Brass, Orchestra, Wood | Von Klaus Härtel

Wann dürfen Bläser wieder musizieren, Frau Prof. Spahn?

Leerer Saal
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“Geht an die frische Luft!” könnte eine Empfehlung sein, damit die Bläser wieder ihrer Leidenschaft nachgehen können. Eine aktualisierte Risikoeinschätzung des Freiburger Instituts für Musikermedizin lässt die Bläser hoffen, dass sie bald wieder an die Instrumente dürfen. Wir sprachen mit Prof. Dr. Claudia Spahn, die gemeinsam mit Prof. Dr. Bernhard Richter das Freiburger Institut leitet.

Frau Prof. Spahn, – Herr Seifert, Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga (DFL) hat kürzlich bei der Pressekonferenz zum Re-Start der Bundesliga gemeint, die Vorgehensweise der Fußballer könne durchaus auch als Blaupause für Orchestermusiker hergenommen werden. Hat er da Recht? 

Grundsätzlich schon, aber es gibt meines Erachtens Unterschiede, was Organisationsform und Anzahl der Personen angeht. Wenn die Virus-Tests für Orchestermusiker in ausreichendem Maße als Schnelltests zur Verfügung stehen würden, könnte man natürlich vor jeder Zusammenkunft, vor jeder Probe schnell testen. Ob wir da hinkommen, ist sehr schwer einzuschätzen, das ist ja nicht zuletzt auch eine Frage der finanziellen Möglichkeiten. 

Der DFB-Präsident Fritz Keller hat neulich gesagt, dass der Fußball in seiner menschenverbindenden Ausrichtung auch andere Gruppen nicht vergessen werde. Ich würde mir wünschen, dass hier ein Schulterschluss zwischen Sport und Musik entsteht, das wäre sehr schön. Es wäre eine gute Möglichkeit, beide Kulturen wieder mehr zusammenzubringen. Schon Platon hat in seiner Schrift “Der Staat” davon gesprochen, dass Bewegung und Musik zusammengehören und dass der Mensch beides braucht.

Wenn uns die Coronakrise dabei hilft, uns diesem Ideal wieder mehr anzunähern, fände ich das sehr positiv. Momentan hat man eher das Gefühl, dass viele Menschen in der derzeitigen Öffnungsphase Ungerechtigkeiten beklagen: die einen dürfen und die anderen noch nicht. Ins Fitnessstudio darf man, aber singen darf man nicht… Ich finde, wir sollten gemeinsam voranschreiten und nicht gegeneinander arbeiten. 

Bläser werden vielerorts aus Musikschulen und Kirchen ausgeschlossen und mit hohen Abstandsregeln belegt, die ein gemeinsames Musizieren unmöglich machen. Das empfinden die Musiker als ungerecht – schon zu Recht, oder?

Das empfinden die Musiker natürlich als ungerecht, aus meiner Sicht ist dies jedoch nicht gegen die Musiker oder die Musik gerichtet. Am Anfang des Lockdowns waren alle gleichermaßen eingeschränkt. Nun gibt es Lockerungen, die auch je nach Bundesland unterschiedlich sind. Das macht die Situation recht kompliziert.

Ich glaube, dass der Bereich der Musikkultur aus Unsicherheit – und ich denke, keinesfalls böswillig – von der Politik teilweise hintangestellt worden ist. Es gibt aber nun zunehmend auch Aussagen der Ministerien in den einzelnen Bundesländern. Als Wissenschaftler können wir dadurch mithelfen, dass wir sachliche Informationen liefern.

Als Freiburger Institut für Musikermedizin haben Bernhard Richter und ich mit Kollegen aus der Virologie, der Anästhesiologie und der Hygiene am Universitätsklinikum Freiburg eine Arbeitsgruppe gebildet, um Fragen der Musikausübung, gerade bei den Bläsern und Sängern, interdisziplinär bearbeiten zu können.

Vor einigen Tagen haben wir ein Update unserer Risikoeinschätzung herausgebracht. Manche anfänglich an anderen Stellen gemachten Empfehlungen von 12 Metern Abstand zu Bläsern konnten mittlerweile angepasst werden. Die Luftbewegungen um die Blasinstrumente herum konnten wir bei der Untersuchung mit den Bamberger Symphonikern messen. Sie reichen so weit, dass ein Abstand von 2 Metern ausreichend erscheint, um die Gefahr einer Tröpfchenübertragung zu minimieren. 

