Musik als Motivation? Immer häufiger sieht man Leistungssportlerinnen und -sportler, die sich vor dem Wettbewerb mit ihrer Lieblingsmusik motivieren. Die Sprintweltmeisterin Allyson Felix bevorzugt dafür den Song “Diva” von Beyoncé: “Als Sprinterin musst du richtig Gas geben können. Mit diesem Song kann ich mich fokussieren und loslegen.”
Es gibt viele Berichte darüber, wie Musik unser Leistungs- und Konzentrationsvermögen steigert, wie sie unsere Zukunftshoffnung und unseren Überlebenswillen stärkt, wie sie uns hilft, Ablenkungen, Hindernisse, negative Gedanken und Schmerzen auszublenden. Auch historische Zeugnisse aus Konzentrationslagern des NS-Regimes scheinen solche Wirkungen von Musik zu bestätigen. Angesichts von Tod, Gewalt und Erniedrigung gab Musik vielen KZ-Insassen noch einen Rest Lebensmut, Widerstandskraft und Zuversicht. Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki (1920 bis 2013), der von 1940 bis 1943 im Warschauer Getto leben musste, erzählt, dass auch dort in zahlreichen Hinterhöfen musiziert wurde. Er nennt es eine geradezu banale Wahrheit, “dass die Musik auf viele Menschen in Grenzsituationen unmittelbarer wirkt als das gesprochene Wort, dass sie stärker Gefühle zu wecken und die Fantasie anzuregen vermag”.
Musik als ein lebenswichtiger Halt
Für die Afroamerikaner in der Zeit der Sklaverei war die Musik ebenfalls ein lebenswichtiger Halt. Selbst Gegner der Sklaverei beschrieben die schwarzen Arbeiter im Süden als scheinbar glückliche Menschen, die überm Singen und Stampfen der Worksongs die Schwere ihrer Situation vergessen konnten. Die Musik war ihr Weg, sich der eigenen Stärke zu versichern und den Tag zu überstehen. Als um 1840 die ersten afroamerikanischen Kirchengemeinden erlaubt wurden, entwickelten sich die Gospelgesänge zur Motivations-Therapie.
Wenn in den Liedern vom Gelobten Land die Rede war, dachten die Sklaven an ihr eigenes Schicksal und die Aussicht auf Freiheit. “Wir meinten damit, den Norden des Landes zu erreichen, das war unser Kanaan”, sagte der noch als Sklave geborene Frederick Douglass. Ein Beobachter berichtete: “Diese Gesänge wurden immer lauter, immer hingebungsvoller – und oh! Was für eine Musik! Was für eine Hingabe! Tränenüberströmte Gesichter, laut schlagende Herzen… Es schien, als hebe sich das Dach von den Wänden und als würden einige emporgehoben, erhoben, sowohl ihr Geist als auch ihr Körper.” Kein Wunder, dass nach dem Ende der Sklaverei die Intensität der afroamerikanischen Musik die ganze Welt erobern sollte.
Songs, die Mut machen
Motivation durch Musik – das funktioniert auch im Alltag. Der Neuropsychologe Dr. Stefan Kölsch schreibt: “Positiv klingende Musik macht unsere Gedanken optimistischer und realistischer. Um morgens eine positive Stimmung für den Tag zu fördern, ist es ratsam, positive Musik zu hören. Mit Musik können wir unsere bewussten und unbewussten Gedanken und Stimmungen positiv beeinflussen.” Richtig ausgewählt, kann Musik ein emotionales Aufputschmittel sein – eines, das nicht über Drogenchemie und Blutkreislauf wirkt, sondern direkt vom Innenohr ins Antriebszentrum des Gehirns springt, über eine einzige neurologische Schaltstelle. Der Ratschlag von Dr. Kölsch lautet: “Finden Sie Ihre persönlichen Mut-Songs, also Musikstücke, die Ihnen Mut machen und Sie motivieren, aktiv zu werden. Haben Sie diese ‘Mut-Songs’ stets parat, etwa auf Ihrem Smartphone, Laptop oder nahe der Stereoanlage. Legen Sie sie auf, wenn Sie sich lustlos oder entmutigt fühlen. Nutzen Sie dies bei Motivationsmangel oder bei Antriebsschwäche.”
So viel steht fest: Musik verändert unseren seelischen Zustand. Sie kann uns beruhigen, wenn wir nervös sind – aber sie kann uns eben auch wach, leistungsfähig und widerstandskräftig machen. Wichtig ist dabei, dass wir uns auf die richtige Musik fokussieren – dann hilft sie uns, Mut und Zuversicht zu entwickeln. Der Zauberstoff dabei heißt Dopamin. Dieses Hormon, das bei angenehm empfundener Musik ausgeschüttet wird, stimuliert den Nucleus accumbens, eine Gehirnregion, die wir auch mit Drogen, Sex oder Schokolade “kitzeln”. (Dennoch hat Dopamin nichts mit “Dope” oder “Doping” zu tun. Das Wort ist abgeleitet von DOPA, der Abkürzung für Dihydroxyphenylalanin.) Im Extremfall können wir uns mit Musik sogar in eine rauschhafte Ekstase hineinsteigern. Beispiele dafür sind Kriegsmusiken, Nationalhymnen, fromme Gesänge, aber auch wilde Rock- oder Jazzklänge. “Improvisation bedeutet, sich auf magische Art in einen Zustand der Trance zu versetzen”, sagte der Freejazz-Pianist Cecil Taylor.
