Brass | Von Klaus Härtel

Tubist Daniel Ridder über Handwerk, Fleiß und Vorurteile

Adams
Foto: Adams Musical Instruments

Schon lange ist die Tuba nicht mehr bloß das Klangteppich legende Hinterbänkler-Instrument. Sie drängt ins Scheinwerferlicht. Einer dieser Protagonisten ist der geborene Sauerländer Daniel Ridder, Solo-Tubist beim Musikkorps der Bundeswehr. Dirigent und Komponist Sven Hellinghausen sowie Chefredakteur Klaus Härtel „trafen“ den Vollblutmusiker via Zoom.

Klaus Härtel: Daniel, bevor du Musiker wurdest, hast du eine Schreiner­lehre angefangen. Und während dieser Lehre bist du dann zur Tuba gekommen. Was ist da passiert?

Ich habe im elterlichen Betrieb meine Schreinerlehre gemacht. Und dadurch, dass ich zu Hause war, konnte ich meine Mittagspause ganz gut ausdehnen. Ich bin einfach ein paar Minuten früher zum Mittagessen gegangen. Dadurch hatte ich zehn Minuten länger Zeit zum Proben. Ich habe jeden Mittag von zwölf bis eins geübt, weil ich mich gegen Ende der Lehrzeit 2001 auf das Vorspiel beim Musikkorps der Bundeswehr vorbereitet habe. Damals habe ich noch Bassposaune gespielt. Zur Tuba kam ich, weil im örtlichen Musikverein eine Tuba fehlte – im Probensaal aber ein Instrument herumstand. Da dachte ich mir: Das probierst du mal aus. Die B-Tuba klang gleich noch viel schöner – breiter, sonorer und etwas runder. Und nach unten gibt es wenig Grenzen. Nach Feierabend habe ich gleich weiter geübt. Und abends war bei irgend­einem Musikverein Probe. Neben der Schreinerlehre war nicht viel Zeit außerhalb der Musik. Direkt nach meiner Lehre bin ich dann zur Bundeswehr ein­ge­zogen worden und habe den Hobel aus der Hand gelegt. 

Härtel: Haben schreinern und Tuba spielen eigentlich irgendetwas gemeinsam?

Gute Frage… Man muss als Schreiner sehr genau arbeiten, damit die Teile zusammenpassen. Auch ein Ton muss sauber klingen, damit eine Phrase ordentlich ausgespielt wird. Man kann das schon vergleichen. Aber Tuba spielen ist definitiv der sauberere Job. 

Sven Hellinghausen: Apropos Handwerk. Sollte man als Tubist Kenntnisse über die Beschaffenheit der Tuba? 

Gewisse physikalische Elemente sind schon wichtig. Wie verhält sich ein Mensur-Verlauf? Bei der kleineren F- oder Es-Tuba ist der Mensur-Verlauf von Mundrohr bis Schallbecher natürlich viel kleiner als bei einer Kontrabasstuba. Man sollte sich schon mit verschiedenen Bohrungen oder mit verschiedenen Ventilkombinationen ein bisschen auskennen. Eine F-Tuba mit fünf oder sechs Ventilen hat ganz andere Möglichkeiten. Diese sollte man auch als Musikvereinstubist kennen und auch ausschöpfen. Ich habe schon Situationen erlebt, in denen sich Tubisten kaputtgelacht haben und fragten, wofür er denn das fünfte oder sechste Ventil an der F-Tuba bräuchte. Er wüsste ja gar nicht, wohin mit seiner linken Hand. 

Hellinghausen: Du hast zahlreiche Tuben zu Hause. Worin unterscheiden sich denn die Instrumente? Ist nicht eigentlich Tuba gleich Tuba?

Klar – Tuba ist Tuba. (lacht) Natürlich nicht! Die Tuba ist erst in den 1830er Jahren erfunden worden. Damals hatte man noch gar nicht die handwerklichen Möglichkeiten, etwa eine große Kaisertuba zu bauen. Die Instrumente waren alle kleiner und enger mensuriert. Man musste mit simplen Ventilarten auskommen, die Schall­becher waren recht klein, ebenso die Mensur-Verläufe. Die Mundrohre waren früher ziemlich zylindrisch. Im Laufe der Zeit hat sich in Grasslitz und in Königgrätz im Tubabau sehr viel getan. Červený etwa hat um 1845 die erste Kontrabasstuba in B gebaut. Die ersten Ventile waren Pumpventile, dann kamen Drehventile dazu. Diese wurden dann um 90 Grad gedreht und Walzenventile genannt. Schließlich wurden noch die Périnetventile entwickelt. Und so hat man eben experimentiert. Die Schallbecher wurden größer, die Korpusse ebenso, die F-Tuben wurden breiter und auch die Komponisten haben sich dafür interessiert. Richard Wagner etwa ist nach Tschechien gereist und hat sich Instrumente angeschaut, die er dann in seinen Opern ver­wendet hat. Es entstanden die Wagnertuba, die Tristantrompete usw. Die alten französischen Instrumente wie Ophikleide und Serpent wurden ersetzt. Die Instrumente wurden größer und vor allem klangen sie mächtiger. 

