Brass | Von Kristin Thielemann

Übetipps von Reinhold Friedrich

Reinhold Friedrich
Foto: Cyrus Photography

Übetipps können interessant sein, wenn sie von genialen Künstlern kommen. Viel spannender ist allerdings die Philosophie, die dahintersteckt: Es sind die Erzählungen, warum sich eine Übe-Routine in die eine oder andere Richtung entwickelt hat und warum ein Künstler gewisse Methoden bevorzugt. Denn diese Erfahrungen sind eine großartige Inspiration, das Üben weiterzuentwickeln, aber auch für Schülerinnen und Schüler neue Impulse zu erhalten. Denn eines dürfte klar sein: Bei allen Gemeinsamkeiten gibt es doch kein Patentrezept, das man sich von einem Künstler abschauen kann und das auf jeden passt. 

Es ist 19:45 Uhr. Mein Handy meldet eine eingegangene SMS. “Bin gerade mit meinem Leihwagen beschäftigt. Wird ein bisschen später.” Reinhold Friedrichs Terminkalender ist wie immer gut gefüllt: Zwischen seiner Unterrichtstätigkeit an der Musikhochschule Karlsruhe und in Spanien, gibt er Meisterkurse in vielen anderen Ländern der Welt und spielt seit Jahren eine dreistellige Zahl von Konzerten. Es gibt Monate, in denen er gar nicht Zuhause ist und nur »aus dem Koffer« lebt. Gerade jetzt, im Sommer 2022, ist er auf dem Sprung nach Spanien, wo er gemeinsam mit seiner Frau, der Pianistin Eriko Takezawa-Friedrich unterrichten und konzertieren wird; im Anschluss daran wartet das Lucerne Festival Orchestra auf den Ausnahme-Solisten. 

Zu viel Fokus auf Ansatz und auf andere technische Aspekte…

Eine gute halbe Stunde später treffe ich Reinhold Friedrich in meinem ZOOM-Raum. Üben ist sein Stichwort! Sofort gerät er ins Erzählen. Gerade heute hat einer seiner Studenten die Abschlussprüfung gespielt. Ein wenig verspannt hatte der junge Mann auf der Bühne gewirkt. Er habe seine Sache schon wirklich ausgezeichnet gemacht, erzählt Prof. Friedrich. Aber er hätte es viel leichter haben können!

Sofort hat der Trompeter ein Blatt Papier zur Hand. “Diese Übung, einfach den Luftstrom sichtbar zu machen und locker und leicht auszuatmen, ist so essentiell!” Er berichtet davon, wie viel Fokus manche Bläser auf den Ansatz und auf andere technische Aspekte legen, wo doch die Luft so ein zentrales Element ist. “Wenn du die Sache mit der Luft nicht im Griff hast, wenn du es nicht schaffst, entspannt und tief einzuatmen und sie dann gut ins Instrument ausströmen zu lassen, dann kann überhaupt kein guter Klang entstehen. Die Kraft darf nichts Stehendes haben – sie muss immer in Bewegung sein.”

Der Klang ist Prof. Reinhold Friedrich immer ein zentrales Anliegen. Der Klang macht ein Spiel persönlich, er vollbringt, dass man einem Musiker gerne zuhört, dass man nie genug von einem satten Sound bekommen kann. Wieder pustet er gegen das Blatt Papier. “Kennst du den Propeller von Thomas Ratzek?”, fragt er. Ich nicke. Natürlich kenne ich Thomas, seinen genialen Dämpfer und den Propeller, was natürlich auf den ersten Blick ein wunderbares Medium im Trompetenunterricht für Kinder ist, was ich aber auch immer wieder selbst beim Üben verwende.

Propeller

Der Propeller 

Die Dämpfer des Solotrompeters der Bremer Philharmoniker Thomas Ratzek, sind längst kein Geheimtipp mehr und werden von großen Orchestertrompetern im In- und Ausland geschätzt. Ganz neu – und deshalb bis zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht auf der Webseiteratzekmutes.de aufgeschaltet. Man kann den von Prof. Reinhold Friedrich erwähnten Propeller bei direkter Nachfrage unter gabrielaratzek@t-online.de für 9 Euro kaufen. Dieser hilft, den Luftstrom sichtbar zu machen, die Luft zu richtig zu fokussieren und zu kontrollieren, ob der Luftstrom nach dem Anstoß immer noch in die richtige Richtung fließt. Ein unschätzbar wertvolles Hilfsmittel, finden neben Prof. Reinhold Friedrich auch Thomas Ratzeks Blechbläserkollegen der Bremer Philharmoniker, die den Propeller längst nicht nur für die Arbeit mit Schülern, sondern auch für sich persönlich nutzen. 

