Zum Fotografieren ist er so ein bisschen gekommen wie die Jungfrau zum Kinde. Mittlerweile ist es seine große Leidenschaft. Daniel Haeker, im Hauptberuf stellvertretender Solo-Pauker des Sinfonieorchesters Wuppertal, hatte sich bislang auch nicht wirklich Gedanken darüber gemacht, was Musik und Fotografie gemeinsam haben. Doch dass es da Verbindungen gibt, wurde im Gespräch mit Klaus Härtel deutlich.
Beim Brainstorming zum Thema fällt schnell auf, dass zahlreiche Begriffe in “beiden Welten” vorkommen. Man denke an Komposition, Farbe, Motiv, Rauschen … Auch kann man mit Adjektiven beides beschreiben. Sowohl musikalische als auch fotografische Werke können lebhaft, scharf oder unscharf, fröhlich oder traurig und noch vieles mehr sein.
Wenn man an analoge Bilder aus einer alten Leica denkt, nennt man ihren Charakter oft “nicht glattgebügelt” oder “unruhig”. Das Grobkörnige ist nicht zwingend gewollt, sondern schlicht der Technik geschuldet. Die Leute lieben das. Solche Bilder leben und überfüllen ihren Betrachter mit Nähe, sie sind involvierend. Ganz ähnlich ist es ja bei der Musikwiedergabe, HiFi-Freunde schwören auf das Knarzen der Vinylplatte.
Der Berliner Fotograf (und zeitweise auch Musikmanager) Jim Rakete etwa fotografiert auch heute immer noch analog, erzählt Daniel Haeker. “Fotografie muss ein Risiko bleiben”, sei das Credo des berühmten Kollegen. Und natürlich hat das Charme. Mehr “Augenblick” als mit der analogen Kamera geht fast nicht – schließlich weiß man auch erst hinterher, ob alles so funktioniert hat, wie es sich das Auge vorher erdacht hat. Daniel Haeker fotografiert indessen digital. “Natürlich!”, schwingt ein wenig in der Antwort mit. Aber das habe ja nichts mit der künstlerischen Qualität der Bilder zu tun. Das sei letztlich eine Frage des persönlichen Stils. Aber dass moderne Digitalkameras mehr “können”, sei ja unbestritten.
Daniel Haeker über Haptik
Was für Daniel Haeker eine nicht unwichtige Rolle spielt, ist die Haptik. “Beim Schlagzeuger liegt das nahe”, findet er. Tastsinn in Verbindung mit dem Gewicht sei für ihn essenziell. “Das Gewicht des Objekts, das ich in der Hand halte, um damit bestimmte Ziele zu erreichen, spielt eine große Rolle. Natürlich kennen die anderen Musikerinnen und Musiker das auch, aber ein Schlagzeuger wechselt ständig zwischen Marimbaschlägeln, Paukenschlägeln, Drumsticks, Rasseln hin und her …” Auch das Gewicht der Kamera hat für den Solo-Pauker eine große Bedeutung. Es ist dann eben schon ein nachvollziehbarer Unterschied, ob man eine Profi-Kamera mit schwerem Objektiv oder ein vergleichsweise leichtes Smartphone in den Händen hält. “Auch das Drehen am Objektiv, das Verstellen der Knöpfe sind für mich faszinierende Aspekte”, schwärmt der Fotograf.
Daniel Haeker über Kunst vs. Handwerk
In welchem Verhältnis stehen Kunst und Handwerk? Bei der Frage denkt Daniel Haeker lange nach. Natürlich müsse man – in der Musik wie in der Fotografie – sein Instrument beherrschen. Die Töne treffen, die Brennweite einstellen. Doch danach fängt irgendwo die Kunst an. “Der Übergang der Qualität ist fließend”, findet der Fotograf. »Die kommerzielle Art der Fotografie ist etwas anderes als Kunstfotografie.« Beides habe natürlich seine Berechtigung. Wie es Produktfotografie gibt, gibt es eben auch Werbejingles.
