Orchestra | Von Klaus Härtel

Was bedeutet “Geführtes Hören”, Christoph Breithack?

Hören
Abbildung aus: Probenmethodik Blasorchester © Helbling Verlag

Als der Komponist und Dirigent Thomas Doss das Buch “Probenmethodik Blas­orchester” gelesen hatte, meinte er: “Dieses Werk hat das Potenzial für Ensemble-Leiter aller Reifegrade, ein überaus wertvolles Hilfs­mittel zur Bewusst­werdung und/oder zur Bewusstmachung von Problemstellungen in der Probe zu werden.” Der Untertitel des im Helbling Verlag erschienenen Buchs lautet “Geführtes Hören in der Ensemble-Arbeit”. 

Geschrieben haben es die beiden Amerikaner John D. Pasquale und David W. Clemmer gemeinsam mit dem Pädagogen Christoph Breithack. Mit dem haben wir uns unterhalten. 

Herr Breithack, Hören? Kann ich doch! Was ist in Bezug auf Ihr Buch an dieser Behauptung nicht ganz korrekt?

“Hören” und “Zuhören” sind allgemeine Be­griffe. Das kann sehr individuell und auch zufällig sein. Das nötige Wissen, worauf bei der Probenarbeit und beim Zusammenspiel zu hören ist und wie zu hören ist, wird selten umfassend und strukturiert vermittelt. Bei uns im deutschsprachigen Raum gibt es keine Tradition, diese Dinge zu lehren. Ein Grund dafür ist vermutlich, dass es so viele Ensembles gibt, die schon seit langer Zeit bestehen und in denen ganz viel über Imitation vermittelt wird. Für angehende Dirigenten ist es aber eine große Erleichterung, systematisch zu lernen, worauf es denn letztendlich ankommt und wie ein Ensembleklang während der Probenarbeit hörend analysiert wird. 

Breithack

Christoph Breithack 

ist als Realschullehrer und Dirigent für Blasorchester tätig. Er studierte Orchestermusik (Fagott) an der Staatlichen Hochschule für Musik in Trossingen und Lehramt für Realschulen an der Pädago­gischen Hochschule in Weingarten. Er ist Dozent für Ensemble-­Pädagogik mit den Arbeitsschwerpunkten Probenpädagogik in Blasorchestern und Bläserklassenleitung. 2014 begann er eine ­Kooperation mit Professoren in den USA, deren Arbeitsergebnisse in dem Buch “The Directed Listening Model: A Rehearsal Guide for Ensemble Musicianship” in den USA veröffentlicht wurde. Er ist zudem Mit-Autor von BläserklassePLUS, einem Lehrwerk für Bläserklassen im dritten und vierten Lernjahr.

Was hat es mit dem Begriff “Geführtes Hören” auf sich?

“Geführtes Hören” ist der Name eines probenpädagogischen Systems, in dem nach bestimmten Kriterien auf die wesentlichen Aspekte des Zusammenspiels gehört wird. Diese Didaktik beinhaltet erstens, worauf alles zu hören ist. Hierzu wird das Thema Ensemblespiel genau erklärt. Es geht im “Geführten Hören” um alle wesent­lichen Aspekte, die ein Dirigent, aber auch die Spieler wissen sollten, wenn sie proben und ­zusammen musizieren. Zweitens wird eine Methodik vorgestellt, mit der dieses Wissen einem Ensemble oder Orchester vermittelt werden kann. Wenn in einem Ensemble einheitliche Vorstellungen von den Elementen des Zusammenspiels vorhanden sind, kann viel effektiver und mit besseren musikalischen Ergebnissen an der Literatur geprobt werden. Deshalb geht es drittens darum, das bei der Probenarbeit anzuwenden und in der Literatur umzusetzen.

Wie ist Ihr System entstanden? Welche Idee steckt dahinter?

Wir sind ein Team von drei Dirigenten: zwei Dirigierprofessoren aus den USA und ich. Wir arbeiten seit sieben Jahren zusammen und haben in dieser Zeit das System, das auf der Dissertation eines der Kollegen fußt, entwickelt und in eine schlüssige Form gebracht. Dabei haben wir regelmäßig mehrmals im Jahr mit Orchestern in Deutschland und den USA gearbeitet. 

