News, Orchestra | Von Klaus Härtel

Thomas Doss über Blasmusikpop

Doss
Thomas Doss (Foto: privat)

“Wir fühlen uns einfach nur erleichtert und glücklich und auch ein kleines bisschen stolz, dass die Aufführungen nach so langer und mühsamer Vorlaufzeit endlich über die Bühne gehen konnten”, sagten Obmann Roland Furgler und Dirigent Georg Thaler nach der Uraufführung der Oper “Blasmusikpop”. Wir sprachen zudem mit dem Komponisten Thomas Doss.

Thomas, nach langer, langer Wartezeit wurde nun endlich die Blasmusik-Oper “Blasmusikpop” in Bozen aufgeführt. Eine typische “Nach-dem-Fußballspiel”-Frage: Wie fühlst du dich? 

Nach den vielen Zweifeln, ob es denn wirklich so funktioniert, wie man sich das vorstellt, fühle ich mich schon sehr erfüllt. Schon bei der Generalprobe hat sich abgezeichnet, dass es eine sehr schöne Produktion wird, die alle mit Enthusiasmus mittragen. Die Qualität war hervorragend. Die Sänger sind ohnehin Profis, aber auch und vor allem die Bürgerkapelle Gries unter Georg Thaler war unglaublich. Die Musikerinnen und Musiker haben sich von Probe zu Probe gesteigert und waren bei den Aufführungen dermaßen präsent und konzentriert, es war wie aus einem Guss. Und obwohl die Oper knapp drei Stunden dauert, war es sehr kurzweilig. Das hat mir sehr viel Freude bereitet!

Die Aufführungen Anfang September waren nun der dritte Versuch. Kannst du uns kurz erzählen, wie die Oper “Blasmusikpop” entstanden ist? Wer ist wann auf dich zugekommen und wie konnte man dich überzeugen, dass du das tatsächlich machst?

Ich kenne Georg Thaler schon sehr lange und habe bereits zu meiner Zeit in Bozen mit ihm zusammengearbeitet. Die Bürgerkapelle Gries hat schon immer sehr gewagte Produktionen geplant, die weit über ein herkömmliches Blasmusikkonzert hinausgehen. Georg hat mir vor etwa acht Jahren von seiner Idee für das Jubiläum der Kapelle erzählt. Er hatte die Produktion einer Oper im Kopf – und natürlich war ich gleich interessiert! Wir haben uns dann einige Libretti angeschaut, die aber nicht alle komplett überzeugend waren für das, was wir vorhatten.

Nachdem die Sache erst einmal wieder ein wenig eingeschlafen war, hat Georg Thaler dann vor etwa vier Jahren gemeinsam mit dem Obmann Roland Furgler bei der Intendantin der Vereinigten Bühnen Bozen nach einem Libretto gefragt, weil sie eben diese Oper veranstalten wollten. Das ist eine sehr ungewöhnliche Herangehensweise, aber die Intendantin war sehr offen, interessiert und geradezu begeistert von dem Enthusiasmus der beiden. Aus der Idee ist dann ein festes Vorhaben geworden, nachdem die Vereinigten Bühnen Vea Kaiser, die Autorin des Buchs “Blasmusikpop” direkt angesprochen haben. Auch die war sofort dabei.

Kanntest du das Buch? 

Bis dahin nicht, nein. Ich habe es mir natürlich gleich besorgt und aus dem ersten Schock heraus gesagt: “Das ist für mich eigentlich fast nicht fassbar!” Das Buch ist so umfangreich und die Handlung läuft nicht immer ganz straight auf etwas hinaus, dass man sie in einer Opern-Konzeption verarbeiten kann. Silke Dörner – mittlerweile künstlerische Leiterin am Theater Phoenix in Linz – hat dann aus dem Schmöker von fast 500 Seiten ein Libretto von etwa 30 Seiten gemacht, hat es sehr “entschlackt” und sehr stringent zusammengefasst. Das war mein großes Glück! Silke Dörner und ich haben uns getroffen und sind einen ganzen Tag das Libretto durchgegangen. Sie war sozusagen mein Leitfaden für dieses Stück. Und natürlich war bereits im Vorfeld mit der Intendanz, der Dramaturgie, dem Dirigenten und dem Verein besprochen worden, welche Vorstellungen alle haben. 

Und dann hast du angefangen zu komponieren?

