Brass, Szene | Von Klaus Härtel

Trompeter Christoph Moschberger im Gespräch: Flexibilität!

Er kommt gerade aus dem Studio von Xavier Naidoo, wo er für die Sendung "Sing meinen Song" mit der Sängerin Lena Meyer-Landrut Popsongs vorproduziert hat. Gestern stieg eine Jazz-Jam-Session in der Alten Feuerwache Mannheim. Und am Wochenende steht ein Auftritt mit "Alpenblech" an. Da muss man schon ganz schön flexibel sein.

Egerländer Musikanten, "Sing meinen Song", Yamaha Allstars… Ist eigentlich die Musik, die Sie auf dem iPod hören, stilistisch genauso breit gefächert wie die, die Sie selber machen?

Das schon, auch wenn es nicht die gleiche Streuung ist. Ich höre auch Popmusik, die komplett ohne Trompete auskommt. Charlie Winston etwa – ein fantastischer Singer/Songwriter aus England.

Ich höre aber natürlich viel Blasmusik. Ich habe ein Riesenarchiv von alten Ernst-Mosch-Aufnahmen. Da höre ich immer wieder einfach mal rein und entdecke richtige Schätze, die ich dann wiederum für die »Kleine Besetzung« der Egerländer verwenden kann.

Entweder höre ich Musik, weil ich sie interessehalber studiere, oder weil ich auf der Suche bin. Oder ich höre Musik tatsächlich zum Runterkommen. Es gibt da eine Handvoll Platten, die ich immer wieder anhöre. Charlie Haden, Charlie Winston, Nils Landgren – da hat wahrscheinlich jeder so seine Musik in der Schublade.

Das heißt nicht, dass ich nur Balladen höre. Ich höre auch gitarrenlastige Rockmusik und Klassik. Klassik allerdings kann ich unterwegs nicht gut hören, weil sie so dynamisch ist. Um Klassik zu hören, brauchst du Ruhe. Im Auto etwa versandet da zu viel – weil du schon einen Grund-Lärmpegel hast.

Kann man als Musiker Musik "nebenbei" hören?

Deshalb ist wahrscheinlich die eben erwähnte Handvoll Platten so entspannend. Die kenne ich in- und auswendig. Da passieren keine Überraschungen mehr. Es ist schon so, dass ich sonst sehr analytisch an Musik rangehe. Nicht, dass mich das belasten würde, aber ich checke sofort die Form, die Instrumentierung, den Groove, die Bassline.

Das ist schon ein ziemlich nerdiges Denken. Ich kann das nicht ablegen. Der Text spielt zunächst keine große Rolle – was aber manchmal gar nicht so gut ist. Zum Beispiel in meiner Arbeit als musikalischer Leiter der Gregor-Meyle-Band: Ich muss mich geradezu zwingen, auf die Botschaft des Songs zu achten. Wenn die Grundstimmung »Abschied« ist, ist es wenig sinnvoll, ein Arrangement zu schreiben, das total aufmacht.

Aber ich bin halt Instrumentalist… Man muss aufpassen, dass man nicht betriebsblind wird und den Blick auf die Emotionalität verliert. Ich komme da immer mehr hin und befinde mich in einem Lernprozess: mehr Emotionen, weniger Analyse. Schnell mal ein Bläserarrangement schreiben kann ich ganz gut. Aber es geht eben auch darum, ein Gefühl dafür zu bekommen, dass vielleicht gerade nicht die Perfektion das Entscheidende ist, dass gerade ein Makel am Sound das gewisse Etwas ist.

Die Platten, die uns begeistern, sind ja nicht immer perfekt gespielt oder perfekt produziert. Diese vermeintlichen Makel machen den Reiz aus. Miles Davis etwa klingt so, wie er klingt, weil er es – übertrieben gesagt – nicht besser kann. Wenn der jeden Ton genau und lupenrein anstoßen würde – ich weiß nicht, ob seine Musik dann diese Emotionalität hätte, die ihn ausmacht.

Pop, Jazz, traditionell – was ist das Faszinierende am jeweiligen Genre?

Da gibt es natürlich Schnittmengen. Popmusik ist technisch gesehen oft nicht so schwierig oder so beanspruchend wie Egerländer und Bigband. Bei "Sing meinen Song" ist das Erarbeiten der Songs das spannende. Ich schreibe viel und muss in kürzester Zeit etwas anbieten, um auf den jeweiligen Song einwirken zu können.

Beim Jazz ist es letztendlich der zwischenmenschliche Part von Agieren und Reagieren, also der improvisatorische Teil. Hier kann man ohne einen Notentext, nur anhand eines Themas Dinge entwickeln. Allerdings würde ich diese gestalterische Komponente nicht nur auf den Jazz beschränken. Auf einen bestimmten Moment zu reagieren ist immer wichtig.