Eine gute Atmung ist viel wirkungsvoller

Der Professor ist kein Fan davon, die Ansatzmuskulatur mit Hilfsmitteln wie Ansatzhanteln oder ähnlichen Dingen zu trainieren. “Das führt nur zur Verkrampfung. Eine gute Atmung ist doch viel wirkungsvoller!”

“Wenn ich so wie jetzt gerade in einer eher stressigen Phase bin, jede Menge Studenten sehe und ungefähr 50 unterschiedliche Konzertprogramme vor der Nase habe, dann müssen die Basics einfach stimmen. Das ist das A und O!” Er erzählt davon, wie er beim Üben austestet, ob die extremen Lagen gut funktionieren. Eine ‘tiefe Carmen’ oder ein “fliegender Holländer” muss genau so drin liegen, wie das zweite Brandenburgische Konzert. “Nur dann kannst du deinem Können Vertrauen!”

Begeistert erzählt der Solist von der Wim Hoff Methode, aus der er immer wieder Elemente in sein Üben übernimmt: “Allein diese Atemübungen sind für mich Gold wert. Auch die Kälteübungen funktionieren super!” Ich greife in das Bücherregal neben meinem Schreibtisch und ziehe das Buch “Die Wim Hoff Methode – Sprenge deine Grenzen und aktiviere dein volles Potenzial” hervor. Bisher hatte ich nur darin geblättert, aber vielleicht ist nun die Zeit gekommen, in der ich es wirklich einmal lesen sollte. Auch Roman Rindberger, Trompeter von Mnozil Brass, hatte kürzlich angeboten, mich einmal in einer Wanne aus Eiswasser zu versenken. 

Buzzing ist extrem wichtig

Reinhold Friedrich ist kaum zu bremsen. Kaum komme ich hinterher mit meinen Notizen. Buzzing ist extrem wichtig, notiere ich. Der Weltklasse-Solist hat dies jeden Tag in sein Übepensum integriert. Etwas erstaunt bin ich, dass er sein Buzzing nicht mit einem präzisen Anstoß beginnt, doch die Erklärung ist so einfach wie logisch: Es ist wichtig zu spüren, wann genau die Vibration von selbst beginnt. “Wenn ich Zeit habe, genieße ich dieses Spielen ohne Zungenanstoß beim Buzzing und auch bei anderen elementaren Übungen beinahe eine Stunde, bevor ich die Zunge hinzunehme. Der Ton sollte aus der Luft herauskommen und ich genieße diesen Moment, wo man die Luft hört und dann langsam der Ton hinzukommt. Das provoziere ich aber nicht, sondern ich warte, bis der Ton von ganz alleine entsteht.”

Selbst aus so einer elementaren Übung kann ein Spiel für junge Trompetenschülerinnen und -schüler werden, berichtet er: Der Trompetenlehrer oder die Trompetenlehrerin spielt einige Töne auf dem Mundstück vor – ohne Zuhilfenahme der Zunge. Die Töne sollen wie eine Frage klingen. Der Schüler antwortet auf die Frage mit eigenen Tönen. “Natürlich sind Kinder zunächst schüchtern und finden es abstrakt, sich mit Mundstück-Buzzing zu unterhalten, aber wenn sie ihre anfängliche Scheu abgelegt haben, kann hieraus eine tolle Plapperei werden und sie spielen mit viel Spaß auf ihren Mundstücken.”

Was ist mit den Basics?

Reinhold Friedrich berichtet, wie er das Mundstückspiel von Vincent Cichowicz, Maurice André, Timofei Dokshizer und Adolph Herseth erlebt hat: “Diese Trompeter klangen auch auf ihren Mundstücken genial! Ein satter Sound, super Höhe, volle Tiefe! Herseth – obwohl damals schon über weit über 80 hat an jeder Ampel sein Mundstück aus der Tasche gezogen und einfach drauflos gespielt!”, berichtet er lachend. Ich notiere: Das Buzzing sorgt für eine gute Ausrichtung des Mundstücks und die optimalen Spannungsverhältnisse. Ob ich das die Wichtigkeit des Buzzings wirklich mit so einem nüchternen Satz herüberbringe? Ich fürchte nicht. Denn Gespräche mit Reinhold Friedrich übers Trompetespielen sind voller Leidenschaft. Wenn er erst einmal begonnen hat, über ein Stichwort zu philosophieren, sprudeln hunderte Anekdoten und kleine lehrreiche Geschichten aus ihm heraus. 