Daniel Ridder mit seiner Tuba-Sammlung (Foto: Sonja Ridder)
Härtel: Ist das das Faszinierende an der Tuba, dass sie so mächtig klingt?

Der Klang ist für mich absolut entscheidend. Historische Instrumente klingen etwas schlanker, etwas präziser. Mit der Zeit wurde der Klang breiter und auch die Orchester wurden größer. Weil die Bassposaune hinzukam, mussten auch andere Instrumente größer und tragfähiger werden. Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ ist doch auf einer dreiventiligen B-Tuba gar nicht zu machen. Da muss man mit den Bässen ein unheimliches Fundament schaffen. 

Hellinghausen: Du bist erster Solo-Tubist beim Musikkorps der Bundeswehr und machst daneben noch unglaublich viel. Hast du so viel Freiraum, dass du das auch nutzen kannst? Dich als Solist, Dozent und Arrangeur zu betätigen?

Mein Chef ist in dieser Hinsicht sehr offen. Und letztlich sind Workshops auch Weiterbildung für mich. Ich höre den Leuten natürlich auch zu. Die Brasilianer etwa haben einen ganz anderen Stil als die Italiener. Die Amerikaner spielen wie­derum anders als Asiaten…

Härtel: Passiert denn momentan überhaupt etwas beim Musikkorps?

Es ist sehr wenig los. Wir mussten leider zweimal die Elbphilharmonie absagen. Im Sommer ist zudem das Wacken-Open-Air ausgefallen. Das wäre nach 2015 unser zweiter Termin dort gewesen. Wir wollten unser neues Album mit U.D.O. präsentieren. Wir konnten allerdings mit Kleinbesetzungen sehr viel machen und hatten verschiedene Anfragen. So sind zum Beispiel Aufnahmen für die evangelische Militärseel­sorge für unsere Kameraden im Ausland entstanden. Wir haben ein paar Weihnachtslieder eingespielt, die auf einer Website veröffentlicht wurden als kleiner Gruß.

Härtel: Ist es wichtig, am Ball zu bleiben?

Man darf den Kontakt zum Instrument nicht verlieren. Wir haben im Musikkorps einmal in der Woche Repertoireproben veranstaltet, auch damit wir den Kontakt untereinander halten. Für mich als Profi gibt es eigentlich nie die Frage, dass ich mich motivieren muss. Es ist eher ­immer nur die Frage, wann ich wieder aus dem Keller komme. Ich mache viel Sport und gehe viel Laufen, um mich dann auch einfach mal abzulenken in dieser Zeit. 

Als Musikvereinstubist ist es vermutlich schon schwerer. Man arbeitet täglich in seinem Beruf, kommt abends nach Hause und freut sich, zur Probe zu gehen, die Kollegen zu treffen und ­Musik zu machen. Anschließend will man in geselliger Runde noch ein Bier trinken. Wenn das alles nicht stattfinden darf, ist es schon sehr schwer. Aber auch da gibt es Möglichkeiten! Das Internet und die sozialen Medien sind voll von schönen Dingen, die man sich anhören kann. Es gibt die Möglichkeit, mit Play-Along-Heften zu spielen. Wir haben zum Beispiel die Armeemärsche eingespielt, die Reitermärsche, die Kavalleriemärsche, die Präsentiermärsche und jetzt auch die normalen Parademärsche. Da habe ich viele Anfragen bekommen, wo man die CD herbekäme, denn da könne man sich zu Hause hinsetzen und mitspielen. Es gibt durchaus Dinge, mit denen man sich motivieren kann.

Hellinghausen: Dir als Tubist bietet sich ein breites Spannungsfeld: Wagner einerseits, Musikverein andererseits. Du bist einer der besten Solo-Tubisten europaweit, aber auch der Volksmusiktubist, der immer auf den Wink der eins spielt. Siehst du dich als jemand, der der Öffentlichkeit die Tuba auch anders präsentieren möchte?