Tönender Sport
Schamanen, Sufi-Mönche oder “Voodoo”-Gläubige können sich mit rhythmischer Musik in einen ekstatischen Bewusstseinszustand “hineintanzen”. Diese “Technik” beeindruckte auch Dr. Tom Fritz, als er einst für ein musikethnologisches Projekt beim Volk der Mafa in Kamerun weilte. “Ich stellte fest, dass die Mafa über archaische Methoden verfügen, um durch eine Kombination von Musik und körperlicher Verausgabung Zustände zu erreichen, die wir als musikalische Trance oder Ekstase klassifizieren würden.” Am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften (Leipzig) entwickelte Dr. Fritz daraufhin “musikalische” Fitnessgeräte. Wer an ihnen trainiert, wird nicht nur mit Musik angespornt, sondern erzeugt diese Musik beim Trainieren selbst. Die Zugstangen, Stepper und anderen Trainingsgeräte sind über ein Sensorsystem mit einer Kompositionssoftware verbunden. Die Methode heißt “Jymmin” – ein Kunstwort aus “Gym” und “Jam”.
Das Team um Dr. Fritz fand heraus, dass das Fitnesstraining durch die Verbindung mit der eigenen musikalischen Kreativität als “etwa halb so anstrengend” empfunden wurde: “Die Teilnehmer erleben eine gehobene Stimmung, die länger anhält, und sind weniger schmerzempfindlich.” Offenbar erhöht der musikalische Effekt bei den Trainierenden die Ausschüttung von Endorphinen, also körpereigenen Opiaten, die die Schmerzwahrnehmung dämpfen. Dies erlaubt es Sportlerinnen und Sportlern, ihre “Schmerzgrenze” weiter hinauszuschieben und bessere Leistungen zu erbringen. Die verringerte Angst vor Schmerzen steigert zudem die Leistungsmotivation.
Musiktherapie bei neurologischen Krankheitsbildern
Nicht nur bei Spitzensportlerinnen und -sportlern kommt das Jymmin zum Einsatz, auch als Musiktherapie bei diversen neurologischen Krankheitsbildern. Dr. Fritz sagt: “Wir haben festgestellt, dass Menschen, die nach einem Schlaganfall mit Jymmin trainieren, bereits nach zwei Wochen eine viel bessere motorische Leistung zeigen als bei herkömmlichem Training. Selbst Alzheimer- und Wachkoma-Patienten reagieren auf einem ganz instinktiven Niveau auf Jymmin.” Trauma-Folgen und Lernstörungen werden ebenfalls mit Jymmin “behandelt”.
Wie Forschungen zeigen, wird die euphorisierende Wirkung von Musik durch dreierlei begünstigt: die variierende Wiederholung, einen betonten Rhythmus und eine relativ konstante Tonhöhe. Es muss aber nicht der rhythmische Donner von Voodoo-Trommeln oder einer Techno-Rave-Party sein. Auch der federnde Puls eines Johann Sebastian Bach oder der treibende Schwung von Beethovens 7. Sinfonie können starke psychogene Kräfte besitzen. Grundsätzlich scheint sich jede Art von Musik, die wir als angenehm, aufbauend, ermutigend, positiv empfinden, als Motivationshilfe zu eignen. Der Golfprofi Bryson DeChambeau sagt: “Musik ist für mein Training und meine Leistungen sehr wichtig, denn sie hilft mir, an meine Grenzen zu gehen. Mit Musik bin ich voll und ganz motiviert. Der Sportler oder die Sportlerin kann die Musik als Mittel nutzen, um das Tier in sich zu wecken. Das motiviert und hilft, Höchstleistungen abzurufen. Ohne Musik verliere ich leicht die Konzentration.”
Motivation für Musizierende
Wer Musik macht, wirkt motivierend. Eine moralische Anerkennung lässt sich daraus aber nicht ableiten, denn jede Motivation lässt sich auch in den Dienst düsterer Zwecke stellen. Aber wie ist es mit den Musikerinnen und Musikern selbst? Brauchen auch sie Motivation? Im Grunde nicht, denn das Musizieren bringt die Belohnung und das Glücksgefühl ja schon mit sich, wie Neurologen nachweisen können. Es gibt in der Tat kaum etwas Schöneres und Befriedigenderes, als mit Kolleginnen und Kollegen gemeinsam Musik zu machen – vielleicht sogar vor echtem Publikum! Nur fürs Üben am Instrument im stillen Kämmerlein würde hin und wieder etwas Motivation nicht schaden.
Die beste Motivation beim Üben aber heißt: erfolgreich üben – und das erreicht man durch Fokussierung und Zielvorgaben. Der Posaunenprofessor Tom Gibson sagt: “Wenn wir auf das konzentriert sind, was wir tun, und uns sehr bemühen, ein klar definiertes Ziel zu erreichen, ist Üben nie langweilig. Nur wer ohne Ziel übt, langweilt sich. Er ist nicht richtig bei der Sache. Für diejenigen, die sich bemühen und ihre Energie kanalisieren, ist die Belohnung groß. Diese Philosophie gilt überall.”