Das Faszinierende an der Blasmusik ist, dass sie mich als Instrumentalist enorm fordert. Als Flügelhornist hat man bei den Egerländer Musikanten eine sehr prominente Rolle. Was die Egerländer aber ausmacht, ist der Groove, der Rhythmus, wie man etwas phrasiert. Da trennt sich die Spreu vom Weizen, das ist der Punkt, an dem es anfängt, wirklich gut zu werden.

Es gibt in jeder Band tolle Musiker, es gibt immer einen Trompeter, der ein g³ spielen kann. Es ist Wahnsinn, wie hoch das spielerische Niveau ist. Richtig beeindruckend wird es aber erst, wenn es ums Zusammenspiel geht. Das ist in der Bigband ähnlich. Insgesamt kann man sagen: Das Ensemblespiel ist das entscheidende und spannende. In allen Genres.

Ist diese Fähigkeit, zusammenspielen zu können, typabhängig?

Erfahrung hilft natürlich, aber das kann man lernen. Wichtig ist die Fähigkeit, zuzuhören. Wenn du in der Bigband an der ersten Trompete sitzt, brauchst du Leute, die dir folgen, die dir zuhören – energetisch, dynamisch, vom Sound und Phrasing her.

Es gibt viele gute Leadtrompeter und es gibt weniger wirklich gute 2. Trompeter. Da geht es um Dinge, die man nicht im Notentext festhalten kann. Es geht um den Klang: Wie hell klinge ich, wie dunkel, wie laut? Und wie steuere ich das? Wenn du eine gute Section hast, verschwimmt das alles miteinander. Man nimmt das als eine Farbe wahr.

Also erst einmal zuhören? Und dadurch lernen?

Genau. Ich glaube, sein Gehör zu schulen, ist ein Grundthema. Auch was die Flexibilität angeht. Ich muss ja erst einmal eine Vorstellung davon bekommen, was ich überhaupt verändern kann. Wo finde ich die verschiedenen Schubladen, die ich ziehen kann?

Und wenn man dann verschiedene Vorstellungen hat, kann ich das anpassen. Natürlich geht es erst einmal darum, phrasieren zu können – rein technisch gesehen. Das bleibt manchmal auf der Strecke. Erst wenn man das in der Section gut beherrscht, fängt so ein kompletter Laden an zu grooven.

Im Jahr 2011 sind Sie bei Ernst Hutter und den Egerländer Musikanten eingestiegen. Wie waren die Anfänge? Wie in einer Fußballmannschaft? Erst mal die Schuhe der "alten Hasen" putzen?

Das jetzt nicht gerade, aber dort anzufangen, war schon ein sehr großer Moment, ein Ritterschlag für mich. Man geht da mit Respekt hinein – aber der Respekt kam dann auch recht schnell zurück. Man agiert auf Augenhöhe. Diese Art der Blasmusik hatte mich ja von klein auf beschäftigt. Und obwohl ich vorher noch nicht im professionellen traditionellen Bereich tätig war, kam ich ganz gut zurecht.

Ich konnte meiner Intuition folgen. Ich hatte da einfach die Fähigkeit, zuzuhören und mich auf schnellstem Wege dem Orchester anzupassen. Das war eine richtig gute Schule. Nach ein paar Konzerten wusste man genau, wie der Hase läuft. Am Anfang habe ich mit zu wenig Vibrato gespielt. Ich dachte, das klänge wunderschön, doch wenn du da drin sitzt, merkst du, dass vorne gar nichts ankommt. Erst da hab ich kapiert, wie kraftvoll ich spielen muss.

Wie schwierig ist es eigentlich, zwischen den Stilen umzuschalten? Heute hier, morgen dort – da muss man schon auch mitdenken, oder?

Ich habe es immer schon forciert, vielfältige Musik zu machen. Diese Gratwanderung hat mich schon immer gereizt. Früher habe ich das auch innerhalb von Konzerten gemacht. Das Thema Flexibilität kann man ja von zwei Seiten betrachten.

Das ist einmal die physisch-spielerische Seite: Wie bekommt man es hin, dass man an einem Tag eher kraftvolle, vermeintlich grobmotorische Dinge – hoch und laut – spielen muss, und am nächsten Tag beispielsweise das 2. Flügelhorn bei den Egerländern, wo man eher locker sein muss? Und zwischen c³ und tiefem d braucht man eine große Wohlfühlrange… Da merke ich meist schon beim Einspielen, wie es läuft, und dann habe ich eben meine Übungen, dort hin zu kommen.

Vielmehr aber ist diese Umstellung eine psychische Sache. Flexibilität findet im Kopf statt. Ich brauche die Vorstellung, wie ich gerade klingen will. Wenn ich ein Swing-Stück »oldschool« spielen will, muss ich wissen, wie mein Lead-Trompeten-Sound sein muss. Ich mache das ganz gerne an Personen fest.