“Wenn ich ein Foto mache, muss es auf dem Themengebiet, auf dem ich es gemacht habe, eines der besten sein. Das ist mein Anspruch.” Da sei es egal, “ob ich eine Weinflasche, das schönste Model der Welt oder eine atemberaubende Landschaft in Argentinien fotografiere”. Natürlich klinge die Formulierung dieses Anspruchs sehr hochtrabend, aber “diesen Perfektionsanspruch kennen Musikerinnen und Musiker auch”. Im entscheidenden Augenblick des Konzerts soll die beste Performance auf die Bühne gebracht werden.
In beiden Metiers besteht die Gefahr, zu viel zu wollen und zu machen. Das ist aber nicht das Prinzip von Fotografie – und das ist auch nicht das Prinzip der Komposition.
Fließend zwischen Handwerk und Kunst sei der Übergang vor allem bei kommerziellen Aufträgen. “Es ist dann meine Herausforderung, den Unwillen zu überwinden, genau das zu machen, was der Auftraggeber will”, sagt Haeker lachend. “Ich will etwas in das Bild hineinbringen, das unverwechselbar von mir stammt.”
Als Beispiel nennt er seine Arbeit mit den Holzbläsern des Auris Quinetts. “Die wussten natürlich vorher nicht, dass ich sie in diesem fahlen Licht darstellen würde. Anfangs hatten sie Zweifel, die sie dann aber überwunden haben. Das Bild wurde oft verwendet, und ich habe damit auch Auszeichnungen gewonnen.” Der Umgang mit dem Licht sei eines seiner kreativen Elemente. Und das sei bei der kommerziellen Fotografie immer ein Risiko – allzu oft sei da nämlich ein Instagram-kompatibler Filter drübergelegt.
“Noch so ein fotografierender Musiker…”
Daniel Haeker bringt Bryan Adams ins Spiel. Noch so ein fotografierender Musiker. “Bryan Adams macht hervorragende Fotos, handwerklich-kommerziell auf ganz hohem Niveau.” Das Schwärmen endet abrupt: “Aber Kunst ist das nicht …” Er lacht. “Ich gönne ihm die großen Ausstellungen! Aber Bryan Adams’ Bilder leben natürlich von den Leuten, die er fotografiert – und als erfolgreicher Musiker kennt er natürlich viele …” (Dass Bryan Adams’ Musik früher besser war, ist ein anderes Thema …)
Umgekehrt ist für den Wuppertaler Pauker der Brasilianer Sebastião Salgado “der größte lebende Fotograf!” Diesem sei schon häufig “die Ästhetisierung des Elends” vorgeworfen worden, “»weil er unglaublich schöne Bilder von unglaublich schrecklichen Situationen macht”. Salgado habe unter anderem in Afrika viel fotografiert. “Die Inhalte sind völlig verstörend. Aber das ist ganz große Kunst!” (Empfehlung der Redaktion hierzu: “Das Salz der Erde”, ein Dokumentarfilm über das Leben und Werk des brasilianischen Fotografen unter der Regie von Wim Wenders.)
Daniel Haeker über “Einfach nur schön” vs. Vielschichtigkeit
Eine starke Parallele zwischen Fotografie und Musik sieht der Musiker und Fotograf im Inhalt des Bildes bzw. des Werks. Es sei ein großer Unterschied, ob eine Arbeit “einfach nur schön” sei oder vielschichtig. Transportiere ich eine echte Aussage, einen echten Erzählinhalt? Als Beispiel bringt Daniel Haeker die Filmmusik von John Williams ins Spiel. “Williams trifft diesen Schnittpunkt! Natürlich ist seine Musik ein kommerzielles Produkt, denn die Filme sind allesamt Blockbuster.” Aber wie der US-Amerikaner unter Druck solche Musik zustande bringe – mit Kontrapunkt, mit mehreren Ebenen, sehr vielschichtig – das sei “schon berückend und außergewöhnlich”. Es gebe demgegenüber sehr viel “zweckdienliche Musik” auf dieser Welt. Oft sei Musik eben “einfach nur schön, damit die Leute für einen Moment zufrieden sind. Das wäre mir zu wenig …”
Wie muss man sich denn dann den “Schlager der Fotografie” vorstellen? Daniel Haeker lacht. “Wenn du dich in den einschlägigen Foren herumtreibst, findest du ein Blümchen nach dem anderen! Nein, ich habe nichts gegen Blümchen! Blumen sind wunderschön! Und die Welt ist eh schon kaputt genug, als dass man nicht auch etwas Schönes darstellen und ansehen darf!” Er macht eine kurze Pause. “Aber das reicht eben nicht, um es zu Kunst zu machen.”
