurzfristig abzusagen, da dies ohnehin ein großes Problem in unserem Beruf ist. 

In den letzten anderthalb Jahren habe ich gelernt, besser zu planen und, dass ich nicht mehr als drei bis vier Tage pro Woche arbeiten kann. Wenn ich dann an einem Gig-Tag doch mal einen schlechten Tag habe – hatte ich bisher zum Glück noch nicht –, weiß ich, dass es mich anschließend zurückwirft. Die Folgewoche ist dann im Grunde nicht zu gebrauchen. 

Woher nimmst du die Energie, dann trotzdem immer wieder aufs Neue anzufangen und dranzubleiben?

Uff, das ist auf jeden Fall sehr viel mentale Arbeit, die ich auch versuche, mit professioneller Hilfe zu bewältigen. Das kann ich jedem/jeder in einer solchen Situation nur empfehlen. 

Ich versuche den Aufwind der guten Phasen mitzunehmen und dann nicht zu viel zu machen. Die Motivation, die ich daraus gewinne, hilft mir dann, die schlechten Phasen zu überstehen.

Um im Bild der “Beziehung” zu bleiben, heißt das auch manchmal, dass es in den weniger guten Phasen nicht um mein Instrument geht sondern um meine Gesundheit.

Da als Musikerin und als Mensch Entwicklung und Wachstum im Vordergrund stehen, denke ich mir, profitiert die Musik am Ende auch davon.

Würdest du, abschließend zu diesem Thema, sagen, dass deine Erkrankung die Beziehung zu deinem Instrument verstärkt hat?

Es hat die Beziehung zu meinem Instrument auf alle Fälle verändert. Vor allem das Vertrauen ist stärker geworden. Denn ich habe schon gemerkt, dass, auch wenn ich mal ein paar Tage nicht spiele, es schon anschließend noch funktioniert und ich musikalisch etwas zu sagen habe. 

Die Sachen, die ich die letzten 15 bis 20 Jahre geübt habe, sind nun ja nicht plötzlich alle weg. Auch, wenn ich aktuell gerade nicht die Kraft und Ausdauer wie noch vor zwei Jahren habe, habe ich vielleicht in den musikalischen Phrasen eine Art der Tiefe erlangt, die ich zuvor nicht hatte. Zumindest würde ich mir das wünschen.

Hinsberger

Der Podcast “Wie übt eigentlich?”

Patrick Hinsberger studierte Jazz-Trompete an der Hochschule der Künste in Bern. In seiner Podcast-Reihe “Wie übt eigentlich..?” spricht er einmal im Monat mit Musikerinnen und Musikern aller Genres über das Intimste und Geheimnisvollste in ihrem Alltag: das Üben. Die Folgen kann man auf allen bekannten Streamingdiensten, wie Spotify, Apple Podcast & Co., kostenlos anhören. 

www.what-is-practice.de