Es geht darum, Dirigenten ­anzuleiten, einen Ensembleklang während der Probe augenblicklich zu analysieren und sofort zu wissen, an welchen Stellen wie geprobt werden muss, um möglichst schnell zu einem musikalisch hochwertigen Ergebnis zu kommen. Das ist ein komplizierter Satz, der aber deutlich macht, wie komplex ­diese Aufgabenstellung ist. Außerdem geht es darum, eine möglichst hohe Selbstständigkeit bei den Spielern zu erreichen, da sie genau ­wissen, worauf es beim Zusammenspiel ankommt.

Wie kann man das zusammenfassen? Vor allem: Was ist “anders” im Vergleich zum “Herkömmlichen”?

Eigentlich ist gar nichts anders als beim Herkömmlichen. Zum Beispiel kann man in Videos berühmter Dirigenten bei der Probenarbeit praktisch alle Inhalte des Buches wiederfinden.

Neu ist, dass wir sehr genau analysiert haben, worauf es ankommt. Also was gute Dirigenten bei der Probenarbeit machen und worauf sie achten. Diese Dinge haben wir dann in ein­deu­tige Worte gefasst und systematisiert, damit sie erlernbar sind und angewendet werden können.

Da viele Aspekte des Ensemblespiels bisher nie genau definiert wurden, sondern auf ver­schie­dene Weisen be- oder umschrieben wurden, klingt manches neu oder ungewohnt. Es war teilweise gar nicht so einfach, musikalische Dinge, die ständig vorkommen, in eindeutig ver­ständ­liche Worte zu fassen.

Ist es schwer, Musiker zu überzeugen, “alte Pfade” zu verlassen?

Ich mache eher die Erfahrung, dass viele froh sind, etwas an die Hand zu bekommen, das ­ihnen bei der Arbeit weiterhilft. Dasselbe gilt für die Spieler. Sie wollen Dinge gut erklärt bekommen, um dann zu wissen, was sie für ein gutes Ergebnis tun müssen. Den erstaunt geäußerten Satz “Also so hat mir das noch nie jemand erklärt” habe ich schon oft gehört.

Was sollte man als Dirigent mitbringen, was als Musiker, um das Buch richtig einzusetzen?

Geduld. Es geht um ein sehr großes Thema und das kann man nicht in ein paar Wochen lernen und umsetzen. Es geht eher um einen Entwicklungsprozess über mehrere Jahre.

Ist das Buch chronologisch aufgebaut, also sollte man es von Seite 1 bis 152 durcharbeiten?

Einerseits ist es so, dass die Dinge aufeinander aufbauen, von daher ist es chronologisch. Es ist zum Beispiel nur schwer möglich, an Ensembleklangfarben zu arbeiten, wenn Spieler nicht verlässlich Töne mit charakteristischer Klangfarbe auf ihren Instrumenten erzeugen können. Deshalb steht das Kapitel Klang­erzeu­gung vor dem Kapitel Balance. Andererseits wird auch jeder Einzelaspekt, der herausgegriffen und um­gesetzt wird, das musikalische Ergebnis der Probenarbeit besser machen.

Wie setze ich das Buch in der Praxis ein?

Es ist ein Praxisbuch für Dirigenten, aber auch für Instrumentallehrkräfte und für alle, die mit Ensembles arbeiten. Das Buch kann einen über viele Jahre begleiten. 

Zunächst geht es darum, die Inhalte zu lernen und mit dem vorhandenen Wissen zu verknüpfen. Es wird viele Anknüpfungspunkte geben, an denen Dinge geschärft und klarer werden. Es werden aber auch neue Aspekte und Sichtweisen zu finden sein.

Schon die Beschäftigung mit dem Thema wird die Art und Weise des Zuhörens und Reagierens bei der Probenarbeit verändern. Erfahreneren Lesern wird das vielleicht schon ausreichen. Wer mehr Anleitung zur Vermittlung von Inhalten an ein Ensemble und zur Vorgehensweise in der Probe sucht, wird auch das im Buch finden.

Hören

Die “Probenmethodik Blasorchester” bietet:

  • eine praktische Herangehensweise zur Verbesserung des Ensembleklangs 
  • methodische Schritte zur Erarbeitung der Bereiche Puls, Klangerzeugung, Balance und Musikalische Gestaltung 
  • zahlreiche Grafiken und Notenbeispiele als Kopiervorlage zur Veranschaulichung 
  • eine ausführliche Beschreibung der Handhabung von Blasinstrumenten und Schlagwerk 
  • eine systematische Vorgehensweise bei Problemen mit Intonation, Zusammenspiel, klarer Tongebung 
  • vielfältige methodische Hinweise für die Arbeit mit Anfängern, Fortgeschrittenen und Profi-Ensembles

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