Doch wir müssen weiter. Ich möchte noch mehr wissen über die Basics, die Reinhold Friedrich fürs Üben empfiehlt. Erneut klingelt sein Telefon und ich bin beglückt, als er die Anruferin auf später vertröstet. Ich blicke auf mein Dokument mit den Notizen. Zu den Themen Atemübungen und Buzzing habe ich einiges notiert. “Und nach den Buzzings?”, frage ich vorsichtig. Zu den absolut wichtiges Grundlagenübungen zählen für den Professor, der schon so vielen Studierenden zu einem erfolgreichen Probespiel und einer Orchesterstelle verholfen hat drei Dinge: Die Ausgabe “Lip Flexibilities” von Dr. Charles Colins, “Flow-Studies” von Vincent Cichowicz und das Spielen von Liedern wie den “Vocalisen” von Giuseppe Concone. 

Tipp 1: Lip Flexibilites

Lip Flexibilities von Dr. Charles Colin möglichst im Duett mit jemand anderem zusammen spielen: Einer singt, einer spielt. Aus diesen Übungen sollte eine Art innere Mediation entstehen und der Zusammenhang zwischen Trompete spielen und Singen kann einem hier klar werden. 

Ich schmunzele über die Anekdote, dass der Professor als 16-jähriger oft täglich den 1. Band dieser Lip Flexibilites durchgespielt hat und – wenn ihm langweilig war, gleich noch Band zwei und drei hinterher. “Ich habe jeden Tag einmal von den ganz entspannten Übungen in der unteren Lage gespielt und dann, bis ich in der dritten Oktave herumgeqiuetscht habe! Und wenn das dann immer noch zu langweilig war, habe ich auf C-Trompete gespielt, um den Tonraum nochmal zu erweitern!” Allein beim Gedanken daran, alle drei Bände hintereinander zu spielen, steigen mir die Schweißperlen auf die Stirn. Ein 16-jähriger, der das mal eben so hübsch durchspielen würde, fällt mir so spontan auch nicht ein. Ja, es gibt eben absolute Ausnahmetalente – aber auch die sind ohne Üben nichts! Aber bevor ich zum Überlegen komme, kommt der Trompeter zum nächsten Punkt: Flow Studies.

Tipp 2: Flow Studies

Ich blicke auf das Dokument mit meinen Notizen. Vincent Cichowicz. Ein großer Name. Kürzlich habe ich Post von Mark Dulin von Bach Brass bekommen, der gemeinsam mit Michael Cichowicz neben den “Fundamental Studies for the Developing Trumpet Player” weitere drei Bände mit Flow Studies, Etüden und Long Tone Studies herausgegeben hat. Ich war sehr froh, dass ich endlich die Kopien, die ich bis dato von den Cichowicz-Übungen besaß ins Altpapier werfen konnte, weil diese vier Ausgaben, ergänzt mit einer DVD, ein wertvoller Schatz sind, der seitdem mein eigenes Üben begleitet. 

Reinhold Friedrich beginnt über die vielen Variationen und Möglichkeiten zu sprechen, die Cichowicz und die Gedanken der Flow Studies bieten. “Vor allem die Chancen, die sich für das Spiel bieten, wenn man wirklich bei jeder Übung nach ganz unten zum tiefsten spielbaren Ton geht, sind genial. Das geht auch zum Beispiel mit den Übungen von Claude Rippas, die er in ‘Einspielen aus der Mitte’ beschrieben hat.” Besonders wertvoll an diesen Übungen ist für Reinhold Friedrich, dass man hiermit sehr viel am Klang und der Offenheit im Spiel “putzen” kann, wie er sagt. 

“Ich mache die Übungen bis High-End!”