Ich produziere relativ viele Videos für die sozialen Netzwerke und für meinen YouTube-Kanal. Und das nicht nur, um mich selbst zu präsentieren – ich möchte, dass sich die Tuba breit aufstellt. Es gibt wahnsinnig tolle Leute wie etwa Andreas Hofmeir oder Siegfried Jung. Es gibt hunderte Möglichkeiten! Da sollte man schon ­alles mal ausprobieren. Für dieses Jahr sponsert mir die Firma Adams in Holland eine Solo-CD! Dort soll die gesamte Bandbreite der solistischen Tuba zu hören sein. 

Hellinghausen: Ist die schon im Kasten? 

Nein, noch nicht ganz. Die Stücke sind fast alle geschrieben. Eines stammt zum Beispiel von Magnus Hylander, ein Stück für Holzbläser­quintett und Solo-Tuba. Und der amerikanische Komponist Michael Forbes hat das „Alpine Concerto“ für einen Wettbewerb in Genf komponiert. Dazu kommt noch etwas Klassisches mit Tuba und Klavier. Ein Kollege aus dem Musikkorps wird auch noch ein Stück schreiben, das dann natürlich auch mit dem Musikkorps eingespielt wird. 

Härtel: Die Literatur für die Tuba ist mittlerweile sehr vielfältig. Gibt es denn so etwas wie ein Lieblingswerk für dich? Ein Werk, was die Tuba am besten charakterisiert?

Lieblingsstück ist schwierig, denn es wird für so viele unterschiedliche Genres geschrieben, auch für die Tuba mittlerweile. Natürlich ist das „Konzert in f-Moll“ für Tuba und Orchester des britischen Komponisten Ralph Vaughan Williams das Tuba-Konzert überhaupt. Technik, hohe und ­tiefe, schnelle und langsame Passagen – der zweite Satz ist unheimlich lyrisch und du musst extreme Kontrolle in der Luftführung haben. Ich persönlich mag die Barockmusik sehr gerne. Ich schaue, was da im Cellobereich möglich ist. Da gibt es schöne Sachen, die man ausprobieren sollte, auch als Tubist.

Härtel: Worin liegt für dich als Tubist die besondere Herausforderung, wenn du ein Stück aufführst? 

Ich denke mir immer: Hoffentlich habe ich genug Ansatz, um durch die Nummer durchzukommen. (lacht) Nein, natürlich nicht. Für mich ist
es immer wichtig, dass die lyrische Seite, der obertonreiche Klang der Tuba zur Geltung kommt. Zu zeigen, wie hoch und tief und wahnsinnig virtuos man spielen kann. Es kommt nicht darauf an, dass man mal einen Kiekser spielt, sondern das Gesamtbild vom ersten bis zum letzten Ton sollte in einem großen Spannungs­bogen aufgebaut sein, um das Instrument glänzen zu lassen. 

Hellinghausen: Ich habe in der Kritik mal gelesen, dass du deine Tuba hast tanzen lassen. Was hast du denn da gemacht?

Es ist mir wichtig, schöne und schnelle Passagen einfach in einem Guss zu spielen. Ich komme als Solist auf die Bühne, setze mich hin, atme ein und verschmelze ganz mit der Musik. Ich denke dabei auch nichts Großes. In dem Moment bin ich auf das Stück konzentriert. Ich freue mich, wenn es Orchesterpassagen gibt, weil ich auch sehr gerne höre, was die Kollegen spielen. 

Härtel: Apropos tanzen. Welche körperlichen Herausforderungen muss ein Tubist denn meistern? Braucht er mehr Luft? Mehr Kraft? 

Früher im Musikverein hieß es: „Du bist ein großer Kerl mit dicken Lippen, du kannst Tuba spielen! Und mit kleinen Lippen spielst du Trom­pete.“ Aber im Ernst: Man sollte vielleicht nicht nur eine halbe Lunge haben, das würde für die Tuba schon schwierig werden. Aber grundsätzlich gibt es keine konkreten Voraussetzungen. Das muss jeder für sich selbst herausfinden. Es gilt nicht: Du bist 1,76 groß, da geht nur F-Tuba. 

Hellinghausen: Aber der Schlüssel ist ein ­guter Lehrer, oder?

Das steht absolut an erster Stelle! Es ist wichtig, den bestmöglich erreichbaren Lehrer zu organisieren. Wenn man im ländlichen Bereich wohnt, muss man eventuell ein bisschen fahren, um ­guten Unterricht zu bekommen. Aber wenn man es ernst meint und es gerne macht, sollte das machbar sein. 