Das Problem bleiben weiterhin die Aerosole, die wir auch deshalb noch nicht im Griff haben, weil sie bislang nicht ausreichend gemessen werden konnten. Das ist eine große Herausforderung. Viele Wissenschaftler versuchen das international. 

Sie sprechen die Zusammenarbeit mit den Bamberger Symphonikern und einem Ingenieurbüro an, bei der sie Atemluftbewegungen beim Musizieren gemessen haben. Wie sind Sie vorgegangen? Was wird da genau gemessen?

In einer Studie haben wir alle Orchesterbläser hintereinander und einzeln und zusätzlich noch Saxofon und Blockflöte spielen sowie einen Sänger und zwei Sängerinnen in klassischem Gesang und populären Gesangsstilen singen lassen. Bernd Schubert von der Firma Tintschl aus Erlangen hat qualitative und quantitative Untersuchungen zur Bewegung der Luft beim Blasen und Singen durchgeführt. Wir haben also sowohl beobachtet als auch gemessen.

Zunächst wurden die Spieler sozusagen mit Kunstnebel eingehüllt. Besonders unter Beobachtung standen dann die Mundöffnung, der Schalltrichter, die Klappen. Und bei fast allen Blasinstrumenten hat man nur geringe Luftbewegungen im Kunstnebel gesehen. Bei der Blockflöte gab es kleine Verwirbelungen über dem Labium. Auch bei der Querflöte konnte man am Ansatz Verwirbelungen erkennen, was mit der Tonproduktion bei der Querflöte zusammenhängt.

Bei den Blechbläsern konnte man vor dem Schalltrichter kaum Luftbewegung beobachten. Bei den Holzbläsern waren die Bewegungen der Luft, die wir mit dem Nebel sichtbar gemacht haben, ebenfalls sehr gering. 

Zusätzlich dazu wurden Sonden installiert, um im Abstand von 1 Meter, 1,50 Meter und 2 Metern vom Spieler und Sänger die Luftbewegung zu messen. Bei einem professionellen Bläserton war beim Abstand von 1,50 Metern keine zusätzliche Luftbewegung messbar. Dasselbe gilt für die verschiedenen Varianten des Singens.

Um noch einen gewissen Spielraum zu lassen, empfehlen wir deshalb einen Abstand von 2 Metern radial um den Spieler und Sänger. Was man aber tatsächlich nicht machen sollte: Durch das leere Instrument zum Reinigen durchpusten! Denn da hat man einen deutlichen Ausschlag messen können im Vergleich zum Spielen. 

Es wurden aber eben Luftbewegungen gemessen und nicht die Aerosole, richtig?

Genau. Und es ist wichtig, dass man das differenziert. In den ersten Wochen der Pandemie wurde vom Robert-Koch-Institut (RKI) als Hauptübertragungsweg die Schmier- und Tröpfcheninfektion genannt und die Rolle der Aerosole bei der Virusausbreitung eher für gering erachtet. Der Virologe Christian Drosten aus Berlin hat nun kürzlich gesagt, dass diese Aerosole vermutlich doch eine wichtige Rolle spielen in der Übertragung des Virus. Auch das RKI hat hier seine Stellungnahme angepasst.

Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass die Erkenntnisse ständig im Fluss sind und immer wieder neu bewertet werden müssen. In unserer Risikoeinschätzung vom 19. Mai gehen wir genau auf die Unterscheidung von Tröpfchen und Aerosolen ein.

Welche Erkenntnisse haben Sie konkret gewinnen können? 

Wir können nun davon ausgehen, dass die Tröpfcheninfektion mit einem Abstand von etwa 2 Metern beim Blasen und Singen nicht wahrscheinlich ist. 

Was wir aber noch nicht wissen, und da muss man ehrlich sein: Kommen aus den Blasinstrumenten Aerosole heraus? Das wissen wir noch nicht – aber es könnte sein. Es könnte physikalisch aber auch sein, dass im Blasinstrument Partikel aus den Aerosolen hängenbleiben, die Instrumente selbst also als Filter wirken. Aber bevor es nicht gemessen ist, bleibt es eine Hypothese.

Welche Einschätzungen und Empfehlungen haben Sie zum Themenkomplex Kondenswasser für Bläser?

Falls das Kondenswasser virenhaltig ist und es unkontrolliert in die Umgebung gerät, ist das natürlich ungünstig. Deshalb gibt es die Empfehlung, dieses Kondenswasser in etwas saugfähigem oder einem Behälter aufzufangen. Das wäre eine praktische Vorsichtsmaßnahme, bevor wir uns auch hier mehr Wissen angeeignet haben.