Im Sommer 2019 habe ich im August begonnen, die Oper zu vertonen. Zwischendurch habe ich den Beteiligten Klangbeispiele vorgestellt. Bei den Vereinigten Bühnen Bozen herrschte schon eine gewisse gesunde Skepsis, weil man mich dort ja auch nicht wirklich kannte. Aber offenbar sind meine Ideen ganz gut angekommen – mir ist ein Stein vom Herzen gefallen. Wir haben den Kurs beibehalten und ich habe während der ersten Coronaphase auch die Zeit gehabt, mich ganz intensiv mit dem Stück auseinanderzusetzen. Ich konnte sogar zwei Monate vor der Deadline abliefern. Nach dem Kompositionsprozess und der Vorbereitung ging es dann darum, dass das Orchester einfach einmal beginnt zu proben. 

War damit deine Arbeit erledigt? Oder hast du bei den Proben mit den Musikerinnen und Musikern, mit den Sängerinnen und Sängern kommuniziert, Hilfestellungen gegeben, Fragen beantwortet?

Wir hatten ein Casting für diese Produktion, denn es sind ja relativ viele Rollen zu besetzen gewesen. Mit der ersten Besetzung aus diesem Casting sind wir sehr spezifisch auf die Figuren eingegangen, von der Stimmlage und von der Charakteristik her. Diese Besetzung ist dann aber aufgrund der Verschiebung nicht mehr zustande gekommen, weil einige Sängerinnen und Sänger in Vertragsverpflichtungen mit anderen Theatern standen. So haben wir ein paar Positionen verloren und mussten nachcasten. Das war dann gar nicht so leicht, weil viele Sängerinnen und Sänger wieder in den Theatern verpflichtet waren. Nichtsdestotrotz haben wir sehr gute Sänger gefunden, die allerdings nicht alle in der vorgesehenen Stimmlage waren. Hier musste ich dann ein bisschen nachbearbeiten. Das war mein begleitender Part. 

Und dann war es vor dem zweiten geplanten Termin der Produktion noch einmal geradezu dramatisch…

Genau. Im Winter 2021 war dann die abermalige Produktion geplant und bei den Hauptproben am Schluss war ich dann auch dabei. Doch dann hatten wir acht Tage vor der Premiere leider einen Corona-Fall bei den Solistinnen – und das Ganze wurde wieder abgeblasen. Zum Glück aber ist diese Besetzung zusammengeblieben und wir mussten nicht wieder neu casten. Auch waren Orchester und Sänger schon sehr gut einstudiert. Von der geplanten zweiten Produktion gab auch schon eine Generalprobe auf Video. Wir hatten also ein ganz gutes Level, an dem wir wieder einsteigen konnten. Fünf Proben haben dann zur Vorbereitung gereicht. Zwar mutete die erste Hauptprobe noch ein bisschen wie ein Abenteuer an, aber sukzessive von Probe zu Probe haben sich alle enorm gesteigert. (Hier gehts zum RAI-Film “Making of”)

Deine Arbeit ist die Musik. Wie war die Zusammenarbeit mit Bühnenbild, Kostümen und anderen Bereichen, die bei der Oper auch eine große Rolle spielen?

Die Vereinigten Bühnen Bozen sind ein professioneller Betrieb und der Bühnenbildner kam in diesem Fall aus München. Der hat natürlich seine Ideen, die teilweise schon vor dem Komponieren unterbreitet und umgesetzt wurden. Diese Dinge passieren unabhängig voneinander, wenngleich eine Grundidee natürlich abgestimmt wird. Das Bühnenbild habe ich tatsächlich erst auf der Bühne gesehen. Das war schon überwältigend und auch ein bisschen unwirklich (lacht). 

Vea Kaiser selbst hat nach der Aufführung in den höchsten Tönen von dir geschwärmt: “Er hat so wunderbare Musik geschrieben: von märchenhaften Klängen bis Großes Filmorchester bis Pop total bis Blasmusik Original. Er hat das Libretto, das übrigens mega eng am Roman ist, großartigst vertont.” Ganz ehrlich: Das geht runter wie Öl, oder? 