Daniel Ridder
Das Interview fand via Zoom statt.
Hellinghausen: Wie fleißig muss man sein, um nicht auf der Strecke zu bleiben?

Wenn man eine neue Tuba kauft, dann sind Fleiß und Ansatz automatisch auf dem Instrument dabei. Da braucht man nichts mehr machen. (lacht) Natürlich muss man sich jeden Tag mit dem In­stru­ment beschäftigen. Wenn man arbeitet und einen Acht-Stunden-Tag hinter sich hat, ist es nicht immer einfach, sich noch zum Spielen zu motivieren. Aber wenn man das gut und gerne macht, sollte man sich das einrichten. Ein fester Ablauf ist dabei hilfreich. Von sieben bis halb acht üben, dann Tagesschau – und dann war’s das.

Hellinghausen: Wie viel übst du als Profi jeden Tag?

So zwischen zwei und vier Stunden. Und den Rest des Tages beschäftigt man sich ja auch mit Musik. Man hört viel, man liest viel, aktuell beschäftige ich mich mit historischen Instrumenten. 

Härtel: Übst du eher Basics oder Repertoire? In welchem Verhältnis steht das zueinander?

Im Studium oder als Berufsmusiker sollte man schon das üben, was man als nächstes braucht. Aber grundsätzlich suche ich mir immer vier Themen heraus. Anstoß, Kondition, Klang und Ausdauer bzw. Flexibilität – das sind die vier Säulen, die auch Laienmusiker trainieren sollten. Achtelnoten auf Tonleiter mit Metronom, Naturton­bindungen, klangliche Übungen, ein paar Luftübungen, Kondition und Ausdauer. Wenn man nach einer halben Stunde platt ist, dann kann man vorher noch so schön gespielt haben – aber das ist dann leider nicht ausreichend. Ich gebe auch meinen Schülern weiter, dass sie ihre täg­lichen Übungen machen und dann auch repertoirebezogen üben.

Härtel: „Und der Huber bläst die Tuba“. Welche Klischees und Vorurteile kennst du als Tubist?

Viele denken, dass die Deutschen in Lederhosen herumlaufen und ihre Halbe trinken. Wenngleich es das natürlich auch gibt und für das Volksfest auf dem Dorf auch völlig in Ordnung ist, sollte man schon ein bisschen weiter schauen und versuchen, dem Vorurteil entgegenzuwirken. 

Leider ist man als Militärmusiker oft „nur“ Blasmusiker und hat im Sinfonieorchester einen schweren Stand. Selten wird man zu Probe­spielen oder als Orchesteraushilfe eingeladen. Es heißt auch immer, Opern seien für Militär­musiker ganz schwierig – denn das haben wir noch nicht gemacht… Das ist das Vorurteil, das ich selbst immer wieder höre. Wenn die Kollegen im Sinfonieorchester aber dann mal gehört haben, wie man selbst spielt, ist dieses Vorurteil auf einmal nichts mehr wert. Schließlich haben wir alle in Düsseldorf an der Robert-Schumann-Hochschule studiert. Wir haben den gleichen musikalischen Abschluss wie etwa der Solotrompeter beim WDR in Köln. Nur: Wir machen sinfonische Blasmusik und eben nicht Sinfonieorchester. Und solch großartige Literatur, die es für uns gibt, muss erst mal jemand spielen aus dem Sinfonieorchester. Das musst du kräfte­mäßig und klanglich erst mal durchhalten. Da nimmst du eine Puccini-Oper zum Einspielen! (lacht)

Tubist

Daniel Ridder 

wurde 1982 in Olpe geboren. Im Alter von 15 Jahren erlernte er in der sauerländischen Heimat das Posaunespielen. Während seiner Schreinerlehre wechselte er zur Tuba und wurde anschließend Wehrpflichtiger im Musikkorps der Bundeswehr in Siegburg. Neben seiner Haupttätigkeit als Solo-Tubist im Musikkorps der Bundeswehr (seit 2007) ist Daniel Ridder regelmäßig im Rahmen von Aushilfstätigkeiten bei diversen namhaften Orchestern engagiert. 2014 wurde Daniel Ridder vom Richard-Wagner-Verband als Stipendiat zu den Bayreuther Festspielen berufen. In seiner Freizeit leitet er Workshops für tiefes Blech. Daniel Ridder ist Dirigent des Musikvereins Scheuerfeld 1890 und des Siegener Blasorchesters.