Das Aushalten von Tönen gehört in jeden konstruktiven Übeplan. Aber vor allem ist Töne aushalten nicht gleich Töne aushalten…Das ist das Thema des 17. Beitrags von “Üben üben!”. Die Serie befasst sich mit der Gestaltung bzw. Planung des Übens.
Waren Sie schon einmal in Halberstadt (Sachsen-Anhalt) in der Sankt-Burchardi-Kirche? Dort wird seit dem Jahr 2001 das Musikstück für Orgel mit dem Namen ORGAN²/ASLSP des US-amerikanischen Komponisten John Cage in einer Gesamtlänge von 639 Jahren aufgeführt, wobei die Abkürzung ASLSP für “as slow as possible” steht. Deshalb hören Sie dort auch im Moment einfach einen lang ausgehaltenen Klang, wobei der nächste Klangwechsel für den 5. Februar 2024 vorgesehen ist.
Töne aushalten
Womit wir beim Thema “Töne aushalten” wären und sofort erkennen, dass wir als Blasinstrumentenspielerinnen und -spieler, selbst wenn wir die Technik der Permanent-, Kreis- oder Zirkularatmung perfekt beherrschen, diese Komposition nicht aufführen könnten.
Übrigens: den offiziellen Weltrekord für ein Blasinstrument ohne Zirkularatmung (laut Guinness-Buch) hält wohl der Inder Hav Shambhu Kumar, der am 27. März 2021 Luft für 1 Minute und 23,04 Sekunden hatte.
Diese Folge der “Üben, üben!”-Serie soll nun aber nicht Ihren Ehrgeiz anstacheln, ins Guinness-Buch der Rekorde zu kommen, sondern Sie daran erinnern, dass das Aushalten von Tönen in jeden konstruktiven Übeplan gehört. Denn…
…Töne aushalten ist viel mehr als nur Töne auszuhalten!
Natürlich kann man “einfach einen Ton spielen”, aber man kann genauso natürlich auch:
- beim Einatmen darauf achten, mit »gähnendem Rachen« einzuatmen und einen »offenen« Hals zu haben
- beim Ausatmen darauf achten, dass jeder einzelne Ton gut gestützt wird
- die Intonation (z.B. zu Beginn durchaus auch mit der Hilfe eines Stimmgerät) üben
- die Klangfarbe verändern (also Formantänderungen machen, d.h. einen Oberton oder einen zusammenhängenden Bereich von Obertönen durch Resonanzverstärkung lauter klingen lassen)
Kleiner Exkurs: hier finden Sie einen spannende Hörtest, mit dem Sie erkennen können, ob sie eher Vokale oder eher Obertöne in einem Klang erkennen. Es folgt dann eine Art “Hörtraining”, um die Schwelle zwischen Vokal- und Obertonwahrnehmung zugunsten der Obertöne zu verschieben: www.oberton.org/hoertest-saus/
Es gibt aber auch berühmte Musiker, die den Begriff “Töne aushalten” oder “long tones” in einem direkten musikalischen Zusammenhang üben. So liest man etwa im 1994 erschienenen Buch “Sax/Flute Lessons with the Greats” des berühmten Jazzsaxofonisten und Flötisten Ernest James “Ernie” Watts: “I never practiced long tones. […] You learn how to hold a note if you’re playing a ballad. If you’re working on ‘My Funny Valentine’, you’re doing a long tone exercise at the same time. That’s the way I look at tone development.”
Nun, wie wäre es also, als Ziel eines Übejahrs jeden Monat eine neue Ballade, vielleicht sogar auswendig und/oder in allen zwölf Tonarten, zu spielen? Let’s go!
Der Autor Jürgen K. Groh ist Master of Arts, Dirigent, Moderator und Vizepräsident der WASBE Sektion Deutschland. Er ist unter der E-Mail Adresse juergenkgroh@brawoo.de zu erreichen.