Ja, natürlich (lacht). Vea Kaiser ist eine sehr starke Persönlichkeit! Ich hatte sie im Vorfeld kontaktiert, als sie zufällig in der Nähe meines Heimatortes eine Lesung hatte. Das war zu Beginn der Arbeitsphase. Sie hatte am Anfang lange überlegt, sich dann aber entschieden, sich komplett rauszuhalten und offen zu sein für das, was kommen wird. Es war vermutlich schon ein Kraftakt von ihr, sich eben nicht einzubringen. Ich bin mir sicher, dass bei ihr vor der Aufführung die Grundanspannung sehr groß war. Bei der letzten Probe haben wir zusammengesessen und sie hat hier geradezu eine emotionale Achterbahnfahrt erlebt, schwankte zwischen Lachen und Weinen. Das war schon beruhigend zu erleben, weil sie mit ihren Reaktionen gezeigt hat, dass es ihr sehr gut gefällt. 

“Der Musikverein Gries hat ein ewiges Denkmal für die gesamte Amateurmusik gesetzt”, hast du selbst nach der Uraufführung geschrieben. Wie meinst du das? Und welche Erkenntnisse kann die Amateurmusik aus einem solchen Highlight ziehen?

Dazu muss man noch mal erwähnen, dass die Bürgerkapelle nicht nur den Part des Orchesters hatte, sondern zum Teil auch Rollen als Statisten und Schauspieler aus ihren Reihen besetzt wurden. Die Musikerinnen und Musiker waren dementsprechend gefordert, was sich auch in einer unglaublichen Anzahl an Proben niederschlägt. Als die erste Bühnenprobe nicht ganz überzeugend war, konnte man in der Regie eine leichte Verunsicherung spüren. Ich habe den beiden Regisseuren gesagt, dass sie Vertrauen haben sollen: Diese Leute der Bürgerkapelle kommen aus dem Büro, die kommen aus der Küche, die kommen von der Musikschule. Die Leute haben den ganzen Tag gearbeitet, sitzen jetzt am Abend in einer Probe von über drei Stunden und müssen liefern! Die Belastung und speziell die zeitliche Belastung ist schon sehr groß.

Und vor allem muss man sich vorstellen, wie viel Zeit vergeht, bis man überhaupt einmal dort ist! An dieser Stelle muss ich noch einmal den Obmann Roland Furgler und den Dirigenten Georg Thaler hervorheben. Bei der ersten Besprechung vor drei Jahren hatte ich sie schon vorgewarnt, dass da einiges auf sie zukommen würde. Nun muss man sich nur eine normale Blasmusik vorstellen. Man kennt doch die üblichen Szenarien bei den Proben: Jemand hat keine Zeit am Abend, jemand kommt verspätet, jemand ist nicht einverstanden und so weiter… 

Das kennt vermutlich fast jeder Dirigent…

Du musst also diese über 70 Menschen auf dieses Wagnis mitnehmen. Die Grundidee ist natürlich spannend – aber was das in der Realität bedeutet… Das ist die blutigste Arbeit, die man sich vorstellen kann! Da geht es überhaupt noch nicht um die Musik, sondern da geht es einfach um Grundvertrauen, um die Grundeinstellung einer Sache gegenüber. Bei den Musikerinnen und Musikern spielen Beruf und Familie eine Rolle, es bricht das totale Chaos in jedem einzelnen Umfeld aus. So etwas ist unter “normalen Umständen” ja schon schlimm genug! (lacht) Es gibt immer Durchhänger und dann wieder Höhenflüge, dann kommt die Bühnenprobe, man ist motiviert – und dann wird es verschoben. Und der zweite Versuch wurde acht Tage vor der Premiere abgesagt.

Das ist der totale Super-GAU. Ich gebe zu, dass ich sehr skeptisch war, ob es gelingen würde, die Spannungskurve zu halten und die Leute “mitzunehmen”. Das aber zu schaffen, diese Vereinsleistung ist ein unglaubliches Zeichen von Stärke, Charakter und Mentalität. So etwas drei Jahre lang zu stemmen – und daneben noch das normale Jahresprogramm abzuspielen – erfordert von jedem einzelnen Vereinsmitglied so einiges. Was hier drei Jahre lang in diesem Verein stattgefunden hat, grenzt für mich an ein Wunder. Aber ein Wunder, das durch großartige psychologische, emotionale und intelligente Arbeit ermöglicht wurde. So sind die Leute zusammengeblieben. Und das meine ich mit diesem Denkmal: Seht, was man mit einer Amateurvereinigung schaffen kann, wenn man eine Vision hat und die entsprechenden Menschen! Dann ist alles möglich.