Die Universität der Bundeswehr empfiehlt aufgrund ihrer Untersuchungen, ein dünnes, dicht gewebtes Tuch etwa 20 cm vor dem Schalltrichter der Instrumente zu platzieren. Würden Sie das unterstützen? Ist das Ihrer Meinung nach überhaupt praktikabel?

Dies betrifft den Schutz vor möglicherweise austretenden Aerosolen. Es ist eine Vorsichtsmaßnahme. Dies ist für die Blechbläser sinnvoll, bei der Klarinette kann am Schallbecher nur beim Verschluss aller Klappen etwas herauskommen, dies ist beim Spielen selten der Fall, also erscheint dies bei den Holzbläsern weniger sinnvoll.

Was kann das für die Zukunft des gemeinsamen Musizierens bedeuten? Was schlagen Sie den Entscheidungsträgern vor? 

Unsere Zwischenempfehlung ist: Spielen und Singen im Freien! Gerade auch im Hinblick darauf, dass die kommenden Wochen und Monate, in welchen die schrittweise Öffnung erfolgen wird, die Sommermonate sind, erscheint das Musizieren im Freien praktikabel und sogar besonders attraktiv. Infektionen erfolgen vermutlich vornehmlich bei Personen, die sich längere Zeit in geschlossenen Räumen aufhalten.

In einer Untersuchung im Januar und Februar 2020 an insgesamt 7324 Fälle von infizierten Personen in China stellten die Autoren fest, dass lediglich in einem Fall ein Hinweis auf eine Infektion im Freien bestand. Bei Einhaltung des Mindestabstandes ist das Risiko für das Singen und Musizieren im Freien somit als sehr gering einzuschätzen.

Risikoeinschätzung
Grafik aus der Risikoeinschätzung des Freiburger Instituts für Musikermedizin.

In Räumen, etwa beim Einzelunterricht, kann der Lehrer, wenn er nicht spielt, eine Maske aufsetzen. Das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes stellt aus unserer Sicht gerade im Musikbereich eine wichtige Möglichkeit zur Risikoreduktion dar. Wir empfehlen es auch beim Chorsingen.

Findet Musizieren innerhalb geschlossener Räume mit natürlicher Lüftung statt, so ist regelmäßiges und gründliches Lüften ein wichtiger Faktor zur Risikoreduktion. Aerosole sammeln sich über den Zeitverlauf in Räumen an, weshalb sowohl die Spieldauer als auch die Raumgröße wichtig ist.

Und zusätzlich führt eine längere Aufenthaltsdauer einer größeren Anzahl von Menschen in einem Raum mit wenig Belüftung zur Ansteckung, das wissen wir auch aus Untersuchungen in China. Deshalb spricht man momentan davon, man solle alle 15 Minuten stoßlüften. Oder man lässt die Fenster eben ohnehin offen. Klimaanlagen sorgen ebenfalls für einen hohen Luftaustausch. 

Wir schlagen ein differenziertes und flexibles Risikomanagement vor. Man sollte darauf schauen, ob in der Region eine hohe oder eine geringe Infektionsrate ist. Wir empfehlen auch Symptomfragebögen oder -Apps als In-coming Kontrolle. Außerdem kann man bei den Proben beispielweise auf die Risikogruppen achten. Für ältere oder durch Vorerkrankungen gefährdete Personen gelten auch gerade im Bereich der aktiven Musikausübung besonders strenge Vorsichtsmaßnahmen.

Im Falle von Musikunterricht bei Kindern und Jugendlichen sollten auch die Erziehungsberechtigten intensiv darüber aufgeklärt werden, dass sie ihre Kinder schon bei ersten Covid-19-verdächtigen Anzeichen oder milden Symptomen nicht zum Unterricht schicken. Analog gilt dies natürlich auch für Pädagogen, die unter diesen Umständen keinen Unterricht erteilen sollten.

Unser Vorschlag ist, dass man zu einer viel größeren Differenzierung kommt. Wir sollten dem Infektionsrisiko mit Vorsicht und faktenbasiert begegnen.

Prof. Dr. med. Dr. phil. Claudia Spahn leitet gemeinsam mit Prof. Dr. Bernhard Richter das Freiburger Institut für Musikermedizin, eine Einrichtung der Hochschule für Musik Freiburg und des Universitätsklinikums Freiburg.