Daniel Haeker über Emotionen
Ist die emotionale Wirkung des “Produkts” das Entscheidende? Ein Foto, das nicht “ankommt”, dürfte ähnlich wirken wie ein Musikstück, das das Herz des Hörers nicht erreicht. Daniel Haeker beantwortet diese Frage mit einem klaren “Jein. Emotionen sind sicherlich unverzichtbar – aber sie sind nicht das einzige Element.” Es bestehe nämlich die Gefahr, dass es ins Sentimentale abrutscht.
“Ich höre Musik emotional, nicht bildlich”, erklärt Haeker. “Selbst bei Programmmusik – etwa bei ‘Bilder einer Ausstellung’ – schiebe ich bisweilen die eigentlichen Inhalte beiseite. Ich fotografiere übrigens auch emotional”, fügt er an. Allerdings ist das auch nicht die einzige Komponente. Der Kopf muss schon mitarbeiten. Über das Emotionale hinaus spielt die intellektuelle Ebene die große Rolle. Das Nachdenken, das Konstruieren und das Komponieren sind auch in der Musik unverzichtbar. “Ein Musikstück lebt vom Kontrapunkt, vom Gegenthema. Ein Bild wird spannend, wenn ich beispielsweise den ‘Goldenen Schnitt’ verlasse.” Wichtig sei seiner Meinung nach die Fähigkeit, “alle Konstruktionsregeln zu beachten, um sie dann nach eigenen Maßstäben zu brechen – und damit einen neuen Maßstab zu kreieren. Das gelingt nur den ganz Großen. Das hat Beethoven gemacht. Das hat Picasso gemacht.”
Daniel Haeker über Bildbearbeitung
Heutige Bildbearbeitungsprogramme verfügen über ungeahnte Möglichkeiten. Doch die umfangreiche Bildbearbeitung ist Daniel Haekers Sache nicht. Wobei: “Eigentlich beginnt die ja schon bei der Aufnahme”, überlegt er. “Wenn ich die Szenerie beeinflusse, damit es passt, habe ich ja schon eingegriffen, ‘bearbeitet’. Aber beispielsweise Menschen wegretuschieren – das geht gar nicht. Fotografie ist für mich immer dokumentarisch. Die Nachbearbeitung darf nicht überhandnehmen. Wenn das Bild nicht so ist, wie ich es gerne hätte, habe ich leider Pech gehabt …”
Aber trotzdem bearbeitet der Fotograf jedes Bild – ohne es zu “verfremden”. Da geht es dann um Dinge wie Helligkeit, Farbsättigung, Kontrast. “Meine Fotografie ist ehrlich. Ich will meinen Blick auf die Realität darstellen – und nicht auf eine Traumwelt.” Denn Fotografie – und vor allem die Nachbearbeitung – bringe das Risiko mit sich, eben solche Traumwelten zu produzieren. Manche dargestellten Schönheitsideale seien bisweilen bedenklich. “Ich liebe beim Model schon auch den – etwas übertrieben formuliert – Mut zur Hässlichkeit.” Hier erkennt man eine Verbindung zur Musik. Die müsse eben auch mal Ecken und Kanten haben, damit sie interessant wird und nicht glattgebügelt und belanglos “durchrauscht”.
Daniel Haeker über “den Moment”
Ein belangloses Werk setzt sich meist nicht in der Erinnerung eines Menschen fest. Ein belangloses Foto bleibt trotzdem. Ist hier der große Unterschied in den Künsten? Dass Fotografie für sich beansprucht, den Moment festhalten zu wollen? So ganz ist Haeker damit nicht einverstanden. “Denn auch in der Musik ist jedes Konzert, jede Interpretation eines Werks, doch auch eine einmalige Momentaufnahme. Im Jazz besonders, aber doch auch in der Klassik.”
