D-Dur klingt glanzvoll, E-Dur heroisch, Es-Dur feierlich, F-Dur idyllisch. Seit Jahrtausenden verbinden Musikverständige mit bestimmten Tonarten bestimmte Ausdrucks-Charaktere. Dabei gibt es seit der Einführung der gleichschwebenden Stimmung dafür eigentlich keinen Anlass mehr. Oder doch?
Die Eigenschaften einzelner Tonarten bei Platon
Schon der griechische Philosoph Platon (um 400 v. Chr.) hat einzelnen Tonarten einen bestimmten Charakter zugewiesen. Dorisch erschien ihm kämpferisch und standhaft, phrygisch empfand er als besonnen und friedlich. Dagegen beschrieb er die lydische, mixolydische und ionische Tonart als klagend und weichlich.
Dabei ist zu beachten: Diese altgriechischen Tonarten (Modi) unterschieden sich nicht nur im Grundton, sondern auch im Aufbau der Skala – sie waren tatsächlich wie verschiedene »Tongeschlechter«. Man nennt sie daher auch die sieben bzw. acht »Oktavgattungen« in der altgriechischen Musik.
Grob vereinfacht gesagt entsprach die dorische Skala einem e-Moll mit verminderter 2. Stufe (f), die phrygische einem d-Moll mit erhöhter 6. Stufe (h) und die lydische einem C-Dur. Dass diese verschieden gebauten Skalen einen jeweils eigenen »Ausdruck« besitzen, lässt sich leicht an einem Klavier demonstrieren.
Ob sie nun aber »kämpferisch« oder »weichlich« wirken, hängt doch sehr vom persönlichen Geschmack und der kulturellen Prägung des Hörers ab, natürlich auch vom Charakter und Tempo des Musikstücks. Spuren dieser altgriechischen »Oktavgattungen« lassen sich übrigens noch heute in der griechischen Volks- und Popmusik finden.
Die Eigenschaften der Kirchentonarten im Mittelalter
Von den altgriechischen Modi abgeleitet, aber nicht mit ihnen identisch, waren die Kirchentonarten des Mittelalters. Wieder grob vereinfacht gesagt, wurde das altgriechische Dorisch zum mittelalterlichen Phrygisch – und umgekehrt.
In Anlehnung an Platon hat man dem Ausdruck der vier wichtigsten Kirchentonarten die vier Temperamente zugeordnet. Was Platon »kämpferisch« nannte, hieß nun »cholerisch«. Was Platon »friedlich« nannte, hieß nun »phlegmatisch«.
Die Kirche, die gerne alles regelte, wies den verschiedenen Modi auch klare Funktionen im Gottesdienst zu. Das als heiter (»sanguinisch«) geltende Lydisch zum Beispiel, das in etwa F-Dur entspricht, wurde zur Tonart der Marienverehrung.