Herzlich willkommen zur neuen Serie „Üben üben!“ bei der in jeder BRAWOO-Ausgabe ein Satz zur Gestaltung bzw. Planung des Übens im Mittelpunkt steht. Die Artikel sind nach Barbara Mintos „Pyramiden-Prinzip“ gestaltet: zuerst der Grundgedanke, dann nähere Erläuterungen dazu. Das hat nebenbei auch den Vorteil, dass Sie, liebe Leser, selbst bei schnellem Durchblättern die Kernaussage wahrnehmen.
Das nebenstehende, durch den Einschub des Adjektivs „akustische“ geänderte Zitat, soll Ihre Aufmerksamkeit auf die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Video- oder Tonaufnahmen für zielgerichtetes Üben deutlich machen. Denn heute legt uns die technologische Welt etwas zu Füßen, wonach sich früher professionelle Kamera- und Tonleute alle zehn Finger geleckt hätten: unser Smartphone. Stellen Sie es einfach vor sich, vielleicht sogar mit einem preisgünstigen flexiblen dreibeinigen Stativ, schauen Sie, dass Sie im Bild sind und drücken Sie auf den Aufnahmeknopf.
Die Aufnahme serviert Ihnen alle guten Klänge und eventuell noch vorhandene Schwachstellen auf einem Silbertablett und Sie können sich sofort in einen feuilletonerfahrenen Musikkritiker verwandeln, der das Ganze als aufmerksamer und kritischer Zuhörer „von Außen“ wahrnimmt.
Die Wahrnehmung spielt oft Streiche
Denn Ihre Wahrnehmung im Moment des Spielens spielt Ihnen oft Streiche: Abschnitte, wo sie dachten es würde schräg klingen, stellen sich als ganz passabel oder sogar gut heraus, genauso wie das eben auch umgekehrt der Fall sein kann.
Ähnlich einer guten Köchin, die kein Gericht hinausschickt, ohne es vorher gekostet und abgeschmeckt zu haben, sollten wir unser Spiel durchaus mehrmals in diesem akustischen Spiegel betrachten, bevor wir den Schritt auf die Bühne wagen.
Sehr erhellend ist oft, wenn wir einen zeitlichen und emotionalen Abstand zu einer Aufnahme haben und sie erst einige Tage später anhören. Das kann zu neuen Erkenntnissen führen und unter Umständen sogar unser Selbstwertgefühl heben.
Musik ist eine sehr persönliche Beschäftigung mit uns selbst
Musik ist schließlich auch eine sehr persönliche Beschäftigung mit uns selbst. Zu wissen, wie man klingt und eine Vorstellung zu entwickeln, wie man klingen will, ist ein wichtiger Schritt in unserer musikalischen Entwicklung. Und regelmäßiges Aufnehmen stellt ein mächtiges Werkzeug dafür da.
Eine solche Aufnahme bringt neben gut gelungen Passagen auch zum Beispiel heikle Übergänge, knifflige Rhythmen, klangliche Ungenauigkeiten sowie ein noch zu verbesserndes Ausschöpfen des musikalischen Spektrums zutage. Im Schutz des Übezimmers können wir durch die Aufnahme unser Spiel unter die akustische Lupe nehmen, auf Herz und Nieren prüfen und dann verbessern.
Betrachten wir diese vielfältigen technischen Aufnahmemöglichkeiten ruhig als unser „Helferlein“, das dem Ingenieur Daniel Düsentrieb in den Disney-Comics des Zeichners Carl Barks immer treu zur Seite stand und dem ungestümen Erfinder oft aus der Patsche half. Und erinnern wir uns an ein wiederum leicht abgewandeltes Zitat des Komponisten George Bizet, dessen Oper Carmen zu einem der größten Erfolge der Operngeschichte wurde: „Die zuverlässigsten Freunde sind die [akustischen] Spiegel. Sie sehen alles und reden nicht darüber.“
Der Autor Jürgen K. Groh ist Master of Arts, Dirigent, Moderator und Vizepräsident der WASBE Sektion Deutschland. Er ist unter der E-Mail Adresse juergenkgroh@brawoo.de zu erreichen.