Oft ist Musik “einfach nur schön”, damit die Leute für einen Moment zufrieden sind. Das wäre mir
zu wenig …
Der Musiker und Fotograf fügt hinzu: “Für mich als Ausführenden ist es kein Unterschied. Wenn ich als Musiker ‘im Flow’ bin, glücklich bin, eins mit dem Werk, hat das durchaus Ähnlichkeit damit, wenn ich in Spanien eine verlassene und verfallene Diskothek fotografiere.” Beim Fotografieren könne er Stunden verbringen – bei der Suche nach der richtigen Szenerie, dem besten Winkel, dem schönsten Licht. “Auch da bin ich dann eins mit all dem, bin genau am richtigen Ort, bin im ‘Flow’.”
Daniel Haeker über den Rhythmus
“Fotografieren hängt wesentlich mit Timing und Rhythmus zusammen.” Das betreffe einerseits den Umgang mit den zu fotografierenden Menschen, aber auch und vor allem gehe es um etwas, das die Energie aufrechterhält. Wie in der Musik sind in der Fotografie Verzierungen und Ornamente üblich. “Und in beiden Metiers besteht die Gefahr, zu viel zu wollen und zu machen. Das ist aber nicht das Prinzip von Fotografie – und das ist auch nicht das Prinzip der Komposition. “Wimmelbilder” etwa seien mal ganz nett, sagt Haeker und lacht. Auch Werke wie den 1. Satz von Mahlers 3. Sinfonie – in dem mitunter ein chaotisch anmutendes und dissonantes Klangbild herrscht – könne man nicht pausenlos hören, findet er.
In der Fotografie besteht “die Notwendigkeit von Klarheit”, so der Fotograf. Ähnlich wie in der Musik, wenngleich das Auge sehr viel mehr verarbeiten könne als das Ohr. Ein Foto brauche einen Aufbau, der einem Rhythmus folge, erklärt er. Haeker beruft sich dabei auf einen seiner Lehrer, den kürzlich verstorbenen Reinhold Gieschke, ehemals Solopauker der Essener Philharmoniker und Lehrbeauftragter an der Robert Schumann Hochschule in Düsseldorf. “Wenn ich sein Konzept mit zwei Wörtern beschreiben müsste: Gewicht und Schwerpunkt.”
Das seien unglaublich wichtige Elemente in der Musik. “Ich muss den Noten den richtigen Zeitpunkt und das richtige Gewicht, den richtigen Schwerpunkt zuweisen – und darf niemals ‘flüchtig’ spielen.” Und das sei etwas, das man sehr gut auf die Fotografie anwenden könne. “Ich suche immer nach dem richtigen Gewicht, brauche einen Schwerpunkt. Wenn man das beherzigt, können sich weder die Zuhörer der Musik noch die Betrachter der Fotografie entziehen.”
Ob Daniel Haeker beim nächsten Konzert des Sinfonieorchesters Wuppertal mit anderen Augen ins Konzert geht oder ob er beim nächsten Shooting die Ohren ganz besonders aufspannt, wissen wir nicht. Mit Sicherheit wird er mal wieder in Konzertkleidung und mit Kamera bewaffnet ein Konzert inmitten seiner Kolleginnen und Kollegen miterleben und den Dirigenten fotografieren. Nicht nur, aber auch, weil Schlagzeug und Fotografie ganz wunderbar zusammenpassen.
kurz& knapp
Irgendwann hat Daniel Haeker gemerkt, dass er ein Auge für Situationen, Blicke für Menschen hat. Davor, sagt er, hätte er die Knöpfe an einer Kamera von den Knöpfen eines Toasters nicht unterscheiden können. Und wenn man ihn heute fragt, welche Profession er abgelegen würde, wenn er müsste, sagt er: “Vermutlich würde ich eher weiter fotografieren. Aber zum Glück muss ich die Entscheidung nicht treffen.”
Daniel Haeker studierte zunächst Jura in Berlin. 1987 begann er ein Schlagzeugstudium an der Folkwang-Hochschule in Essen, dem sich ein Aufbaustudium an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf anschloss. Seit 1995 ist er stellvertretender Solopauker im Sinfonieorchester Wuppertal, wo er auch über 10 Jahre im Orchestervorstand tätig war. Ebenso lange unterrichtete er an der Bergischen Universität Wuppertal. Seit 2006 ist er Dozent an der Internationalen Jungen Orchesterakademie (IJOA).