Soll es wie Count Basie klingen? Dann höre ich Snooky Young. Soll es nach Latin klingen? Dann eher Arturo Sandoval. Jazz-Flügelhorn? Dann sehe ich Ack van Rooyen vor mir. Polkas? Georg Ernszt, der legendäre 1. Flügelhornist der Egerländer, hat unglaublich energiegeladen gespielt. Freek Mestrini hat viel weicher gespielt. Man schafft sich da gewisse Stereotypen und das ist wirklich Kopfsache. Ich lege ja keinen Schalter um. Ich gestalte. Da fängt das Musikmachen erst an.

Heute Gregor Meyle, morgen Ernst Hutter – das wäre kein Problem?

Das geht schon. Dinge, die mich an die Grenzen meiner Fähigkeiten treiben, Soloprogramme etwa mit schwierigen Stücken, die also in sich eine gewisse Flexibilität brauchen, würde ich nicht direkt nach einer Bigband-Session machen.

Sind diese "außerordentlichen" Gigs dann das, was besonders herausfordernd ist?

Schon, ja. Ich war an einem Punkt, an dem ich gemerkt habe, dass ich es mir mit meinen Terminen bequem machen könnte. "Sing meinen Song" findet wieder statt, Gregor Meyle geht auf Tour, die Egerländer haben ihre Konzerte fixiert. Mein Jahr war voll mit richtig guten Projekten. Ich könnte mich halbwegs in Form halten und das so durchziehen.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Die Konzerte mit den Egerländern und auch Gregor Meyle sind immer wieder geil. Das ist genau das, was ich immer machen wollte. Und trotzdem darf man nicht träge werden. Mir hat ein Projekt gefehlt, das mich persönlich wieder richtig fordert. Ich suche mir Dinge, die mich selbst fordern und nach vorne bringen.

Stichwort "Woodstock der Blasmusik".

Das gehört auch dazu, ja. Klar, wir spielen dort auch mit den Egerländern, aber an zwei Abenden passiert etwas völlig Neues. Am Sonntag spiele ich ein Feature-Programm mit "da Blechhauf´n" in der "Tanzl & Gstanzl Stubm". Ein paar Blechbläser auf einem Haufen – das wird saugut, ein richtiges Brassfeuerwerk.

An einem anderen Tag mit den "Yamaha Allstars": eine Hammerband, mit der ich dann den jazz-pop-souligen Ansatz zeigen kann. Mit dabei sind Kollegen von den "heavytones" – Thorsten Skringer etwa – und der "Sing-meinen-Song"-Band. Da kann ich mich austoben und das ist eine schöne Abwechslung.

Als "Woodmaster" treten Sie die Nachfolge von Thomas Gansch an.

Keine kleinen Fußstapfen (lacht). Aber die Veranstalter haben eben wieder jemanden gesucht, der die verschiedenen Facetten der Blasmusik verkörpert – so wie das Festival insgesamt auch die unterschiedlichsten Aspekte darstellt. Ich bin mit vier unterschiedlichen Ensembles auf der Bühne. Neben den erwähnten noch mit der "Kleinen Besetzung" der Egerländer. Das wird auch spannend, denn beim Woodstock gilt’s! Übrigens: Im März nehmen wir unsere erste Platte auf.

Ende März gehen Sie auch auf Workshop-Tour. Worum wird es dort gehen?

Ein Workshop hat ja sowieso nie den Anspruch auf Vollständigkeit. Aber in den drei Stunden möchte ich den Musikern auch ein wenig diese Flexibilität nahebringen. Wie springe ich zwischen den Stilen hin und her? Es geht dabei wieder um das Zuhören – sich selbst und anderen. Wenn ich das beherrsche, kann ich schon viel selbst "therapieren", dann weiß ich, was ich tun muss, um die "richtigen" Dinge zu tun.

Wenn man eine Übung spielt, sollte man auch wissen, warum man sie spielt. Es bringt ja nichts, wenn ich eine Handvoll Übungen immer wieder spiele, aber gar nicht weiß, wozu sie gut sind. Ich war schon immer eher ein fauler Mensch, der lieber ergebnisorientiert gelernt und geübt hat. Effizient sagt man heute. (lacht) Man sollte Etüden nicht wegen der Etüden spielen, sondern diese musikalisch auffassen und in sich hineinhören. Da kann man eine Menge rausholen.

Das ist eine reine Aufmerksamkeitsfrage. Man kennt das doch: Man macht Dinge so nebenbei, schweift ab und spielt stumpf seine Noten… Diese Art zu Üben bringt der Musik überhaupt nichts. Ab wann fängt Musikmachen an? Wenn es über das reine Beherrschen der Töne hinausgeht. Und zum Inhalt der Workshops kann man ganz kurz sagen: Es geht um Musik. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.