Wieder muss ich schmunzeln, als der Professor zu seinem Instrument greift und mir vorführt, was er mit “Ich mache diese Übungen bis High-End” meint. Ja, Cichowitz und seine Flow-Studies sind ein absolutes Muss, denke ich und notiere Claude Rippas »Einspielen aus der Mitte« schnell auf der Shoppingliste meines Smartphones. Auch bei diesen Übungen stößt er den ersten Ton nicht an. Es ist für Reinhold Friedrich das Genießen, die Luft zu geben und sicher zu sein, dass der Ton danach beginnt: “Das ist so, wie wenn du dem Wirt im Restaurant zuschaust, wie er dein Bierglas wieder füllt: Da kommt wie von selbst dieser Bierstrahl herausgeschossen und es füllt sich dein Glas erst mit Schaum, bevor du das Bier siehst.” Diese Geschichten sind es, die die Erzählungen des Professors lebendig werden lassen. Sie bewirken, dass man sich beim Üben gerne an seine Tipps erinnert. 

Wie lange denn seine Flow Studies dauern, will ich wissen. Schnell einmal 20 Minuten, bis es wieder richtig “quietscht” und er wirklich in den höchsten Höhen angekommen ist. “Ich brauche das. Schließlich möchte ich jeden Tag sicher sein, dass ich in allen Registern topfit bin!”, resümiert er. 

Tipp 3: Vocalisen

“Ich bin ein Fan von Giuseppe Concones Vocalisen“, gesteht Reinhold Friedrich. Diese wunderschönen Melodien, die sich mit und ohne Klavierbegleitung spielen lassen, sind von unschätzbarem Wert, wenn es darum geht, Musik zu machen und all das anzuwenden, was richtig gutes Trompetenspiel ausmacht: Klang, Gestaltung, Phrasierung, Anstoß, Vibrato…

Halt! Vibrato? Das war doch eine ganze Zeitlang verpönt, frage ich nach. “Die Zeiten sind wirklich vorbei! Bei mir darf die Trompete mit geschmackvollem Vibrato gespielt werden, denn ich verstehe mein Trompetenspiel als Singen auf einem Blechblasinstrument.” Und wieder einmal hat der Professor mit ganz wenigen Worten sofort das Wesentliche gesagt. 

Reinhold Friedrich ist noch lange nicht fertig

Aber Concones Vocalisen können für Anfänger eine ganz schöne Herausforderung sein, werfe ich ein. Mit weniger fortgeschrittenen Spielerinnen und Spielern können die Trompetenpädagogen abwechselnd spielen und nach jeweils einer Phrase wechseln: Einer spielt und der andere greift und pausiert währenddessen. “So kann der Schüler auch gleich den Klang seines Lehrers erleben und für sich adaptieren”, fasst Reinhold Friedrich zusammen. Bestechend einfach und wahrscheinlich genauso wirkungsvoll. Ich beschließe diesen Tipp gleich nach den Ferien bei meinen Schülern zu beherzigen. 

Noch stundenlang könnte ich zuhören, wie Reinhold Friedrich über sein Üben erzählt und dabei quasi nebenher dutzende toller Tipps für die Anwendung im Trompetenunterricht “herausschießt”. Vielleicht sollte ich doch nochmal einen Kurs bei ihm belegen, überlege ich, während ich mich für das spannende Gespräch über die Basics seines Übens bedanke. 

Doch Prof. Reinhold Friedrich ist noch lange nicht fertig. “An Themen wie Anstoß- und Höhentraining sind wir nun noch gar nicht vorbeigekommen”, echauffiert er sich. Er hat recht! Und bestimmt auch zu diesen Stichworten viel zu sagen. Vielleicht etwas für einen weiteren Beitrag in der BRAWOO, überlege ich, während ich mein Dokument mit den Notizen abspeichere und schließe.

Reinhold Friedrich

Meisterkurs im Schloss Bückeburg 

Vom 19. -25. September findet im traumhaften Ambiente des Schlosses mit seinen historischen Prunkräumen und der weitläufigen Parkanlage ein Meisterkurs mit Prof. Reinhold Friedrich statt. In den nur 250.- Euro Teilnahmegebühr plus 50.- für die Übernachtung in Privatquartieren ist ebenfalls ein Konzertbesuch am 23.09. bei den Lüneburger Bachtagen enthalten. Hier wird Prof. Friedrich mit dem 2. Brandenburgischen Konzert zu erleben sein.  

www.reinhold-friedrich.de/en/imas-meisterkurs-bueckeburg